Wie wurde argumentiert bei Stuttgart 21?

Presseinformation Nr. 178 vom 11. Dezember 2012

Ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes interdisziplinäres Projekt an der Universität Konstanz untersucht Überzeugungsstrategien in der politischen Debatte

In dem Projekt „VisArgue. Wie und wann überzeugen Argumente? – Analyse und Visualisierung von politischen Verhandlungen“ an der Universität Konstanz wird mit Hilfe von Methoden aus der Politikwissenschaft, Linguistik und Informatik ein automatisiertes textanalytisches Verfahren entwickelt, das neue Einsichten in die Funktionsweise deliberativer politischer Kommunikation liefern soll. Unter dem Stichwort „eHumanities“ wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bis 2015 mit insgesamt 876.000 Euro gefördert. Der Fördergedanke hinter „eHumanities“ ist, mit Hilfe neu zu entwickelnder Methoden der modernen Informationswissenschaft die Forschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften zu unterstützen.

Das übergeordnete Projektziel ist es, zu einer effektiveren Kommunikation zwischen Bürgerschaft und politischen Entscheidungsinstanzen beizutragen. Die Durchführung von öffentlichen Großprojekten führt immer wieder zu Konflikten zwischen Staat und Bürgern, wie insbesondere die Auseinandersetzung um den Ausbau des Stuttgarter Bahnhofs („Stuttgart 21“) gezeigt hat. Die Theorie der deliberativen Demokratie behauptet, dass solche Konflikte durch Mediationsverfahren, Diskurse oder Bürgerdialoge beigelegt werden können. Solche Verfahren beruhen auf dem Prinzip deliberativer Kommunikation: dem rationalen Austausch von Argumenten, um das Gegenüber zu überzeugen.

Bei „VisArgue“ sollen große Textmengen, unter anderem die Transkription des Mediationsverfahrens zu „Stuttgart 21“ mit Hilfe von computerlinguistischen Methoden und so genanntem Textmining auf Argumentationsstrukturen hin untersucht werden. Die Konstanzer Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Katharina Holzinger wird das ausgearbeitete Analyseinstrument dazu nutzen, in diesen immensen Textkorpora nach Mustern zu suchen, die Aufschluss darüber geben, wie in der Politik argumentiert wird und wann von einem deliberativen Verfahren gesprochen werden kann.

Unterstützung erhält sie vom Informatiker Prof. Dr. Daniel Keim und von der Linguistin Prof. Dr. Miriam Butt. Miriam Butt ist die Projektsprecherin und für die computerlinguistische Methode zuständig, mit der der gesamte Textkorpus annotiert, das heißt, sprachwissenschaftlich in syntaktische und semantische Strukturen zerlegt wird. Dazu benutzt ihre Arbeitsgruppe teilweise selbst erarbeitete automatische Grammatiken, die in diesem Zusammenhang nicht nur eingesetzt, sondern auch der Aufgabe entsprechend weiterentwickelt werden. „Das ist für uns auch eine neue Forschungsaufgabe. Hier geht es nicht um die Frage, was ist Subjekt und was Objekt, sondern etwa: Gilt dieser Nebensatz als Gegenargument“, erklärt die Sprachwissenschaftlerin.

Ihre Arbeit versteht sie als Bindeglied zwischen der Politikwissenschaftlerin und dem Informatiker Daniel Keim, der mit dem Analyseverfahren des Textmining zunächst nach Grundmustern eines Textes wie schnellen Wortwechseln, emotionalen Diskussionspassagen, usw. sucht und so grundlegende Daten über den Text liefert. Vor allem jedoch ist es die Aufgabe des Informatikers, relevante Merkmale in den großen Textmengen und komplizierte linguistische Strukturen visual sichtbar und damit nachvollziehbar zu machen. Diese Analysesoftware soll – ebenso wie die gewonnenen annotierten Daten und das entwickelte Annotationsschema – auf der Infrastrukturplattform CLARIN, die im Rahmen von eHumanities-Projekten erstellte Infrastrukturen bündelt, einer breiten Forschungsöffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

Das Kooperationsprojekt geht letztendlich auf eine Forschungsinitiative zurück, eine Einrichtung an der Universität Konstanz, die zeitlich befristet zur Vorbereitung von Verbundforschungsprojekten dient und im Rahmen des Konstanzer Zukunftskonzepts durch Gelder der Exzellenzinitiative finanziert wird. In diesem speziellen Fall handelte es sich um die Forschungsinitiative „Computational Analysis of Linguistic Development" (CALD). „Mit dieser Kooperation, die erst durch die Förderung der Universität zustande gekommen ist, stehen wir auch international sehr gut da. Wir werden als Vorreiter viel zitiert“, so die Projektsprecherin Miriam Butt.