Was wäre wenn?

Presseinformation Nr. 13 vom 1. Februar 2012

Eine neue DFG-Forschergruppe der Universitäten Konstanz und Berlin untersucht die Bedeutung von kontrafaktischen Aussagen und Gedankenexperimenten als Erkenntnismethode

Prof. Dr. Wolfgang Spohn
Prof. Dr. Wolfgang Spohn
Foto (c) Olivier Toussaint

„Was wäre wenn? Zur Bedeutung, Epistemologie und wissenschaftlichen Relevanz von kontrafaktischen Aussagen und Gedankenexperimenten“ lautet der Titel der neuen Forschergruppe 1614, die an der Universität Konstanz und an der Humboldt-Universität zu Berlin angesiedelt ist. Sie startet im Februar 2012. In der zunächst für drei Jahre geförderten Kooperation wird unter Beteiligung von Philosophie, Linguistik, Literaturwissenschaft (Slawistik) und Wissenschaftsgeschichte die Bedeutung kontrafaktischen Denkens für die Wissenschaften, insbesondere die Geisteswissenschaften untersucht. Dieser interdisziplinäre Zuschnitt soll einzelwissenschaftliche Forschungsdebatten zusammenführen und neue Perspektiven auf das Thema der Kontrafaktizität eröffnen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert die Forschergruppe mit 1,9 Millionen Euro. Sprecher ist der Konstanzer Philosoph Prof. Dr. Wolfgang Spohn.

Ihren Ausgang nimmt die Forschergruppe in der Vermutung, dass Menschen nicht nur einen Wirklichkeits-, sondern auch einen Möglichkeitssinn haben, sich somit immer auch darüber Gedanken machen, was der Fall sein könnte oder was der Fall gewesen wäre, wenn sich die Dinge anders entwickelt hätten. Die lebensweltliche Bedeutung des Nachdenkens über kontrafaktische Situationen – Situationen, die der Wirklichkeit widersprechen – ist schwer zu bestreiten, doch auch in der Wissenschaft geht es häufig nicht nur darum, wie die Welt tatsächlich beschaffen ist, sondern auch darum, was in bestimmten kontrafaktischen Szenarien der Fall wäre oder gewesen wäre. Entsprechend geht die Forschergruppe der grundlegenden Frage nach, inwiefern das Nachdenken über nicht aktualisierte Möglichkeiten legitime Methode wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse ist.

Es wird gefragt, wie Aussagen über Szenarien, die offensichtlich nicht real sind, sprachlich verfasst sind, welche kognitiven Vermögen beim Verständnis und bei der Bewertung solcher Aussagen eine Rolle spielen und in welchen historischen und literarischen Konstellationen kontrafaktische Aussagen eine Konjunktur erleben. Die einzelnen Teilprojekte ordnen sich verschiedenen interdisziplinären Schwerpunkten zu, die kontrafaktische Gedankenexperimente auf ihre Logik und sprachliche Form, ihre erkenntnistheoretischen Grundlagen, ihre Stellung und historischen Konjunkturen in verschiedenen wissenschaftlichen und literarischen Zusammenhängen sowie ihr Verhältnis zu Fiktionalität und Narrativität zum Gegenstand haben. Im Einzelnen untersuchen die Teilprojekte „Konditionalität und Kontrafaktizität“ (Prof. Dr. Wolfgang Spohn), „Semantik und Pragmatik kontrafaktischer Aussagen“ (Prof. Dr. Maribel Romero), die „Epistemologie von Gedankenexperimenten und kontrafaktischen Konditionalen“ (Prof. Dr. Tobias Rosefeldt, HU Berlin), „Kontrafaktische Gedankenexperimente zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, ca. 1880 - 1930“ (Prof. Dr. Bernhard Kleeberg) und „Kontrafaktisches Erzählen zwischen Wissenschaft und Literatur“ (Dr. Riccardo Nicolosi). Angeschlossen ist ein Kooperationsprojekt des ehemaligen Konstanzer und nun Genfer Philosophen Prof. Dr. Marcel Weber zum „Kontrafaktischen Denken in der Biologie“.

Die Forschergruppe, die als Novum alle vier geisteswissenschaftlichen Fachbereiche der Universität Konstanz einschließt, wurde durch eine so genannte Forschungsinitiative erarbeitet, die zeitlich befristet zur Vorbereitung von Verbundforschungsprojekten dient und im Rahmen des Konstanzer Zukunftskonzepts innerhalb der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder finanziert wird. „Die Forschergruppe wurde nur möglich durch die Förderung der Forschungsinitiative. Ich freue mich, dass es geklappt hat“, so Wolfgang Spohn.