Dr. Philip Rathgeb
Dr. Philip Rathgeb. Copyright: Universität Konstanz

Ursachen so­zial­er Un­gleich­heit

Der Konstanzer Politikwissenschaftler Philip Rathgeb erforscht die Ursachen sozialer Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt – Sein Buch zum Thema erscheint im Dezember

„Die Ungleichheit zwischen ‚Insidern‘ und ‚Outsidern‘ stellt eine Herausforderung für Demokratie und Gesellschaft dar“, sagt Dr. Philip Rathgeb. Der Politikwissenschaftler arbeitet seit Februar 2018 als Postdoctoral Fellow am Zukunftskolleg der Universität Konstanz. Sein Buch „Strong Governments, Precarious Workers” zu den Ursachen sozialer Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt erscheint im Dezember bei Cornell University Press und basiert auf Erkenntnissen seiner Promotion am Europäischen Hochschulinstitut und seiner anschließenden Forschung in Konstanz. Es gibt Handlungsempfehlungen zur politischen Umsetzung von Maßnahmen gegen die Herausbildung prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse und reflektiert über die Rolle von Parteien und Gewerkschaften im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts.

„Während Insider in Vollzeit und unbefristet beschäftigt sind, hat die wachsende Anzahl an Outsidern entweder gar keinen Arbeitsplatz oder ist in atypischen Beschäftigungsverhältnissen angestellt“, führt Philip Rathgeb weiter aus, der während des Wintersemesters 2018/2019 am „Center for European Studies" in Harvard forscht. „Die wachsende Ungleichheit am Arbeitsmarkt stellt oft ein Resultat von Reformen dar, die primär die Situation von Outsidern verschlechtert, während etwa der Kündigungs- und Arbeitslosenschutz von Insidern weitgehend unberührt bleibt.“ Diese sogenannte Dualisierungspolitik bleibt laut Rathgeb nicht ohne Folgen: „Evaluationsforschungen zeigen, dass Prekarität am Arbeitsmarkt zu ungleichen Lebenschancen und steigender Armut, einem erhöhten Gesundheits- und Suizidrisiko sowie einer niedrigeren Wahlbeteiligung und politischer Resignation beiträgt.“ Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) habe in ihren Berichten mehrmals auf die wachsende Relevanz der Arbeitsmarktpolitik im Kontext steigender Ungleichheit hingewiesen.

Dies nahm der Politikwissenschaftler zum Anlass seiner Untersuchung zu Ungleichheit, die außerdem an der Universität Konstanz ab Januar 2019 von dem bei der Exzellenzstrategie erfolgreichen Cluster „Die politische Dimension von Ungleichheit: Wahrnehmungen, Partizipation und Policies“ erforscht wird. Er wollte genauer wissen, warum europäische Wohlfahrtsstaaten seit dem Ende der 1970er Jahre so unterschiedlich auf die „Prekarisierung“ des Arbeitsmarktes reagierten und unter welchen Bedingungen politische Akteure die Ungleichheit am Arbeitsmarkt erhöht beziehungsweise verringert haben. Manche Länder verschärften die Ungleichheit am Arbeitsmarkt, indem sie den Arbeitslosen- und Kündigungsschutz auf Insider beschränkten, während für Outsider befristete Beschäftigungsverhältnisse dereguliert und der Zugang zur Arbeitslosenversicherung beziehungsweise Schulungsmaßnahmen zunehmend erschwert wurde (zum Beispiel Schweden oder auch die Agenda 2010 in Deutschland). Andere Länder hingegen haben diese Dualisierung abgemildert, indem sie die arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen von Insidern auf Outsider erweiterten und zudem in aktive Arbeitsmarktpolitik investierten (vor allem Dänemark bis in die 2000er-Jahre sowie Österreich).

Das Fazit des Politikwissenschaftlers: Je schwächer die Regierung, desto stärker ist die Fähigkeit der Gewerkschaftsbewegung, arbeitsmarktpolitische Reformen zugunsten einer wachsenden Anzahl an Outsidern zu beeinflussen.

„Allerdings haben die europäischen Gewerkschaftsbewegungen deutlich an Macht und Einfluss verloren. Auf politischer Ebene gewannen dementsprechend die Forderungen der Arbeitgeberverbände ein stärkeres Gewicht, zum Teil auch unter sozialdemokratisch geführten Regierungen. Dieser Machtverlust bedeutet, dass die Forderungen der Gewerkschaften vor allem dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn Regierungen schwach sind, das heißt, eine niedrige autonome Reformfähigkeit aufweisen“, sagt Philip Rathgeb. Verhandlungen mit Gewerkschaften erzielten eine konsensmobilisierende Wirkung für intern gespaltene Koalitionen und Minderheitsregierungen ohne parlamentarischen Rückhalt. Wenn allerdings eine Regierung über eine geeinte parlamentarische Mehrheit verfüge, sei sie stark genug, um Gewerkschaften vom politischen Entscheidungsprozess auszuschließen.

Faktenübersicht:

  • Philip Rathgeb: Strong Governments, Precarious Workers. Cornell University Press 2018
  • Der Politikwissenschaftler Philip Rathgeb erforscht die Ursachen und Konsequenzen sozialer Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt
  • Er ist seit Februar 2018 Postdoctoral Fellow am Zukunftskolleg der Universität Konstanz. Während des Wintersemesters 2018/19 forscht er am „Center for European Studies“ in Harvard
  • Das Zukunftskolleg ist eine Forschungseinrichtung der Universität Konstanz zur Förderung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwischen Promotion und Professur

Presseinformation: Nr. 125/2018