Regulation des Zelltods

Thomas Brunner, Professor für Biochemische Pharmakologie an der Universität Konstanz, konnte nachweisen, dass sogenannte „Inhibitor of Apoptosis“-Proteine eine entscheidende Rolle spielen

Der Darm ist ein wichtiges Organ mit einer riesigen Oberfläche, die beim Menschen nahezu der Fläche eines Tennisplatzes entspricht. Die Balance im Darm zwischen „Außen“ und „Innen“, zwischen der Mikroflora im Darm und dem Körper ist extrem wichtig, aber auch heikel. Um Aminosäuren, Fette und Zucker effizient aufnehmen zu können, ist die Oberfläche durch sogenannte Krypten und Zotten sowie Mikrovilli auf einzelnen Epithelzellen stark vergrößert. Zudem ist das Darmepithel nur eine Zellschicht dick. Diese einschichtige Barriere ist damit auch anfällig für Schädigungen. Durch die hohe Proliferationsrate des Darmepithels, also die hohe Rate an Neubildungen durch Stammzellen, kann der Körper mit Schädigungen in der Regel gut umgehen. Andererseits ist dadurch das Krebsrisiko erhöht, wenn diese Stammzellen Mutationen unterliegen.

Zu akuten oder chronischen Schädigungen des Darmepithels kommt es bei entzündlichen Darmerkrankungen wie etwa Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Die Balance ist hier so weit gestört, dass es zu einer massiven Schädigung und Erosion des Epithels kommt. Das führt in einer Abwärtsspirale dazu, dass durch die Epithelschädigung ein erhöhter Kontakt der Darmflora mit dem Immunsystem auftritt, wodurch die entzündlichen Prozesse immer weiter angeheizt werden. Warum das Darmepithel so empfindlich auf eine Immunzell-vermittelte Schädigung reagiert und diese heikle Balance so rasch gestört wird, hat die Arbeitsgruppe um Thomas Brunner, Professor für Biochemische Pharmakologie an der Universität Konstanz, untersucht. Es konnte erfolgreich nachgewiesen werden, dass gerade das Darmepithel im Gegensatz zu anderen Zellen direkt auf ein entzündungsförderndes Zytokin, den Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), mit exzessivem Zelltod reagiert. TNF-α ist ein typischer Entzündungsmediator, der etwa von aktivierten Makrophagen (Fresszellen) produziert wird, die an der ersten Verteidigungslinie des Immunsystems positioniert sind. Während TNF-α den Mechanismus des programmierten Zelltods in den meisten Zellen und Geweben nicht direkt hervorruft, ist dies beim Darmepithel viel eher der Fall. Warum das so ist, liegt an Molekülen, die an den Rezeptor von TNF-α herangezogen werden können und wie ein Schalter wirken, um die Antwort in die eine oder andere Richtung zu lenken.

Diese Moleküle, auf die Thomas Brunner und sein Team ihr Augenmerk gerichtet haben, wirken dem Zelltod entgegen und werden als IAPs bezeichnet (Inhibitor of Apoptosis Proteins). Es handelt sich dabei um sogenannte Ubiquitin-Ligasen, also Enzyme, die andere Proteine durch die Übertragung von Ubiquitin-Resten in ihrer Funktion verändern. Drei spezielle Moleküle wurden hierbei untersucht: cIAP1 und 2 (cellular Inhibitor of Apoptosis Proteins 1 und 2) sowie XIAP (X-Chromosome-linked Inhibitor of Apoptosis Protein). Wie angenommen worden war, zeigte sich, dass alle drei im Darmepithel nur niedrige Level aufweisen – sodass damit die Schutzfunktion weniger ausgeprägt ist.

Eine Schlüsselrolle in der Regulation spielt dabei den Untersuchungen zufolge cIAP1. Mit Hilfe von in-vitro-Modellen des Darms – aus menschlichen Stammzellen oder Mäusezellen gezüchteten Organoiden – konnte zunächst gezeigt werden, dass Darmepithelzellen sehr sensitiv auf TNF-α reagieren, während etwa Leberzellen gar nicht oder kaum reagierten. Dieser Effekt war noch wesentlich ausgeprägter, wenn in Mäusen das Gen für die Produktion von cIAP1 ausgeschaltet worden war. Der gleiche Effekt ergab sich auch bei Zugabe von Medikamenten, sogenannten IAP-Inhibitoren: Die ohnehin bereits sensitiven Epithelzellen werden auch hier noch sensitiver gegenüber der zelltodinduzierenden Wirkung von TNF-α.

Um zu verstehen, warum diese Zelltod-Inhibitoren bei entzündlichen Erkrankungen herunter reguliert werden bzw. nicht zur Verfügung stehen, wurde weiter TWEAK untersucht (TNF-related Weak Inducer of Apoptosis). TWEAK ist ein Molekül, das mit TNF-α verwandt ist, aber nur eine sehr schwache zelltodinduzierende Wirkung hat. Es ist aber bekannt, dass es bei der Entstehung entzündlicher Darmerkrankungen involviert ist. Untersucht wurde, ob es zu einer Sensitivierung der Darmepithelzellen gegenüber TNF-α führt. TWEAK scheint die den Zelltod verhindernden IAP Moleküle vom Rezeptor TNF-α abzuziehen, weshalb die Darmepithelzellen nun höchst sensitiv auf TNF-α reagieren und sterben. „Das haben wir nicht nur in vitro oder in intestinalen Organoiden zeigen können, sondern auch in vivo. Die Zelltod induzierende Wirkung von TNF-α wird potenziert. Es gibt andere Studien, die zeigen, dass in Modellen von entzündlicher Darmerkrankung die Hemmung von TWEAK eine positive therapeutische Wirkung hat“, erklärt Thomas Brunner. „Unsere Studie hat auf molekularer Ebene dazu beigetragen zu verstehen, warum das Darmepithel überhaupt so empfindlich ist. Wenn man diese Prozesse versteht, kann man viel gezielter versuchen, therapeutisch nicht nur einfach TNF-α zu hemmen, sondern die Sensitivität so zu modellieren, dass etwa bei Patienten mit entzündlicher Darmerkrankung diese Zelltod-Induktion weniger massiv ist oder in Richtung Überleben umgedreht werden kann.“

Originalveröffentlichung:

Grabinger T, Bode KJ, Demgenski J, Seitz C, Delgado ME, Kostadinova F, Reinhold C, Etemadi N, Wilhelm S, Schweinlin M, Hänggi K, Knop J, Hauck C, Walles H, Silke J, Wajant H, Nachbur U, Wong WW, Brunner T.: „Inhibitor of Apoptosis Protein-1 Regulates Tumor Necrosis Factor-mediated Destruction of Intestinal Epithelial Cells". Gastroenterology (23. November 2016)

Faktenübersicht:

Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Thomas Brunner untersuchte, warum gerade das Darmepithel so empfindlich auf Schädigungen reagiert, die durch Immunzellen vermittelt werden. Es konnte nachgewiesen werden, dass das Darmepithel direkt auf den entzündungsfördernden Tumornekrosefaktor-α reagiert, da die Schutzfunktion sogenannter „Inhibitor of Apoptosis“-Proteine geringer ausfällt als in anderen Geweben.

Thomas Grabinger, Konstantin Bode und Carina Seitz wurden durch Promotionsstipendien der DFG-geförderten Graduiertenschule RTG 1331 sowie des kooperativen Promotionskollegs InViTe (Universität Konstanz, Hochschule Albstadt-Sigmaringen) unterstützt.