Das Berufsinteresse mit in die Wiege gelegt

Presseinformation Nr. 85 vom 15. Juli 2011

Psychologen der Universität Konstanz belegen Zusammenhang zwischen pränatalem Hormonspiegel und beruflichen Interessen

Psychologen der Universität Konstanz konnten einen Zusammenhang zwischen dem vorgeburtlichen Hormonspiegel und den später ausgeprägten beruflichen Interessen von Frauen und Männern nachweisen. In einer Studie mit über 8.600 Teilnehmerinnen und Teilnehmern konnte aufgezeigt werden, dass der pränatale Testosteronspiegel signifikant mit der Ausbildung eines eher technisch beziehungsweise eher sozial orientierten Berufsinteresses einhergeht. Die Ergebnisse von Dr. Benedikt Hell und Katja Päßler bestätigen die Geschlechterstereotype von technisch ausgerichteten Männern und sozial engagierten Frauen. „Unsere Ergebnisse führen zu der Implikation, dass wir keine Gleichverteilung der Geschlechter in Studiengängen oder Berufen erwarten können oder gar fordern sollten“, schlussfolgert Benedikt Hell. Die Studie „Are occupational interests hormonally influenced?“ ist in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Personality and Individual Differences“ veröffentlicht.

Gemäß der Ergebnisse von Päßler und Hell ist ein hoher vorgeburtlicher Testosteronspiegel mit einem erhöhten Interesse an technischen Gegenständen und Fragestellungen verbunden. Umgekehrt zeigte sich ein Zusammenhang zwischen einem niedrigen vorgeburtlichen Testosteronspiegel und einem erhöhten Interesse am Umgang mit anderen Menschen und sozialen Fragestellungen. „Die Korrelationen zwischen dem pränatalen Hormonspiegel und beruflichen Interessen sind zwar nur sehr geringfügig, lassen sich aber nichtsdestotrotz in signifikanter Höhe nachweisen“, präzisiert Benedikt Hell. Die Zusammenhänge müssen nach Hells Auskunft unbedingt differenziert betrachtet werden: „Die Korrelationen lassen keine Rückschlüsse auf den Einzelfall zu, sondern es handelt sich um Tendenzen in einer großen Stichprobe.“

Eine Herausforderung für die Eindeutigkeit der Studie stellte die Hürde dar, dass sich der pränatale Hormonspiegel nur indirekt abbilden lässt. Hell und Päßler griffen hierzu auf Studien zurück, die nachweisen konnten, dass das Längenverhältnis zwischen Zeigefinger und Ringfinger Rückschlüsse auf den vorgeburtlichen Testosteronspiegel erlaubt: Fingerlänge und pränataler Hormonspiegel werden von derselben Gensequenz gesteuert, so dass die Längenverhältnisse der Finger ein Indikator für die vorgeburtliche Ausprägung des Hormonspiegels sind.

Die Ausgangsfrage der Studie knüpfte an einer aktuellen Übersichtsarbeit an: „Wir haben uns gefragt, wie es zu den sehr stabilen, kulturübergreifenden Geschlechtsdifferenzen im sozialen Interesse und im technischen Interesse kommt“, skizziert Katja Päßler die Schlüsselfrage, die sich hinter dem Projekt verbirgt: „Ist dies alles nur Erziehung und Ergebnis der Sozialisation oder spielen vielleicht auch genetische und evolutionäre Mechanismen eine Rolle? Hat eine Spezialisierung der Interessen vielleicht zu unserer evolutionären Fitness beigetragen?“ Im nächsten Schritt ihrer Forschung möchten Päßler und Hell ihre Hypothese an Stichproben untersuchen, die aufgrund eines Gendefekts einen besonders hohen pränatalen Testosteronspiegel aufweisen.

 

Originalveröffentlichung:

Hell, B. & Päßler, K. (2011). Are occupational interests hormonally influenced? The 2D:4D-interest nexus. Personality and Individual Differences, 51 (4), 376-380. doi: 10.1016/j.paid.2010.05.033