Wasser in Szene gesetzt
Der Installationskünstler Roman Signer erweckt die Poesie des nassen Elements


Brunnenstube
Zentrales Thema im Werk von Roman Signer ist die Inszenierung der Elemente. Die Eigenschaften von Wasser, Luft, Feuer und Erde werden von ihm durch scheinbar einfache, aber genau kalkulierte Interventionen so manipuliert, daß sie überraschende ästhetische Erfahrungen eröffnen. Die Kräfte der Elemente entfalten sich in Signers Werken in unterschiedlichsten Zeitverläufen: in spektakulären Explosionen, aber auch in gedehnten Bewegungen, bei denen die Zeit still zu stehen scheint. Für das Singener Kunstprojekt hat Signer eine ruhige, meditative Arbeit voller Poesie geschaffen.

Ein Tisch mit zwei Stühlen
Auf einer Anhöhe in der äußersten westlichen Ecke der Landesgartenschau, jenseits der Bahnlinie, liegt das alte Singener Wasserreservoir. Das würfelförmige Gebäude aus rötlichem Sandstein, das den Eingang markiert, stammt aus den ersten Jahren des vergangenen 20. Jahrhunderts. Es ist ein kleines Industriebaudenkmal (Abb. B). Seine neoromanische Architektur zeugt vom Stolz der Gründerzeit, als Singen sich immer mehr zur Industriestadt entwickelte. Das Gebäude – die Brunnenstube am Ambohl – regte Roman Signer zu einem originellen ortsbezogenen Werk an, das zudem sein künstlerisches Vorgehen bestens repräsentiert.

Nach einer Ortsbegehung im April 1999 sandte Signer den Organisatoren des Kunstprojekts "Hier Da Und Dort" eine "Projektvorstellung", welche die von ihm konzipierte Installation in einfache Worte faßt: "Im Raum des Wasserreservoirs steht ein Tisch mit zwei Stühlen. Dieser Tisch und die Stühle sind aus nichtrostendem Stahl gefertigt und fest am Boden angeschraubt. Von der Decke fällt ein Wasserstrahl (frei fallend, ohne Druck) genau auf den Tisch. Das Wasser soll durch die Bodenöffnung, die mit einem Gitter abgedeckt ist, ablaufen ..."

Der Text liest sich wie die Konstruktionsanleitung für die Handwerker. Kein Wort über die Wirkung, die die Arbeit auslösen soll. So nüchtern die Objektbeschreibung, so klar und schnörkellos sind die Zeichnungen, die den Text begleiten. Sie haben den Charakter von technischen Plänen. Als einzige Farbe ist ein unauffälliges Blau eingesetzt, mit dem die Spritzer des Wasserstrahls auf der Tischplatte angedeutet sind. Die Zeichnungen zu Tisch und Schemel – sie sind zusammen mit Entwürfen der übrigen beteiligten Künstler während der Gartenschau im Singener Kunstmuseum ausgestellt – zeigen Gebrauchsspuren, die auf ihren tatsächlichen Einsatz in der Schlosserei hinweisen. Vom Eindruck der realisierten Arbeit vor Ort lassen auch die Zeichnungen nichts erahnen.

Metallisches Trommeln, glitzernder Vorhang
Für die Landesgartenschau ist das Gebäude des Wasserreservoirs durch symmetrische Treppenläufe wie ein Prunkstück inszeniert. Vor dem Bau, den zwei hohe Tannen rahmen, befindet sich jetzt eine schmale Terrasse. An den beiden Seiten führen weitere Treppen auf die Aussichtsplattform, als die das flache Dach schon immer diente.

Auf der Terrasse im Biergarten wird man durch hohles Plätschern auf die Installation aufmerksam. Seit Signer seine Arbeit realisiert hat, sind die beiden eisernen, mit Löwenköpfen verzierten Flügel der Eingangstür geöffnet. Die rundbogige Türöffnung bildet eine Art Bühnenrahmen für das symmetrisch arrangierte Metallmobiliar in der Mitte des Raums, einen rechteckigen Tisch, der links und rechts von einem Hocker flankiert ist ( Abb. A). Exakt auf die Mitte der Tischplatte fällt durch ein Loch in der Decke ein dichter Wasserstrahl. Sein Aufprall provoziert ein akustisches wie auch visuelles Ereignis.

Signers Installation lebt von Kontrasten. Das Ohr vernimmt ein unregelmäßig variiertes, metallisches Trommeln, das von einem kontinuierlichen Obertonklang überlagert wird, wie wir ihn von mächtigen Glockengeläuten her kennen. Der visuelle Eindruck aber ist gleichsam versetzt gegen das akustische Erlebnis: Die Wassersäule zwischen Decke und Tisch zerstiebt, von der Metallplatte zerrissen, beständig in tausend aufspringende Tropfen (Abb. C). Am Ort des Aufpralls entsteht rund um den Wasserstrahl eine Fontäne. Die meisten Tropfen fallen auf die Tischplatte zurück, um von den Rändern aus einen Vorhang aus glitzernden Wasserfäden zu bilden. Wie vom Wind hin und her bewegt eilen die Rinnsale und verbinden die Tischfläche mit dem Betonboden.

Sakrale Nachbilder
Signer greift mit seiner Installation ein altes Thema der Architekturgeschichte auf. In der Spätrenaissance und im Barock wurden in den entfernten Winkeln der Villen- und Schloßgärten künstliche Grotten angelegt. Mit versteckten Wasserrohren versehen, waren sie häufig Orte von derben Späßen, die sich Fürsten und königliche Hoheiten mit ihren Gästen erlaubten.

Signers metallenes Mobiliar dagegen steht unter beständiger Berieselung und niemand käme – außer, vielleicht, an einem außergewöhnlich heißen Sommertag – auf die Idee, sich auf einem der beiden Hocker wirklich niederzulassen, wie es die gestellte Aufnahme in der Broschüre zum Kunstprojekt suggeriert. Signer hat das Wort "Brunnenstube" wörtlich genommen und als Stube des Brunnens interpretiert. Er hat das Wasserschloß für das Wasser, den eigentlichen Bewohner des alten Gemäuers, möbliert.

Dennoch wollen die beiden Hocker, die sich an den Schmalseiten des Tisches gegenüberstehen, irgendwie gebraucht werden (Abb. A). Es sind Orte, die man im Kopf einnehmen kann, indem man sie mit Vertretern seiner selbst besetzt. Zwischen ihnen steht der aufspringende Strahl des Wassers: das eigentliche Ereignis der Installation, das auch für den Betrachter im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Die beiden Stühle suggerieren ein Gespräch – über den aufprallenden Strahl, das Element Wasser.

Die durch den romanischen Rundbogen beobachtete Szenerie hat sakrale Anklänge und wird leicht von biblischen Ereignisbildern überlagert, an die man sich erinnern mag. Im Blick auf Signers Installation kann man einzelne biblische Szenen mitsehen, etwa das Wunder von Emmaus, wie es Caravaggio gemalt hat: Christus am weiß gedeckten Tisch, gerahmt von den Jüngern in dem Augenblick, da er das Brot segnet und sich so als der Erlöser zu erkennen gibt. Roman Signers Installation ruft in ihrer idealen Symmetrie solche sakralen Nachbilder hervor und erhält dadurch eine mystische Dimension. Anders aber als ein Gemälde ist die vom Rundbogen gerahmte Installation nicht nur ein Bild, sondern auch das Ereignis selber: die reale Epiphanie des Elementes Wasser, erfahrbar als komplexes akustisch-visuelles Ereignis.

Roman Signer
Roman Signer wurde 1938 in Appenzell geboren. Nach einer Ausbildung zum Bauzeichner begann der 28-jährige ein Kunststudium in Zürich, bevor er an die Kunstgewerbeschule Luzern wechselte, wo er in der Bildhauerklasse eingeschrieben war. 1971/72 war er Stipendiat an der Kunstakademie in Warschau. Signer wird wegen seiner Sprengaktionen, die er vor Publikum oder nur vor der Videokamera ausführte, vielfach als Aktionskünstler bezeichnet. Da jedoch in seinen Arbeiten nicht der Künstler selbst im Mittelpunkt steht, wäre es zutreffender, von einem Schöpfer dynamischer Skulpturen zu sprechen. Im Mittelpunkt stehen die Elemente und Kräfte der Natur. Sie werden von Signer so mit Gegenständen des Alltags - seien es Tische, Stühle oder sein geliebter italienischer Kleintransporter "Piaggio" - zusammengebracht, daß das Kräftespiel der Natur zum ästhetischen Ereignis wird. Signers künstlerische Arbeit wurde deshalb als "Grundlagenforschung zu Primärerfahrungen des Menschen" (Roland Wäspe) bezeichnet. Der Künstler ist, gerade wegen seiner Fähigkeit, äußerst sensibel auf spezifische örtliche Gegebenheiten zu reagieren, seit längerem gern gesehener Gast an internationalen Kunstevents wie der Biennale von Venedig, dem Steirischen Herbst oder den Münsteraner "Skulptur-Projekten". Roman Signer lebt und arbeitet in St. Gallen.




Impressum
Dieser Beitrag ist in der Wochenendausgabe des Südkuriers vom 26. August 2000 erschienen.

Fotos: Kunstprojekt Singen

Foto A: Blick durch das Eingangstor:
Der Rundbogen macht Signers Wasserspiel zum einem sakralen Ereignis.
Foto B: Die Brunnenstube am Ambohl: ein neoromanisches Architekturdenkmal
Foto C: Wassermusik visuell

Die Installation von Roman Signer bleibt über die Dauer der Ausstellung hinaus erhalten.

Die bereits erschienenen Beiträge können im Internet abgerufen werden: http://www.uni-konstanz.de/UniinSingen/


Südkurier Homepage: http://www.suedkurier.de
Landesgartenschau Singen Homepage: http://www.landesgartenschau-singen.de
Kunstwissenschaft Homepage: http://www.uni-konstanz.de/FuF/Philo/Litwiss/KunstWiss/ (unter 'Aktuelles')