KIS | Konstanzer
Inventar Sanktionsforschung: Heinz, Wolfgang: Das strafrechtliche Sanktionensystem
und die Sanktionierungspraxis in Deutschland 1882 - 1998
(Stand: Berichtsjahr
1998)
Internet-Publikation: <www.uni-konstanz.de/rtf/kis/sanks98.htm> Version 8/2001 |
Erhebungseinheit der StA-Statistik sind Ermittlungsverfahren, in der Strafverfolgungsstatistik sind es dagegen Personen. Die jeweiligen Ergebnisse beider Statistiken sind für eine ganze Reihe von Berechnungen - z.B. Ermittlung des Anteils der Personen, bei denen das Ermittlungsverfahren gem. §§ 45, 47 JGG, §§ 153, 153a, 153b StPO eingestellt worden ist, oder des Anteils der zu freiheitsentziehenden Sanktionen Verurteilten an der Gesamtzahl aller (informell oder formell) Sanktionierten - aufeinander zu beziehen. Dies setzt einen vergleichbaren Massstab voraus. Da von einem Ermittlungsverfahren im Schnitt 1,2 Personen betroffen sind (1998 kamen lt. StA-Statistik auf 5.437.241 Beschuldigte 4.583.228 Ermittlungsverfahren), würde die unkorrigierte Gegenüberstellung von Ermittlungsverfahren und Verurteilten zu einer Unterschätzung des Ergebnisses führen. Zur genaueren Bestimmung der Grössenordnung der von den jeweiligen Einstellungen betroffenen Personen konnte der StA-Statistik bis 1997 als Anhaltspunkt lediglich entnommen werden: die Zahl der Personen, bei denen die Verfahrenseinstellung mit Auflagen die schwerste Erledigungsart war. Die Relation der Zahl der mit Auflagen gem. § 153a StPO und § 45 Abs. 1 JGG (a.F.) - bzw. ab 1991 einschließlich gem. § 37 Abs. 1 BtMG - eingestellten Ermittlungsverfahren zur hiervon betroffenen Zahl der Personen ergab einen ungefähren Umrechnungsfaktor zur Bestimmung der Grössenordnungen des Verhältnisses Ermittlungsverfahren : Person bei Verfahrenseinstellungen. Die unter Verwendung dieses Faktors errechnete Zahl war die beste Schätzmöglichkeit für die (in der StA-Statistik bis 1997 nicht erhobene) Zahl der Personen, deren Ermittlungsverfahren gem. § 45 JGG bzw. §§ 153, 153b, 153a StPO eingestellt worden war.
Erstmals für das Berichtsjahr 1998 wird für die StA-Statistik die Zahl der Personen für die jeweilige Abschlussentscheidung der StA erhoben. Die in den vorläufigen Ergebnissen der StA-Statistik 1998 mitgeteilten Ergebnisse für die alten Länder Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz - für Hamburg und für Hessen, Niedersachsen, das Saarland und Schleswig-Holstein lagen bei Abschluss des Manuskriptes noch keine Ergebnisse für 1998 vor , das Statistische Bundesamt hat deshalb die Ergebnisse aus 1997 verwendet - erlauben es, etwaige, bei dem bisher verwendeten Umrechnungsverfahren aufgetretene, Über-/Unterschätzungen zu bestimmen. Die Ergebnisse sind in Tabelle 1 für die Einstellungen gem. § 45 JGG und in Tabelle 2 für Einstellungen gem. §§ 153, 153a, 153b StPO dargestellt.
Informell Sanktionierte § 45 JGG |
Angaben StA-Statistik zu Verfahren, auf Personen umgerechnet | Angaben StA-Statistik 1998 zu Personen | Relative Über-/Unterschätzung (Schätzfehler) | |
Baden-Württemberg | 20398 | 22285 | -8,5% | |
Bayern | 19877 | 22271 | -10,7% | |
Berlin | 9469 | 11206 | -15,5% | |
Bremen | 2324 | 2641 | -12,0% | |
Hessen | 11 414 | 12 684 | -10,0% | |
Niedersachsen | 16 160 | 18 713 | -13,6% | |
Nordrhein-Westfalen | 39204 | 45010 | -12,9% | |
Rheinland-Pfalz | 8940 | 9695 | -7,8% | |
Saarland | 2 159 | 2 438 | -11,4% | |
Summe (umgerechnet) | 129 943 | 146 943 | -11,6% | |
Umrechnung und Anpassung bei | Umrechnung | Anpassung wg. Schätzfehler | ||
Hamburg | 9814 | 11 110 | ||
Schleswig-Holstein | 7172 | 8 079 | ||
Summe (umgerechnet) | 16 986 | 19 188 | ||
Summe Sanktionierte § 45 JGG | 146 929 | 166 131 | -11,6% | |
Personen Strafverf.-Stat. |
Personen Strafverf.-Stat. |
|||
Sanktionierte § 47 JGG | 43211 | 43211 | ||
Formell Sanktionierte (Verurt. + § 27 JGG) | 93791 | 93791 | ||
Informell und formell Sanktionierte 1998 | 283 931 | 303 133 | -6,3% |
Wie Tabelle 1 zeigt, wurde durch das bisher vom Verf. verwendete Umrechnungsverfahren die Zahl der Personen, deren Ermittlungsverfahren gem. § 45 JGG eingestellt worden war, im Schnitt von 9 der 11 alten Bundesländer, für die inzwischen Ergebnisse vorliegen, um gut 11% (bezogen auf die Einstellungen gem. § 45 JGG) unterschätzt.
Um zu (vorläufigen) flächendeckenden Angaben für das
Bundesgebiet zu kommen, wurden die verfahrensbezogenen Ergebnisse für
die zwei (alten) Länder, für die noch keine Ergebnisse aus 1998
vorliegen, wie bisher „umgerechnet“ und sodann aufgrund des
durchschnittlichen Schätzfehlers (für die anderen Länder)
korrigiert.
Die Zahl der insgesamt (informell oder formell) Sanktionierten dürfte
aufgrund des bisherigen Umrechnungsverfahrens damit um rd. 6%
unterschätzt sein.
Informell Sanktionierte § 153, 153a, 153b StPO |
Angaben StA-Statistik zu Verfahren, auf Personen umgerechnet | Angaben StA-Statistik 1998 zu Personen | Relative Über-/Unterschätzung
(Schätzfehler) |
Baden-Württemberg | 63427 | 64660 | -1,9% |
Bayern | 74030 | 75717 | -2,2% |
Berlin | 38449 | 41025 | -6,3% |
Bremen | 8193 | 8433 | -2,8% |
Hessen | 52 215 | 53 203 | -1,9% |
Niedersachsen | 63 833 | 67 138 | -4,9% |
Nordrhein-Westfalen | 148256 | 154744 | -4,2% |
Rheinland-Pfalz | 31938 | 32836 | -2,7% |
Saarland | 9 110 | 9 355 | -2,6% |
Summe (umgerechnet) | 489 450 | 507 111 | -3,5% |
Umrechnung und Anpassung bei | Umrechnung | Anpassung wg. Schätzfehler | |
Hamburg | 19316 | 20 296 | |
Schleswig-Holstein | 28106 | 29 352 | |
Summe (umgerechnet) | 47 422 | 49 648 | |
Summe Sanktionierte (StA) § 153, 153a, 153b StPO |
536 872 | 556 759 | -3,6% |
Personen Strafverf.-Stat. |
Personen Strafverf.-Stat. |
||
Sanktionierte (Gericht) § 153, 153a, 153b StPO |
95784 | 95784 | |
Formell Sanktionierte (Verurt. + §§ 59, 60 StGB |
705006 | 705006 | |
Informell und formell Sanktionierte 1998 | 1 337 662 | 1 357 549 | -1,5% |
Wie Tabelle 2 zeigt, wurde durch das bisher vom Verf. verwendete Umrechnungsverfahren die Zahl der Personen, deren Ermittlungsverfahren gem. §§ 153, 153a, 153b StPO durch die StA eingestellt worden war, im Schnitt von 9 der 11 alten Bundesländer, für die inzwischen Ergebnisse vorliegen, um 3,5% (bezogen auf die Einstellungen gem. §§ 153, 153a, 153b StPO) unterschätzt. Die Abweichungen liegen ausschließlich im Bereich von §§ 153, 153b StPO, wo die Unterschätzung 5,8% beträgt. Bei § 153a StPO sind die Ergebnisse durch das Umrechnungsverfahren dagegen geringfügig überschätzt (0,5%).
Um zu (vorläufigen) flächendeckenden Angaben für das
Bundesgebiet zu kommen, wurden die verfahrensbezogenen Ergebnisse für
die zwei (alten) Länder, für die noch keine Ergebnisse aus 1998
vorliegen, wie bisher „umgerechnet“ und – bezüglich
§§ 153, 153b StPO - sodann aufgrund des durchschnittlichen
Schätzfehlers (für die anderen Länder) korrigiert.
Die Gesamtzahl der insgesamt (informell oder formell) Sanktionierten dürfte
aufgrund des bisherigen Umrechnungsverfahrens damit um rd. 1,5% unterschätzt
sein.
Wenn, wie aus Tabellen 1 und 2 ersichtlich ist, in der Vergangenheit die Zahl der informell Sanktionierten unterschätzt wurde, dann führt die Verwendung der aufgrund der „echten“ Personenzählung errechneten Zahl der informell Sanktionierten zu einer Veränderung im Vergleich von 1997 versus 1998, die allein statistisch bedingt ist. Um das Ausmaß dieser Veränderung abzuschätzen, werden in Tabellen 3 und 4 Vergleichsberechnungen für einige Bezugsgrössen durchgeführt, die es erlauben, das Maß der rein statistisch bedingten Veränderung zu beurteilen.
Angaben der Strafverfolgungs- statistik |
Angaben StA-Statistik zu Verfahren, auf Personen umgerechnet |
Angaben in StA-Statistik 1998 zu Personen | Relation: Sp. (2) in % von Sp. (3) |
|
(1) | (2) | (3) | (4) | |
Einstellungen gem. §45 I, II JGG | 135 263 | 153 144 | 88,32% | |
Einstellungen gem. §45 III JGG | 11 597 | 12 988 | 89,29% | |
Informell Sanktionierte gem. §45 JGG | 146 860 | 166 131 | 88,40% | |
Einstellungen gem. §47 JGG | 43211 | |||
Informell Sanktionierte gesamt | 190 071 | 209 342 | 90,79% | |
Formell Sanktionierte | 93791 | |||
Informell + Formell Sanktionierte insges. | 283 862 | 303 133 | 93,64% | |
Auswirkung auf Berechnung der Diversionsrate: | ||||
Diversionsrate 1998 | 66,96% | 69,06% | ||
Unterschied (%punkte) wg. Änderung der Berechnungsart | Scheinbarer Anstieg: 2,10 |
|||
zum Vergleich: Diversionsrate 1997 | 67,10% | |||
Unterschied (%punkte) 1998 vs. 1997 | -0,14 | |||
Auswirkung auf Berechnung der Anteile der zu freiheitsentziehenden Sanktionen (einschließlich Jugendstrafe zur Bewährung) Verurteilten an Sanktionierten (formell + informell) insgesamt: | ||||
Jugendstrafe zur Bewährung ausges. | 10977 | 3,9% | 3,6% | |
Jugendstrafe unbedingt | 6243 | 2,2% | 2,1% | |
Summe: Jugendstrafe insges. | 17220 | 6,1% | 5,7% | |
Jugendarrest | 16985 | 6,0% | 5,6% | Scheinbarer Rückgang -0,4 |
Summe: Jugendstrafe + Jugendarrest 1998 | 34205 | 12,0% | 11,3% | |
Unterschied (%punkte) wg. Änderung der Berechnungsart | Scheinbarer Rückgang -0,8 |
|||
zum Vergleich: Rate 1997 | 11,9% | |||
Unterschied (%punkte) 1998 vs. 1997 | +0,17 | -0,6 |
Tabelle 3 zeigt, dass der Anstieg der Diversionsrate im Jugendstrafverfahren 1998 vs. 1997 ein nur scheinbarer ist, d.h. ein rein statistisch durch die Umstellung des Berechnungsverfahrens bedingter Tatsächlich dürften die Diversionsraten weitgehend unverändert geblieben sein; die Veränderung um -0,1%-Punkte ist angesichts der weiterhin bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der zwei Länder, für die personenbezogene Ergebnisse aus 1998 fehlen, nicht interpretierbar. Hinsichtlich der freiheitsentziehenden Sanktion zeigt sich, dass der Rückgang des Anteils freiheitsentziehender Sanktion an den insgesamt Sanktionierten ebenfalls ein nur scheinbarer ist. Die Anteile liegen 1998 auf praktisch demselben Niveau wie 1997; geringfügige Unterschiede sind wegen der Ungenauigkeiten, die mit dem derzeit noch notwendigen Anpassungsverfahrens verbunden sind, nicht interpretierbar.
Angaben der Strafverfolgungs- statistik |
Angaben StA-Statistik zu Verfahren, auf Personen umgerechnet |
Angaben in StA-Statistik 1998 zu Personen | Relation: Sp. (2) in % von Sp. (3) |
|
(1) | (2) | (3) | (4) | |
Einstellungen gem. §153,153b StPO | 338 147 | 359 104 | 94,16% | |
Einstellungen gem. § 153a StPO | 198 725 | 197 655 | 100,54% | |
Informell Sanktionierte gem. §§ 153, 153a, 153b StPO | 536 872 | 556 759 | 96,43% | |
Einstellungen gem. §§ 153, 153a, 153b StPO durch das Gericht (personenbez.) | 95784 | |||
Informell Sanktionierte gesamt | 632 656 | 652 543 | 96,95% | |
Formell
Sanktionierte (Verurteilte zzgl. Personen mit Entscheidungen gem. §§ 59, 60 StGB) |
705006 | |||
Informell + Formell Sanktionierte insgesamt | 1 337 662 | 1 357 549 | 98,54% | |
Auswirkung auf Berechnung der Diversionsrate: | ||||
Diversionsrate 1998 | 47,30% | 48,07% | ||
Unterschied (%punkte) wg. Änderung der Berechnungsart | Scheinbarer Anstieg +0,77 |
|||
zum Vergleich: Diversionsrate 1997 | 47,67% | |||
Unterschied (%punkte) 1998 vs. 1997 | -0,37 | |||
Auswirkung auf Berechnung der Anteile der zu bedingter oder unbedingter Freiheitsstrafe Verurteilten an Sanktionierten (formell + informell) insgesamt: | ||||
Freiheitsstrafe zur Bewährung ausges. | 88271 | 6,6% | 6,5% | |
Freiheitsstrafe unbedingt | 41751 | 3,1% | 3,1% | |
Summe: Freiheitsstrafe insges. | 130022 | 9,7% | 9,6% | |
Unterschied (%punkte) wg. Änderung der Berechnungsart | Scheinbarer Rückgang -0,1 |
|||
Zum Vergleich: Rate Freiheitsstr. 1997 | 9,5% | |||
Unterschied (%punkte) 1998 vs. 1997 | +0,2 | +0,1 |
Tabelle 4 zeigt, dass auch der Anstieg der Diversionsrate im allgemeinen Strafrecht 1998 vs. 1997 ein nur scheinbarer ist, d.h. ein rein statistisch durch die Umstellung des Berechnungsverfahrens bedingter. Tatsächlich dürften die Diversionsraten weitgehend unverändert geblieben sein; der Rückgang (bei Verwendung des bisherigen Umrechnungsverfahrens) 1998 versus 1997 um -0,4%-Punkte ist angesichts der weiterhin bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der zwei Länder, für die personenbezogene Ergebnisse aus 1998 fehlen, nicht interpretierbar. Hinsichtlich der freiheitsentziehenden Sanktion zeigt sich, dass der Anstieg des Anteils freiheitsentziehender Sanktion an den insgesamt Sanktionierten möglicherweise geringfügig unterschätzt ist. Aber auch hier sind die minimalen Unterschiede nicht interpretierbar.
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Letztes Update am 03.08.2001
Bearbeitet von: Wolfgang Heinz, Gerhard Spiess, Martina Schulz