KIS |
Konstanzer
Inventar Sanktionsforschung im Internet: <www.uni-konstanz.de/rtf/kis> |
Wolfgang Heinz: Das
strafrechtliche Sanktionensystem und die Sanktionierungspraxis in Deutschland
1882 - 2001
(Stand: Berichtsjahr 2001) Version:
6/2003
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II. Beschreibung und Analyse der Sanktionierungspraxis
anhand der amtlichen Rechtspflegestatistiken
1. Die amtlichen
Rechtspflegestatistiken als Datenquellen
Grundlage für die folgende Darstellung
der Sanktionierungspraxis von Staatsanwaltschaft und Gericht sind die amtlichen
Rechtspflegestatistiken.
Für die Zeit vor Gründung der
Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 kommt als Datenquelle lediglich
die 'Kriminalstatistik für das Deutsche Reich' in Betracht, deren
Ergebnisse für die Berichtsjahre 1882 bis 1939 veröffentlicht
worden sind.
Für die Bundesrepublik Deutschland
stehen in Form koordinierter Länderstatistiken zur Verfügung:
-
Die Staatsanwaltschaftsstatistik (StA-Statistik):
In ihr wird die Geschäftserledigung der Staats- und Amtsanwaltschaften
beim LG und OLG gegen bekannte Täter nachgewiesen. Bei der StA-Statistik
handelt es sich um eine Verfahrensstatistik, d.h. nachgewiesen wird die
jeweils schwerste Erledigungsart, mit der das Verfahren abgeschlossen wurde.
Die Zahl der von Ermittlungsverfahren betroffenen Personen wurde bis vor
kurzem lediglich für einige Erledigungsgruppen mitgeteilt. Erst seit
der Neuordnung der StA-Statistik zum 1.1.1998 wird die Zahl der Personen
für die einzelnen Erledigungsentscheidungen nachgewiesen. Angaben
zu den Delikten, die den Ermittlungsverfahren zugrunde lagen, wurden zunächst
nicht erhoben. Als Sondersachgebiete wurden 1986 "Strassenverkehrsstrafsachen"
(die Ergebnisse wurden aber nur für einige Erledigungsarten ausgewiesen),
1987 "Besondere Wirtschaftsstrafsachen", seit 1998 auch "Betäubungsmittelstrafsachen",
"Umweltstrafsachen" und "Strafsachen gegen die sexuelle Selbstbestimmung"
aufgenommen: zusätzlich wird danach unterschieden, ob es sich um eine
Straftat der "Organisierten Kriminalität" handelt. Diese Zusatzinformationen
werden nicht über die Zählkarten erhoben, sondern aus den DV-Geschäftsstellenautomationssystemen
der Berichtsstellen herausgefiltert. Länderergebnisse zur Verfahrenserledigung
in den Sondersachgebieten (einschliesslich der besonderen Wirtschaftsstrafsachen)
liegen deshalb erst dann vor, wenn die Geschäftsstellenautomation
bei den Staatsanwaltschaften im jeweiligen Land flächendeckend eingeführt
ist. Dies war 2001 nur in 11 (Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg,
Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Thüringen) der 16 Länder der Fall, weshalb noch keine bundesweiten
Ergebnisse, sondern nur die Ergebnisse dieser Länder veröffentlicht
werden konnten.
Die StA-Statistik
wurde seit 1976 nach und nach in den Bundesländern eingeführt:
(1976 in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und im Saarland;
1977 in Bremen und Hamburg; 1979 in Baden-Württemberg; 1980 in Niedersachsen).
Erstmals mit dem Berichtsjahr 1981 wurden ihre Ergebnisse vom Statistischen
Bundesamt veröffentlicht, jedoch ohne die Ergebnisse von Berlin-West,
Hessen und Schleswig-Holstein, wo diese Statistik erst später (1985,
1988 bzw. 1989) eingeführt wurde. Erst seit 1989 liegen deshalb die
Ergebnisse für sämtliche alten Bundesländer vor, seit 1993
einschliesslich Berlin-Ost. In den neuen Bundesländern wurde die Führung
der StA-Statistik ab 1993 in Sachsen und Sachsen-Anhalt aufgenommen; ab
1994 in Brandenburg und in Thüringen und ab 1995 in Mecklenburg-Vorpommern.
Seit 1995 liegen demnach auch Daten für sämtliche neuen Bundesländer
vor.
-
Die Justizgeschäftsstatistik der Strafgerichte
(StP/OWi-Statistik): In ihr werden der Geschäftsanfall
und die Erledigung von Strafsachen bei den Amts-, Land- und Oberlandesgerichten
sowie dem Bundesgerichtshof nachgewiesen. Die Justizgeschäftsstatistik
wird mit dem jetzigen Inhalt seit 1970 bzw. - nach inhaltlicher Erweiterung
- seit 1989 für die alten Bundesländer, seit 1991 einschliesslich
Berlin-Ost, seit 1994 auch einschliesslich der neuen Bundesländer
veröffentlicht.
Die Art der Erledigung wird sowohl für
Verfahren als auch (seit 1989) für Personen nachgewiesen; eine Differenzierung
nach Delikten erfolgt nicht.
-
Die Strafverfolgungsstatistik (StVStat):
In ihr werden alle Angeklagten nachgewiesen, gegen die rechtskräftig
Strafbefehle erlassen wurden bzw. Strafverfahren nach Eröffnung des
Hauptverfahrens durch Urteil oder Einstellungsbeschluss rechtskräftig
abgeschlossen worden sind. Nicht erfasst werden Ordnungswidrigkeiten sowie
Entscheidungen vor Eröffnung des Hauptverfahrens. Deshalb enthält
diese Statistik z.B. keine Informationen über Verfahrenseinstellungen
gem. §§ 153, 153a, 153b StPO
durch die StA. Ausnahmsweise werden jedoch
Entscheidungen gemäss § 59 StGB,
§§ 27, 45 Abs. 3 JGG erfasst.
Die StVStat
wird seit 1950 für die alten Bundesländer (seit 1961 mit Saarland
und mit West-Berlin), seit 1995 einschliesslich Berlin-Ost veröffentlicht.
Sie wurde in den neuen Bundesländern bislang in Brandenburg (1994),
in Sachsen (1992), in Thüringen (1997) und in Mecklenburg-Vorpommern
(2001) eingeführt. Da sie in Sachsen-Anhalt noch nicht geführt
wird, veröffentlicht das Statistische Bundesamt derzeit, von einigen
Eckwerten (seit 1997) abgesehen, die StVStat lediglich für die alten
Bundesländer einschliesslich Gesamtberlin.
-
Die Bewährungshilfestatistik (BewH-Statistik):
In ihr werden - neben den hauptamtlichen Bewährungshelfern - vor allem
die diesen zur Betreuung unterstellten Probanden der Bewährungshilfe
nachgewiesen. Die BewH-Statistik wird seit
1963 bundeseinheitlich geführt. In den neuen Bundesländern wird
sie lediglich von Brandenburg (seit 1993) und in Mecklenburg-Vorpommern
(seit 1994) geführt.
-
Die Strafvollzugsstatistik (StVollz-Statistik):
In ihr wird zum einen zum Stichtag - jeweils zum 31.3. eines Berichtsjahres
- die Struktur der Strafgefangenen sowie der Sicherungsverwahrten nachgewiesen,
zum anderen der sog. Bestand an Gefangenen und Verwahrten sowie die sog.
Gefangenenbewegung. Die StVollz-Statistik
wird seit 1961 geführt, seit 1992 ist auch Berlin-Ost einbezogen.
Ergebnisse für die neuen Bundesländer werden seit 1992 nachgewiesen.
Bei Abschluss des Manuskripts
standen folgende Rechtspflegestatistiken für die Auswertung zur Verfügung:
Die Ergebnisse der
StA-Statistik für 2001. 1998 war
in Hamburg und Schleswig-Holstein die Aufbereitung der StA-Statistik ausgesetzt,
weshalb für diese beiden Länder die Ergebnisse für 1997
als Näherungswerte zugrunde gelegt wurden. Wegen Aufbereitungsproblemen
liegen in Schleswig-Holstein auch für die Folgejahre keine aktuelleren
Ergebnisse vor als jene aus 1997; seit 1997 werden deswegen jeweils erneut
die Ergebnisse für dieses Berichtsjahr als Näherungswert verwendet.
In Sachsen-Anhalt konnten für das vollständige Kalenderjahr 1999
keine Geschäftsergebnisse erstellt werden, die Ergebnisse für
1999 beziehen sich auf den Zeitraum vom 1.7.1999 bis zum 30.6.2000.
Die Ergebnisse der
StVStat liegen für das Berichtsjahr
2001 vor. In den Jahren zuvor kam es in einigen Ländern aufgrund arbeitsorganisatorischer
Massnahmen in Gerichten und Staatsanwaltschaften teilweise zu verspätet
abgegebenen Meldungen zur Strafverfolgungsstatistik mit der Folge, dass
Fälle aus dem aktuellen Berichtsjahr (Kriterium: Rechtskraft der Entscheidung)
erst im Folgejahr nachgewiesen werden konnten. Dieser zeitliche Zuordnungsfehler
verteilt sich nach Kenntnis des Statistischen Bundesamtes auf die Berichtsjahre
2000, 2001 und 2002. Auf Bundesebene dürften nach Einschätzung
des Statistischen Bundesamtes die absoluten Zahlen über Abgeurteilte
und Verurteilte sowie die Veränderungsraten im Wesentlichen zutreffend
sein.
Die Ergebnisse der
BewH-Statistik wurden zuletzt für
das Berichtsjahr 1997 (seit 1992 ohne Hamburg) veröffentlicht; Eckdaten
für 1998 wurden vom Statistischen Bundesamt in Reihe 1 – Ausführliche
Ergebnisse – veröffentlicht. Die vollständigen Daten wurden für
Zwecke der vorliegenden Auswertung vom Statistischen Bundesamt dankenswerter
Weise zur Verfügung gestellt.
Die StVollz-Statistik
lag für das Berichtsjahr 2001 (Anstalten, Bestand und Bewegung) bzw.
zum Stichtag 31.3.2000 (demographische und kriminologische Merkmale der
Strafgefangenen) vor.
In regionaler Hinsicht
lagen Ergebnisse aus folgenden Statistikbereichen vor:
-
Die StA-Statistik bezieht
sich auf die alten und (seit 1995) auf sämtliche neuen Bundesländer;
die Ergebnisse werden nach Ländern gegliedert ausgewiesen.
-
Die veröffentlichten
Ergebnisse der StVStat 2001 beziehen sich auf die alten Bundesländer
(einschliesslich Gesamtberlin); die Ausweise über Art und Höhe
der verhängten Sanktionen werden lediglich für das frühere
Bundesgebiet (einschliesslich Gesamtberlin) mitgeteilt. Die Länderergebnisse
werden von den Statistischen Landesämtern veröffentlicht, das
Statistische Bundesamt teilt insoweit nur Eckdaten mit.
-
Für das Berichtsjahr
1997 beziehen sich die Ergebnisse der BewH-Statistik auf das frühere
Bundesgebiet einschliesslich Gesamtberlin (seit 1992 ohne Hamburg); flächendeckende
Angaben für die neuen Länder liegen noch nicht vor; lediglich
aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern werden Ergebnisse mitgeteilt.
Die für die vorliegende Auswertung relevanten Ergebnisse werden nicht
nach Ländern aufgeschlüsselt.
-
Die Ergebnisse der StVollz-Statistik
beziehen sich auf die alten und (seit 1992) auch auf sämtliche neuen
Bundesländer; die Angaben werden nach Ländern aufgeschlüsselt.
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2. Aussagemöglichkeiten
und Aussagegrenzen der amtlichen Rechtspflegestatistiken Den Möglichkeiten
der Deskription der Sanktionierungspraxis werden durch diese Informationsinstrumente
- die Rechtspflegestatistiken - Grenzen gesetzt. Zum einen sind die statistischen
Daten aus den verschiedenen Statistikbereichen nur begrenzt aufeinander
beziehbar und untereinander vergleichbar. Zum anderen werden Aussagemöglichkeiten
und -grenzen vor allem dadurch bestimmt, welche Daten erhoben und wie diese
Daten für Zwecke der Veröffentlichung aufbereitet werden. Speziell
für Zeitreihenanalysen ergeben sich weitere Grenzen der Aussagemöglichkeiten
aus dem Wechsel von Erhebungs- bzw. Aufbereitungskategorien sowie aus dem
- in regionaler und/oder zeitlicher Hinsicht - Fehlen statistischer Daten.
Bezogen auf die beiden, der folgenden Darstellung vor allem zugrunde liegenden
Statistiken - StA-Statistik, StVStat - heisst dies:
2.1 Probleme der
Vergleichbarkeit der Ergebnisse von StA-Statistik und StVStat
-
Die Erhebungseinheiten beider Statistiken
stimmen nicht überein. In der StA-Statistik sind Erhebungseinheiten
Ermittlungsverfahren, in der StVStat dagegen Personen. Die hieraus resultierenden
Unterschiede - von einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren
sind im Schnitt 1,2 Personen (Beschuldigte) betroffen (2001 kamen auf 5.412.125
Beschuldigte 4.555.675 Ermittlungsverfahren) - können durch entsprechende
Umrechnungen nur ungefähr ausgeglichen werden. Wie die erstmals für
das Berichtsjahr 1999 auch für die StA-Statistik erhobenen personenbezogenen
Daten zeigen (vgl. Anhang, Tabelle 1 und 2), wurde durch das bisher vom
Verf. verwendete Umrechnungsverfahren die Zahl der Personen, deren Ermittlungsverfahren
gem. § 45 JGG eingestellt worden war, im Schnitt der alten Bundesländer
um gut 10% (bezogen auf die Einstellungen gem. § 45 JGG) unterschätzt,
die Zahl der nach JGG (informell oder formell) Sanktionierten um rd. 6%.
Die Zahl der nach allgemeinen Vorschriften - §§ 153, 153a, 153b
StPO - informell Sanktionierten ist in geringerem Masse unterschätzt
(rd. 3%). Der in den Schaubildern sichtbare Anstieg der Diversionsraten
von 1997 auf 1998 ist deshalb, und zwar sowohl im allgemeinen Strafrecht
als auch im Jugendstrafrecht, ein nur scheinbarer; er beruht auf der Umstellung
von den bisherigen "umgerechneten" Ergebnissen auf die nunmehr vorliegenden
"echten" personenbezogenen Daten (vgl. Anhang 2, Tabellen 3 und 4). Bei
Verwendung des bisherigen Umrechnungsverfahrens wäre die Diversionsraten
1998 gegenüber 1997 praktisch unverändert. Entsprechendes gilt
dann, wenn die Zahl der zu freiheitsentziehenden Sanktionen Verurteilten
bezogen wird auf die Zahl der (informell oder formell) Sanktionierten.
Ab 1998 werden der Auswertung die personenbezogenen Daten der StA-Statistik
zugrunde gelegt, lediglich für Schleswig-Holstein liegen nur die verfahrensbezogenen
Ergebnisse aus 1997 vor, die, wie bisher, "umgerechnet" werden.
-
Die Daten dieser beiden Statistiken werden
zu verschiedenen Zeitpunkten erhoben, nämlich mit der jeweiligen Verfahrenserledigung.
Bei Bezugnahmen - z.B. Anteil der Verurteilten an allen (informell und
formell) Sanktionierten - kann sich deshalb eine - nicht vermeidbare -
Verzerrung ergeben, weil die beiden Gruppen aus z.T. unterschiedlichen
Grundgesamtheiten stammen.
2.2 Grenzen der Aussagemöglichkeiten
aufgrund der Datenlage
-
Staatsanwaltschafts-Statistik
-
Für die StA-Statistik wurden in der Vergangenheit
so gut wie keine Angaben zu den dem Verfahren zugrunde liegenden Straftaten
und zu den von den Verfahren betroffenen Beschuldigten erhoben. Es ist
infolgedessen nicht erkennbar, in Abhängigkeit von welchen Täter-
und von welchen Deliktsgruppen bestimmte Erledigungsarten gewählt
werden. Konkret heisst dies, dass z.B. weder festgestellt werden kann,
in welchem Umfang bei Diebstahl, bei Körperverletzung oder bei Raub
Verfahrenseinstellungen erfolgen, noch dass aufgrund der StA-Statistik
geprüft werden kann, ob die regional extrem unterschiedlichen Diversionsraten
auf Unterschieden im Entscheidungsverhalten beruhen oder lediglich unterschiedliche,
von der Praxis vorfindbare Tat- und Täterstrukturen widerspiegeln.
-
Bei den nachgewiesenen Erledigungsarten, also
auch bei Einstellungen aus Opportunitäts- oder Subsidiaritätsgründen,
wird nicht danach differenziert, ob sie unter Anwendung von Jugendstrafrecht
oder unter Anwendung von allgemeinem Strafrecht erfolgten. Eine Zuordnung
der Einstellungen kann deshalb nur über die jeweilige Einstellungsnorm
erfolgen, also z.B. so, dass Einstellungen gem. § 45 JGG dem Jugendstrafrecht,
Einstellungen gem. §§ 153 ff. StPO dem allgemeinen Strafrecht
zugeordnet werden. Gar nicht zuordenbar sind die Einstellungsentscheidung
gem. §§ 31, 37a, 38 BtMG. Dies hat unvermeidbar zur Konsequenz,
dass im Jugendstrafverfahren erfolgende Einstellungen gem. §§
153 ff. StPO fälschlicherweise den Erwachsenen statt den nach Jugendstrafrecht
verurteilten Jugendlichen/Heranwachsenden zugeordnet werden müssen
(Unterschaetzung der Diversionsrate im Jugendstrafrecht bei gleichzeitiger
Überschaetzung im allgemeinen Strafrecht).
-
Hinsichtlich der erzieherischen Massnahmen,
die im Rahmen von § 45 JGG durchgeführt, angeregt oder angeordnet
werden, enthält die StA-Statistik keinerlei Angaben. Bei § 45
Abs. 2 JGG sind dementsprechend weder Art noch Häufigkeit der "Weisungen"
oder "Auflagen" erkennbar. Die nach § 153a Abs. 1 StPO zulässigen
Auflagen und Weisen werden dagegen zahlenmässig erfasst; nicht erfasst
werden die Inhalte, also z.B. die Höhe des auferlegten Geldbetrages.
-
Strafverfolgungsstatistik
Im Vergleich zur StA-Statistik sind die
für die StVStat erhobenen Angaben für Zwecke der Beschreibung
der Sanktionierungspraxis informativer und differenzierter. Erhoben und
nachgewiesen werden Angaben zu Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit
der Abgeurteilten bzw. Verurteilten, zu Art und (teilweise auch zu) Höhe
der Sanktion sowie zu dem der Verurteilung zugrunde liegenden schwersten
Straftatbestand. Allerdings bestehen auch hier einige bedeutsame Einschränkungen:
-
In der StVStat wird jeder Verurteilte nur
einmal ausgewiesen, und zwar bei dem nach Art und Mass mit der abstrakt
schwersten Strafe bedrohten Delikt. Daraus folgt, dass die der Verurteilung
zugrunde liegenden Delikte um so ungenauer erfasst sind, je geringer die
Strafdrohung eines Deliktes ist.
-
Den Strafrahmen beeinflussende Entscheidungen,
wie z.B. Versuch/Vollendung, Täterschaft/Teilnahme, Gesamtstrafenbildung,
werden nicht im Tabellenprogramm über die Art und Höhe der Strafen
ausgewiesen.
-
Insbesondere durch Gesamtstrafenbildung bzw.
- im Jugendstrafrecht - durch die Einbeziehung noch nicht vollständig
verbüsster Sanktionen (§ 31 Abs. 2 JGG) wird das Bild der Sanktionierungspraxis
in Richtung auf schwerere Strafen hin verschoben.
-
Schliesslich gibt die Orientierung an Straftatbeständen
nicht wieder, ob insbesondere wegen unbenannter Strafänderungsgründe
Sonderstrafrahmen angewendet wurden.
-
Die Höhe bzw. Inhalte der nach allgemeinem
Strafrecht verhängten Sanktionen werden nur bei freiheitsentziehenden
Strafen relativ differenziert erfasst; die Vollständigkeit und Differenziertheit
der Erfassung nimmt jedoch deutlich ab, je eingriffsschwächer die
Sanktion ist. Dies heisst im einzelnen:
-
In der StVStat wurde bei Verurteilungen nach
allgemeinem Strafrecht die Dauer der freiheitsentziehenden Strafen vor
1970 nur für Zuchthaus und Gefängnis erhoben, nicht aber für
die anderen freiheitsentziehenden Sanktionen. Die Kategorien für den
Ausweis der Dauer der verhängten Zuchthaus-, Gefängnis- oder
Freiheitsstrafe wurden mehrfach geändert, so dass über einen
längeren Zeitraum die Entwicklung der freiheitsentziehenden Strafen
nach ihrer Dauer nur sehr begrenzt beobachtbar ist. Seit 1950 wurden die
Kategorien insgesamt siebenmal sowohl erweitert als auch geändert.
Für die Zeit ab 1950 blieb nur die Kategorie "lebenslange" und "zeitige"
Freiheitsstrafe unverändert und damit auch der statistischen Analyse
zugänglich, seit 1954 sind bezüglich der zeitigen Freiheitsstrafe
nur die Kategorien "bis einschliesslich 9 Monate", "bis einschliesslich
5 Jahre" sowie "mehr als 5 Jahre bis einschliesslich 15 Jahre" unverändert
geblieben. Die derzeitige Einteilung besteht erst seit 1970.
-
Die Höhe der Geldstrafe wurde erstmals
1967 erhoben, seit 1975 wird die Zahl der Tagessätze in 5 geschlossenen
Kategorien mit jeweils 5 gleichbleibenden Untergliederungen für die
Höhe des Tagessatzes erhoben sowie in einer weiteren offenen Kategorie
"361 und mehr Tagessätze", die aber nicht mehr nach der Tagessatzhöhe
untergliedert ist.
-
Die sonstigen strafrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten
wurden und werden nur unvollständig erhoben. Dies gilt insbesondere
für die "dritte Spur im Strafrecht", für die Bewährungsauflagen
und/oder -weisungen, die nur hinsichtlich des "Ob" (ab 1975), nicht aber
hinsichtlich der Art der Auflagen/Weisungen erhoben werden. Insbesondere
wird nicht erfasst, ob eine Unterstellung unter einen Bewährungshelfer
angeordnet wurde.
-
Besser ist die Datenlage seit Kurzem hinsichtlich
des Täter-Opfer-Ausgleichs (TOA). Die Auflage eines TOA wird seit
2001 in der StA-Statistik sowie in der Justizgeschäftsstatistik in
Strafsachen bei Einstellungen gem. § 153a StPO nachgewiesen (nicht
aber bei Einstellungen gem. §§ 45, 47 JGG). Entsprechend den
in diesen beiden Statistiken geltenden Erfassungsrichtlinien erfolgt ein
Nachweis dann, wenn die Entscheidung nach § 153a StPO die schwerste
Entscheidung war (Nachrang nach Anklage, Strafbefehl, Entscheidung im beschleunigten
Verfahren); innerhalb von § 153a StPO hat dann allerdings TOA Vorrang.
TOA wird in der Strafverfolgungsstatistik ab Berichtsjahr 2002 nachgewiesen
werden.
-
Im Unterschied zum allgemeinen Strafrecht
wird bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht nicht nur die schwerste Strafe
ausgewiesen, sondern bei Erziehungsmassregeln und Zuchtmitteln die insgesamt
verhängten, also auch die nebeneinander angeordneten Sanktionen. Ansonsten
gilt auch hier, dass die Differenziertheit des Ausweises abnimmt, je eingriffsschwächer
die Sanktion ist.
-
Bei Einstellungen gem. § 47 JGG wird
nur das Ob erfasst, nicht nachgewiesen werden die angeordneten erzieherischen
Massnahmen.
-
Entsprechendes gilt für den Nachweis
der durch Urteil angeordneten Erziehungsmassregeln. Diese werden lediglich
der Art nach (Weisung, Erziehungsbeistandschaft, Heimerziehung) erhoben.
Weder wird erfasst, ob mehrere Weisungen nebeneinander angeordnet wurden,
noch wird die Art der Weisung (z.B. Arbeitsweisung, Betreuungsweisung,
sozialer Trainingskurs, Täter-Opfer-Ausgleich usw.), geschweige denn
deren Mass (z.B. Stundenzahl der Arbeitsweisung) erfasst.
-
Auch die Zuchtmittel werden lediglich der
Art nach (Verwarnung, Auflagen, Jugendarrest) erhoben, wobei hier - weitergehend
als bei den Erziehungsmassregeln - innerhalb der Arten differenziert wird
zwischen den drei Formen des Jugendarrestes (Freizeit-, Kurz- und Dauerarrest)
und bei den Auflagen jeweils die Auflage, den Schaden wiedergutzumachen,
einen Geldbetrag zu zahlen oder sich bei dem Verletzten zu entschuldigen
getrennt ausgewiesen werden, sowie - seit 1991 - die Arbeitsleistung und
die Kombination von Arbeitsleistung und Entschuldigung. Nicht ausgewiesen
wird aber das verhängte Mass, also die Dauer des Arrestes, die Höhe
des zu zahlenden Geldbetrages oder die Zahl der zu leistenden Stunden gemeinnütziger
Arbeit.
-
Hinsichtlich der Jugendstrafe schliesslich
wird - relativ differenziert - die Dauer der verhängten Jugendstrafe
in derzeit sieben Kategorien ausgewiesen. Wegen mehrfacher Änderung
der Kategorien - seit 1954 blieben lediglich die Kategorien "6 Monate bis
einschliesslich 1 Jahr" und "mehr als 1 Jahr" unverändert - sind freilich
auch einer zeitlichen Längsschnittanalyse, die bis zum Inkrafttreten
des gegenwärtigen JGG im Jahr 1953 zurückgehen will, deutliche
Grenzen gesetzt.
-
Hinsichtlich der Bewährungsstrafen gilt:
Erfasst wird, ob die Verhängung der Jugendstrafe bzw. ob die Vollstreckung
der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ob Auflagen oder
Weisungen verhängt wurden, wird – im Unterschied zu Verurteilungen
nach allgemeinen Strafrecht - dagegen ebenso wenig erhoben wie die Art
der Auflagen/Weisungen.
-
Justizgeschäftsstatistik in Strafsachen
Die mit den informellen Erledigungsmöglichkeiten
verbundenen Auflagen/Weisungen werden, soweit es sich um Einstellungsentscheidungen
des Gerichts handelt, in der Justizgeschäftsstatistik in Strafsachen
erfasst, ausgenommen bei den (allerdings zahlenmässig geringen) Entscheidungen
der Oberlandesgerichte in der Rechtsmittelinstanz. Grenzen der Aussagemöglichkeiten
bestehen, auch insoweit weitgehend mit jenen der StA-Statistik vergleichbar,
aufgrund der fehlenden Differenzierung nach Delikt, nach Alter und Geschlecht
der Beschuldigten.
-
Bewährungshilfestatistik
Aus dem grossen Bereich der Strafvollstreckung
wird lediglich die bedingte Freiheitsstrafe erfasst, und auch hiervon nur
ein Ausschnitt, nämlich jener der Unterstellung unter einen hauptamtlichen
Bewährungshelfer. Hinsichtlich der Vollstreckung der weit überwiegenden
Zahl der Sanktionen, nämlich der ambulanten Sanktionen (Geldstrafe
im allgemeinen Strafrecht; Erziehungsmassregeln, Verwarnung, Auflagen im
Jugendstrafrecht), fehlen dagegen statistische Angaben. Entsprechendes
gilt für die Vollstreckung von Massregeln der Besserung und Sicherung.
Infolge des Fehlens von strafvollstreckungsstatistischen Informationen
ist z.B. die Rate der eine Geldstrafe in Form einer Ersatzfreiheitsstrafe
verbüssenden Personen nicht genau ermittelbar. Näherungsweise
lässt sich diese Rate allerdings durch Gegenüberstellung der
Zahl der zu Geldstrafe Verurteilten mit den zur Verbüssung einer Ersatzfreiheitsstrafe
in die Strafvollzugsanstalt aufgenommenen Personen bestimmen. Wegen der
unterschiedlichen Erfassungszeiträume von Strafverfolgungs- und Strafvollzugsstatistik
ist eine exakte Bestimmung nicht möglich.
-
Strafvollzugsstatistik
5.1 Anordnung und Vollzug von Untersuchungshaft:
Über die Zahl der Untersuchungshaftanordnungen,
der Untersuchungsgefangenen und über die Dauer der Untersuchungshaft
fehlen vollständige statistische Nachweise. Für die Strafverfolgungsstatistik
werden zwar seit 1975 die Abgeurteilten mit Untersuchungshaft erfasst.
Nicht erfasst ist hierbei die – mutmasslich kleine - Zahl von Untersuchungsgefangenen,
die überhaupt nicht angeklagt wurden, d.h., es fehlen Nachweise über
Untersuchungsgefangene, bei denen das Verfahren gem. §§ 170 II,
153 ff. StPO, § 45 JGG vor Eröffnung des Hauptverfahrens eingestellt
wurde. Nicht erfasst sind ferner Haftanordnungen, die nach Rechtskraft
der das Verfahren abschliessenden Entscheidung ergehen, also insbesondere
Fälle des Sicherungshaftbefehls nach § 453c StPO.
Die StVollz-Statistik informiert lediglich
über die Zahl der am Stichtag (1.1. eines jeden Jahres) inhaftierten
Untersuchungsgefangenen. Stichtagszahlen sind aber kein Mass für die
Zahl inhaftierter Personen, sondern ein Mass für auf Personen bezogene
Inhaftierungszeiten, d.h., sie sind eine Funktion der Zahl der Inhaftierten
und der Haftdauer. Je kürzer die Inhaftierungszeit ist, desto geringer
ist der Ausschnitt der am Stichtag erfassten Zahl der Inhaftierten. Deshalb
ist die zum Stichtag erfasste Zahl der inhaftierten Untersuchungsgefangenen
wesentlich niedriger als die Zahl der insgesamt in einem Jahr inhaftierten
Untersuchungsgefangenen, was wiederum erklärt, weshalb die entsprechenden
Zahlen von StVollz-Statistik und StVStat erheblich voneinander abweichen.
5.2. Strafvollzug
Über die Gesamtzahl der in einem
Jahr Strafhaft verbüssenden Gefangenen informiert die Strafvollzugsstatistik
nur unvollständig. Nachgewiesen werden zum einen demographische Daten
der zum Stichtag – 31.3. – erfassten Gefangenen, zum anderen Bestands-
und Bewegungsdaten, die, wie zuvor bereits erwähnt, kein brauchbares
Mass für die Zahl inhaftierter Personen sind. Die Bewegungsdaten –
Zugangs- bzw. Abgangszahlen – sind nicht aussagekräftig für eine
Zählung von Personen, weil jede Verlegung von Anstalt zu Anstalt sowie
Verlegungen innerhalb einer Anstalt gezählt werden. Aber auch die
jeweils zum Ende eines jeden Monats ermittelten Bestandszahlen geben die
Zahl der insgesamt Inhaftierten nicht korrekt wider, weil zum einen Gefangene
mit einer Vollzugsdauer von unter 12 Monaten unterrepräsentiert sind,
zum anderen weil Bestandszahlen „empfindlich“ sind für anstaltsorganisatorische
und vollzugliche Massnahmen, wie sie etwa die sog. „Weihnachtsamnestien“
aber auch Lockerungen darstellen.
2.3
Grenzen der Aussagemöglichkeiten für Zeitreihenanalysen aufgrund
(in zeitlicher oder regionaler Hinsicht) fehlender Daten
Die StA-Statistik
wird erst seit 1981 auf Bundesebene veröffentlicht, erst seit dem
Berichtsjahr 1989 liegt sie für sämtliche (alten) Bundesländer
und erst seit 1995 auch für alle neuen Bundesländer vor. Diese
zeitlichen und regionalen Beschränkungen begrenzen die Auswertungsmöglichkeiten,
insbesondere hinsichtlich der informellen Sanktionierung. "Bundesergebnisse"
der StA-Statistik für die Zeit zwischen 1981 und 1989 sind mit den
Unsicherheiten von "Hochrechnungen" behaftet. Da Angaben fehlten für
Berlin (1981-1984), Hessen (1981-1987) und Schleswig-Holstein (1981-1988),
wurden für die folgende Auswertung die Daten über Einstellungen
aus Opportunitäts-bzw. Subsidiaritätsgründen vom Verf. auf
der Grundlage der Bevölkerungszahlen und entsprechend dem Durchschnittswert
der anderen Länder geschätzt und so Zahlen für das Bundesgebiet
"hochgerechnet".
Grenzen der Aussagemöglichkeiten
ergeben sich des Weiteren daraus, dass sich die veröffentlichten Daten
der StVStat auf die alten Bundesländer einschliesslich Berlin-West
(seit 1995 einschliesslich Gesamtberlin) beschränken. Deshalb ist
eine auf diese veröffentlichten Daten gestützte Beschreibung
der Sanktionspraxis nur hinsichtlich der alten Bundesländer möglich.
Wegen der zu unterschiedlichen
Zeitpunkten erfolgenden Einbeziehung von Ost-Berlin in die StA-Statistik
(1993) und in die StVStat (1995) ist für diese Jahre eine geringfügige
Überschätzung der informellen Sanktionen unvermeidbar.
2.4
Folgerungen für die Zeitreihenanalyse
Trotz dieser nicht
unerheblichen Einschränkung der Aussagemöglichkeiten im Detail
besitzen die Rechtspflegestatistiken gegenüber Primärdatenerhebungen
oder Aktenanalysen den unbestreitbaren Vorteil, dass sie es erlauben, die
langfristige Entwicklung der Sanktionspraxis seit 1882 hinsichtlich aller
Sanktionsarten (wenngleich nicht immer nach deren Inhalt bzw. Mass) und
in regionaler Differenzierung zumindest in groben Zügen beschreiben
zu können. Seit 1981 ist es ferner möglich, auch die sog. "informellen
Sanktionen" von Staatsanwaltschaft und Gericht in ihren Grössenordnungen
im zeitlichen Längsschnitt und im regionalen Querschnitt zu beschreiben
und zu analysieren. Primärdatenerhebungen oder Aktenanalysen leiden
demgegenüber unter dem regelmässig nicht ausräumbaren Nachteil
der zeitlichen oder lokalen Beschränkung, die einer Verallgemeinerung
der Befunde entgegenstehen.
3.
Sanktionierungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland - räumlicher
Bezug der Beschreibung
Wegen der regional begrenzten Verfügbarkeit
der Ergebnisse insbesondere der StVStat beziehen sich die im Folgenden
mitgeteilten Ergebnisse bis 1960 auf die alten Bundesländer (ohne
Saarland und Berlin-West), ab 1961 auf die alten Bundesländer einschliesslich
Berlin-West, ab 1995 auf die alten Bundesländer einschliesslich Gesamtberlin.
Länderspezifische Auswertungen werden nur ausnahmsweise vorgenommen
und dargestellt.
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zuletzt
bearbeitet am 21.7.2003 [sanks01b.htm]