Gerhard Spiess, Universität Konstanz

 

Jugendkriminalität in Deutschland - zwischen Fakten und Dramatisierung
Kriminalstatistische und kriminologische Befunde*

 

 


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Verfolgt man über längere Zeit die Berichterstattung über das polizeilich registrierte Krimi­nalitäts­auf­kommen, so finden sich immer wieder die selben Aussagen: 

1. Die Kriminalität steigt besorgniserregend.  

2. Besorgniserregend ist der überproportional hohe Anteil junger Tatverdächtiger.

3. Besonders besorgniserregend ist, dass der Anteil der jungen Tatverdächtigen - v.a. der Kin­der und Jugendlichen - zudem immer weiter steigt,

    wobei wieder besonders hervorgehoben wird

4. die Entwicklung der Gewaltkriminalität speziell bei den jungen Tat­ver­dächtigen,

    mit der Folge, dass 

5. die Bürger, und vor allem ältere Menschen, sich immer unsicherer fühlen .

Was zu diesen Aussagen aus den verschiedenen verfügbaren krimi­nal­statis­tischen Datenquellen entnommen werden kann, soll im Fol­gen­den dargestellt und bewertet werden.

Hierzu werden im Einzelnen untersucht:

·        die Befundlage zur Kriminalitätsentwicklung in Deutschland anhand der Polizeilichen Kriminal­statistik (PKS) und zur Ausprägung des Unsicherheitsgefühls und der Kriminalitäts­ängste in der Bevölkerung; 

·        der Zuwachs registrierter Tatverdächtiger bei jungen im Vergleich zu erwachsenen Alters­gruppen;

·        die quantitative Entwicklung der Belastung der verschiedenen Alters­gruppen in der Tat­verdächti­gen- und der Verurteilten­statistik;

·        die qualitativen Besonderheiten der registrierten Jugend- im Vergleich zur Erwachsenen­delinquenz;

·        die Entwicklung der Opferbelastung junger Menschen;

·        die Frage nach dem Umgang von Polizei und Justiz mit Straftaten jun­ger Menschen.

Die Befundlage zur Kriminalitätsentwicklung in Deutsch­land nach der PKS

In den Medien veröffentlichte Aussagen über die Kriminalitäts­entwicklung stützen sich in der Regel auf die Zahlen, meist auf die absoluten Zahlen, der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), wie sie für die alte BRD seit 1963 in vergleichbarer Form vorliegen.[1] 

 

 

Schaubild 1: Absolute Zahl polizeilich registrierter Fälle, Tat­ver­dächtiger und Verurteilter  ab 1963        

Danach hat sich die absolute Zahl der polizeilich registrierten Fälle in der lang­fristigen Tendenz mehr als verdreifacht, die Zahl der als tatverdächtig Registrierten mehr als verdoppelt (Schaubild 1).<c:\s\kidat\kik.pr4>#4  

Wenn wir die Änderung der Häufigkeitszahlen in den letzten Jahren mit der Entwicklung in früheren Perioden vergleichen, sehen wir, dass vor 1985 die jeweils für 5-Jahres-Zeiträume dar­gestellten Zuwächse zeitweise bis 30% oder mehr (oder 6% pro Jahr) ausmachten, deutlich mehr als im Schnitt der letzten Jahre (Schaubild 2). 

Erkennbar wird auch, dass für den erheblichen Zuwachs in diesem Zeitraum die Zunahme der registrierten Gewalt­krimi­nalität eine quantitativ völlig untergeordnete Rolle spielt: Die Gewaltkriminalität macht etwa 3% des registrierten Fallaufkommens auf, und sie trug auch zum Zuwachs etwa 3% bei, während nicht weniger als 70% des Fall­zuwachses auf die Eigentumsdelikte Diebstahl, Sach­beschä­di­gung, Unterschlagung zurückgehen.



Schaubild 2: Entwicklung der Häufigkeitszahlen 1963 - 2007                                .<
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Schaubild 3: Entwicklung der registrierten Gewaltkriminalität 1963 - 2007             

Betrachten wir die Gruppe der Gewaltdelikte genauer (Schaubild 3), so geht der Zuwachs innerhalb dieser Gruppe wiederum nicht auf die schwersten Fall­kon­stellationen der Tötungs- oder Vergewaltigungs­delikte zurück, sondern überwiegend - zu mehr als 2/3 -  auf die Zunahme der angezeigten Fälle der sog. schweren und gefährlichen Körper­verletzung gem. Definition der PKS, eine Delikts­gruppe, auf die unten noch eigens einzu­gehen sein wird. 

Befunde kriminologischer Forschung sprechen dafür, dass diese Zunahme in den polizeilich registrierten Fällen von Gewaltdelikten überwiegend nicht auf eine entsprechende tatsächliche Zunahme im Dunkelfeld zurückzuführen sind, sondern auf eine vermehrte Aufhellung des Dunkelfelds v.a. durch Anzeigen. So fand Schwind bei einer Dunkelfeldbefragung in Bochum, dass die Zahl der polizeilich registrieren Fälle von Körperverletzung sich im Unter­suchungs­zeitraum mehr als verdoppelt hatte, während die Zahl der von den Bürgern (unabhängig von einer Anzeige bei der Polizei) mitgeteilten Körperverletzungsfälle nur mäßig - um weniger als ein Viertel - zugenommen hatte: Die Anzeigerate war dagegen von nur 12% im Jahr 1975 auf 23% im Jahr 1998 gestiegen, hatte sich also nahezu verdoppelt. Die Zu­nahme der in der PKS registrierten Fälle von Körperverletzungs­delinquenz ging demnach ganz überwiegend nicht auf eine tatsächliche Zunahme zurück, son­dern auf eine massive Zunahme der Anzeigebereitschaft.[2]. Solche Änderungen im Anzeige­verhalten haben nicht nur eine stärkere Auf­hellung des Dunkelfelds zur Folge; sie führen auch dazu, wie u.a. durch Erhe­bungen in Bayern und Niedersachsen zur Gewaltdelinquenz belegt wurde,[3] dass infolge erhöhter Sensibilisierung und An­zeigemotivation insbeson­dere der Anteil von leichteren Fällen unter den angezeigten Fällen zunimmt, von denen ein größerer Teil dann bei der staats­anwaltschaftlichen und gerichtlichen Bewertung einer recht­lichen Prüfung nicht standhält.

Auch was die in letzter Zeit vermehrt diskutierte Gewalt an Schulen betrifft, führt eine genauere Betrachtung der verfügbaren, von der Anzeigeerstattung bei der Polizei unabhängigen, Daten zu einem differen­zierten Befund. Entgegen dramatisierenden Darstellungen, wonach Häufigkeit und insbe­sondere auch Ausmaß physischer Gewalt an Schulen in den vergangenen Jahren stark zugenommen habe, fand eine Sonderauswertung des Bundesverbandes der Unfallkassen (BUK)[4] hierfür keine Bestätigung. Danach sank beiden Hauptschulen die Häufigkeitszahl der Raufunfälle je 1.000 Schüler von 48,6 im Jahr  1993 auf 32,8 im Jahr 2003. Auch eine Zunahme der Brutalität in den Ausein­ander­setzungen konnte der Bundesverband der Unfallkassen  nicht feststellen, dem Meldungen über alle Unfälle an allgemeinbildenden Schulen über Vorfälle aggressiven Verhaltens zwischen Schülern vor­liegen, bei denen ärztliche Behandlung erforderlich wurde: Die Frakturenquote als Maß­stab für schwere Verletzungen hatte sich in keinem Schultyp erhöht, sondern nahm vielmehr tenden­ziell ab. Auch die verbreitete Annahme, dass ausländische Schüler zunehmend an Gewalt­handlungen beteiligt seien, wurde nicht bestätigt. 

Dass die Zunahme der in der PKS ausgewiesenen Fallzahlen über­wiegend auf die vermehrte Anzeige nicht der schwereren, sondern der eher leich­teren Fallgruppen zurückgeht, dafür spricht auch der Vergleich mit der schwersten Fallgruppe - den Tötungsdelikten, bei denen Ände­rungen im Anzeige­verhalten keine erhebliche Rolle spielen dürften:

Gerade für die Häufigkeitszahlen der besonders gravierenden Fälle von Mord und Totschlag insgesamt oder speziell der Raub- und Sexualmorde, die die mediale Kriminali­täts­darstellung anhand spek­ta­kulärer Einzelfälle sehr stark prägen, zeigt die PKS im langfristigen Trend keine Zunahme, bei Sexualmord und Raubmord sogar insb. seit Ende der 90er Jahre einen deutlichen Rück­gang der Häufigkeit registrierter Fälle (Schaubild 4).

 

Schaubild 4: Entwicklung registrierter Tötungsdelikte seit 1987                              

 [voll. Sexualmord an Kindern: alter (0120) + neuer Schlüssel (1115+1318): ]

Erst neuerdings – nicht aber in älteren Jahrgängen der PKS – werden neben dem alten Schlüssel für „-Mord in Zusammenhang mit Sexualdelikten“ (Schlüsselzahl [SZ] 0120 ) zusätzlich die Schlüssel SZ 1115 und 1318 („.Vergewaltigung und sexuelle Nötigung m. Todesfolge“ und „.sexueller Missbrauch mit Todesfolge“) ausgewiesen; diese können daher für die lange Zeitreihenanalyse nicht verwendet werden, da sie für frühere Jahre nicht verfügbar sind.  Selbst wenn die – 1971 noch nicht erhobenen – Zahlen für die Fälle der SZ 1115 und 1318 nunmehr mit hinzugezählt werden, ergibt sich gegenüber den 70er Jahren keine Zunahme, sondern sogar eine deutliche Abnahme der Häufigkeit von registrierten Sexualmorden bzw. ab 1999 von Sexualdelikten mit Todesfolge insgesamt. [\s\id\jkrim\Sexualmord-weitereSZ(Einwand Peter Sutterer).doc] 

Auch bei den Sexualmorden bzw. ab 1999 den Sexualdelikte mit Todesfolge an Kindern findet sich (bei - wegen der geringen absoluten Zahlen - erheblichen Schwankungen von Jahr zu Jahr) kein Beleg für die verbreitete Behauptung einer Zunahme der Sexualmorde an Kindern.

 

Schaubild 5: Entwicklung registrierter Sexualmorde an Kindern (Häufigkeitszahlen und abs. Zahlen der Opfer) seit 1971; alter und ab 1999 und um Fälle nicht-vorsätzliche Tötung erweiterter neuer Schlüssel

Daten: für Kinder T91: C:\s\kidat\T91_OpferAlter_vollendet_ ab_87bis02_mit_OG_Internet2003.xls [OpferBZab 1987 BRD vollend] (GS 05.09.2007 16:23:40)

2007: C:\s\PKS\2007\_Opfer-Tabellen_2007 Bund_31mrz08.xls [Tabelle91(mod)] (GS 15.07.2008 19:03:10)

ZR bis 2007 HZ (OGZ) T91: C:\s\PKS\zr\ZR_Bund_Tab91_87-07_Internet08.xls[Opfer_insgesamt_OGZ] (GS 27.01.2009 15:20:03)
ZR bis 2007 HZ (OGZ) T1 Fälle einschl. Versuch:
C:\s\PKS\zr\_ZR_Bund_Tab01-Basis -mit HZ_87-07_Internet08.xls [Tab01] (GS 09.07.2008 14:51:31)

Wie weit sich die oft dramatisierende Medienberichterstattung nicht nur von der statistisch erfassten Kriminalitätsentwicklung entfernt hat, sondern auch von der Ausprägung des subjektiven (Un-)Sicher­heits­gefühls in der Bevölkerung, zeigen Befunde aus Bevölkerungsbefragungen zu Kriminalitätsfurcht und Viktimisierungserwartungen: Die Befragten äußern im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in Deutschland nur relativ geringe Viktimisierungserwartung. Zudem sank - entgegen dem EU-Trend -  in Deutschland die Kriminalitätsfurcht im Untersuchungszeitraum[5]

 
Schaubild 6: Die Kriminalitätsfurcht ist in der deutschen Bevölkerung vergleichsweise gering ausgeprägt.

: Sicherheitsgefühl BRD  RUV???  C:\s\id\whatworks\BY2006\BY-ex-ppt-3c.doc

Immer jünger - immer schlimmer? Die Zunahme der statis­tischen Belastung junger Menschen in der Tatverdächtigen- und der Ver­urteiltenstatistik

Besonderes Interesse (und besondere Besorgnis) zog lange Zeit - be­sonders auch in den polizei­lichen Darstellungen - die langjährig beob­achtete Zunahme der absoluten Zahl und des Anteils der jungen und jüngsten Altersgruppen an den polizeilich Registrierten auf sich. 

Betrachten wir die (seit 1993 für das Gebiet der heutigen BRD flä­chendeckend vorliegenden) absolu­ten Zahlen, stellt sich die Ent­wicklung zunächst weniger auffällig dar (Schaubild 6):

 


Schaubild 6: Altersstruktur der Tatverdächtigen, abs. Zahlen [jkrim.pr4]                                 

Zuwächse in den absoluten Zahlen der als tatverdächtig Registrierten kommen, jedenfalls in den letzten Jahren, nicht mehr aus der Gruppe der Kinder und Jugendlichen, sondern aus den Gruppen der 18- bis unter 25-Jährigen und vor allem der ab 40-Jährigen, deren Anteil ab 1998 zunimmt, während der Anteil der Kinder und Jugendlichen ab­genommen hat; dies aber als Folge der demo­graphischen Verschie­bungen in der Altersstruktur. Dementsprechend geht die Zunahme der Zahl der registrierten Tatverdächtigen von 1993 bis 2007 überwiegend nicht auf die jungen Generationen zurück, sondern - zu 90% - mehrheitlich auf die älteren Bevölkerungsgruppen ab 40.

Schaubild 7: Altersstruktur der Tatverdächtigen, Verschiebung der Anteile infolge der demographischen Entwicklung [jkrim.pr4                                                                                                                                  

Früher war eines der häufig zitierten Schlagworte der Krimi­nali­täts­bericht­erstattung: „Straftäter werden immer jünger!“. Muss es künf­tig heißen: „Straftäter werden immer älter“? Die zweite Parole wäre genau so einfältig wie die erste. Denn die - derzeitige und weiter absehbare - Zu­nahme des Anteils registrierter Tatverdächtiger ab 40 (Schaubild 7) ist eine Folge der bekann­ten (und weiter ab­seh­baren) Ver­schie­bun­gen in der Alters­struktur der Bevölkerung. /hier $$$NEXT-> FN GS Demogr./

Sinnvolle Aussagen über die Belastung der einzelnen Altersgruppen sind weder anhand absoluter Zahlen noch anhand des Anteils einzelner Alters­gruppen am Gesamtaufkommen möglich, vor allem dann nicht, wenn sich die Altersstruktur der Gesellschaft so erheblich verändert, wie wir es derzeit erleben. Für Ver­gleichszwecke müssen vielmehr Häufig­keits­zahlen (wie die Tatver­dächtigen­belastungs­zahl - TVBZ - und die Verurteiltenzahl -VZ -) berechnet werden, die sich auf jeweils 100.000 der vergleichbaren Bevölkerungsgruppe in der Wohn­bevöl­ke­rung beziehen. Die TVBZ kann hinreichend genau nur für die Re­lation der deutschen TV zur deutschen Wohn­bevölke­rung berechnet werden,[6] denn in der Zahl der polizeilich regis­trier­ten TV insgesamt sind - in nicht unerheblichem Umfang und nicht hinrei­chend genau quanti­fizier­bar[7] - auch Personen mit erfasst, die nicht zur amtlich regis­trier­ten Wohnbe­völkerung zählen. [8] Für Zeitreihenvergleiche anhand der PKS stehen nur Daten zu den Ländern der alten Bundes­republik und Berlin zur Verfügung. Weiter zurück reichen dagegen die Daten aus der Verurteilten­statistik, wie sie erstmals Heinz[9] für das Kon­stan­zer Inven­tar zu­sam­men­gestellt und berechnet hat, ausgehend von den ersten ver­füg­baren Daten der Reichs­kriminalstatistik 1886/1895 (Schaubild 8).


Schaubild 8: Die Altersverteilung der Verurteiltenzahlen von 1886 bis heute         

Zu Ende des 19. Jahrhunderts war (u.a. mangels der heute genutzten Diver­sionsmöglichkeiten des Straf­rechts) die Häufigkeit von Verur­teilungen sowohl bei Jugendlichen/Jung­erwachsenen als auch bei den Altersgruppen über 30 höher als heute. Die - auch für die Daten der PKS - charakteristische asym­metrische der Verteilung über das Alter (Schaubild 9) fin­det sich, seit überhaupt statistische Daten vorliegen. Dass in der zweiten Lebenshälfte die Verurteiltenraten relativ abneh­men und dann auch durchweg auf einem ähnlichen Niveau liegen, zeigt, dass es sich hier um eine alters­gebun­dene Verteilung handelt und nicht etwa um Generations­effekte, die auf das Nachrücken auch länger­fristig im Erwachsenenalter entsprechend stärker belasteter Ge­burtskohorten schließen lassen würden.[10]


Schaubild 9: Die Altersverteilung der Tatverdächtigenzahlen 1987-2007      

Für Zeitreihenvergleiche geeignete polizeiliche Daten stehen seit Mitte der 80er Jahre[11] zu den Ländern der alten Bundes­repu­blik und Berlin zur Verfügung, seit 1993 für Gesamt-Deutschland einschließlich der 5 'neuen' Länder.

Auch diese Polizeidaten zeigen, dass die jährliche Registrierungshäufigkeit bei jungen Men­schen über die Zeit erheblich zunahm, dass jedoch die später im Voll­erwachsenenalter registrierte Belastung jeweils wieder deutlich niedriger lag.

Dies wird bei einer geeignete Projektion derselben Daten - hier auf der Zeit­achse - noch deutlicher (Schaubild 10):  ///$$$ da fehl(T)en aber die VE !!!!/// EVTL 2 SB, zu TV mit Kindern????-> DTVDVU.pr4 KIK.pr4


Schaubild 10: Tatverdächtigen- und Verur­teil­ten­belastungszahlen 1984-2006/2007   <
\s\kidat\dtvdvu8406.pr4>

Seit Anfang der 90er Jahre ist der Anteil der polizeilich als tatver­dächtig Registrierten in den Altersgruppen unter 21, seit 1995 auch bei den 21- bis unter 25-Jährigen, deutlich angestiegen. Je jünger, je schlimmer? Zieht man zum Vergleich die Entwicklung der Häufig­keits­zahlen gerichtlicher Verurteilungen heran, so zeigt sich, dass die Häufigkeit von gerichtlichen Verurteilungen im Vergleich zu den Tat­verdächti­gen­zahlen nur leicht zugenommen hat, dass die Schere zwischen polizeilicher Registrierung und förmlicher Sanktio­nierung durch Strafurteil immer weiter auseinandergegangen ist, dass - mit der Zunahme der polizeilich registrierten Verdachts- und Anzeigefälle - zugleich der Anteil der durch die Justiz als verurteilenswürdig bewer­teten Fälle abgenommen hat. 

Diese Entwicklung ist nur zum Teil auf den Ausbau der Opportunitäts­entscheidungen bei den leich­teren Fällen (Diversion) zurückzuführen. Denn die dargestellte Öffnung der Schwere zwischen TVBZ und VZ fin­det sich auch bei den schwereren Fallgruppen der Gewalt­delin­quenz, bei denen staats­anwalt­schaft­liche Diversi­ons­entscheidun­gen wie die Einstellung wegen Geringfügigkeit oder wegen Ver­nein­ung des öffentlichen Interesses an der Straf­ver­folgung regelmäßig nicht in Betracht kommen. Zudem hat sich nicht nur bei jungen Be­schuldigten, sondern auch bei Jungerwachsenen und Voll­erwachsenen die Schere zwischen Tatverdächtigen- und Verur­teilten­zahlen geöff­net[12]. Eine Sonder­auswertung der Ermittlungs- und Straf­akten der 1989 und 1998 in München wegen Gewalt­kriminalität registrierten Heranwachsenden und Jung­erwachsenen durch die Kriminologische Forschungs­gruppe beim Bayeri­schen LKA ergab, dass die Zunahme der Anzeigen vor allem auf minderschwere Fälle zurück­ging - und dass in der Folge nicht etwa der Anteil der Einstellungen wegen Ge­ringfügigkeit, sondern vor allem der Anteil der mangels hinreichenden Tatverdachts gem. § 170 Abs. 2  StPO ein­zu­stellenden Ermittlungs­verfahren deutlich zunahm.[13] Die Zunahme der poli­zeilich registrier­ten Fälle bestimmten demnach nicht schwerere, sondern leichtere Fälle der Gewalt, und zunehmend solche Fälle, bei denen die Justiz die Strafbarkeitsvoraussetzungen nicht gegeben sah. 

Deutschland sucht die Monstergeneration: Nicht nur die Kinder und Jugendlichen legen zu

Eine weitergehende Untersuchung der Entwicklung der Tat­ver­däch­ti­gen-Belastungszahlen der Alters­gruppen im Vergleich über die Zeit spricht ebenfalls für eine zurückhaltendere und vor allem differen­ziertere Deutung der Zunahmen bei Kindern und Jugendlichen, als dies in der Vergangenheit in ver­schieden­en Verlautbarungen der Fall war:

C:\s\PKS\zr\ZR_Bund_Tab40_TVBZ_87-07_Internet08.xls [work] (GS 22.01.2009 18:27:37)  G:\PKS\zr\T40_DTVI_ab_87bis03_mit_TVBZ_Internet2004.xls : [_TVBZ ZR ab 93 mit NL_]  insgesamt=ohne Kinder < 8 Jahre;
C:\s\PKS\zr\ZR_Bund_Tab40_TVBZ_87-07_Internet08.xls [work] (GS 22.01.2009 18:27:37

 

Schaubild 11: Die Entwicklung der TVBZ verschiedener Altersgruppen im Zehnjahreszeitraum  1997 bis 2007

Überdurchschnittliche Zuwächse der TV-Belastungszahlen in Zenhnjahreszeitraum von 1997 bis 2007 werden nicht bei Kindern oder Jugendlichen beobachtet, sondern bei den jungen Erwachsenen zwischen 21 und 40 Jahren - und bei den 50- bis 60-Jährigen. (Schaubild 11).  

Die zeitweilig extremen jährlichen Anstiege 1992 bis 1995 bei den polizeilich registrierten Kindern und Jugendlichen wurden häufig so dargestellt, als wachse eine neue ‚Monstergeneration’ heran, die für die künftige Kriminalitätsentwicklung Schlimmes erwarten lasse. Tat­sächlich haben sich die extremen Zuwachsraten bei den regis­trierten Kindern jedoch nicht etwa um vier Jahre versetzt später bei den je­weils nächst­höhe­ren Altersgruppen der Jugendlichen bzw. Heran­wachsenden fortgesetzt. Die zeitweilig überproportionale Zu­nahme der registrierten Belastung bei den minder­jährigen Tatver­dächti­gen darf demnach nicht so gedeutet wer­den, dass hier eine besonders auffällige Generation junger „Monster“ heranwächst, die auch in den Fol­gejahren entsprechend häufiger in Erscheinung treten wird. Viel­mehr scheint es sich über­wiegend nicht um generati­onen­gebundene, sondern um zeitgebundene Effekte zu handeln, die aus krimino­logi­scher Sicht vorrangig durch Verän­derun­gen in der alters- (oder bes­ser: jugend-) spezifischen Kontrollintensität zu erklären sind, also weniger durch das (Kriminalitäts-)Verhalten der jungen Generationen, als vielmehr durch das (Kontroll-)Verhalten gegenüber den jungen Generationen und deren alterstypischer Delinquenz. 

Wenn es Altersgruppen mit auffälligen Entwicklungstrends gibt, dann sind es im hier betrachte­ten Zeitraum jedenfalls nicht die Minderjährigen, sondern einzelne Gruppen im Er­wach­senen­alter: insbesondere die 21- bis 25-Jährigen und - seit 1995 vom Trend der Erwach­senen insgesamt abweichend - die Gruppe der 50- bis 60-Jährigen. Da es sich bei letzteren, wie bei den Kindern, um relative Veränderungen gegenüber einer absolut eher geringen Fallzahl handelt, sollte man auch in diesem Falle mit der Identifizierung einer vermeint­lichen „Monstergeneration“ eher vor­sichtig sein. 


Schaubild 12: Die Entwicklung der TVBZ ausgewählter Altersgruppen vor und nach 1995

Veränderungen im Gefüge der Altersgruppen lassen sich erst bei Be­trach­tung hinreichend langer Zeitreihen bewerten. Dabei müssen ne­ben den quantitativen Unterschieden der Belastung insbesondere auch die - erheblichen - qualitativen Unterschieden in der Belastung der ver­schiedenen Altersgruppen berücksichtigt werden; geprüft werden muss ferner, wieweit die anhand der PKS quantifizierbare Entwick­lung durch Änderungen im delinquenten Handeln oder aber durch verän­derte Kontroll­strategien verursacht ist. Beides soll in der Folge unter­sucht werden. 

Die Deutung kurzfristiger - etwa jährlicher - Veränderungen der Belastungs­zahlen in der PKS, wie sie regelmäßig bei der Vorstellung der PKS im Vergleich zum Vorjahr vorgenommen zu werden pflegen, ist für eine seriöse Bewertung jedenfalls absolut ungeeignet (wie schon oben Schaubild 2 hinreichend deutlich machen sollte). 

Kriminalität - kein seltenes Ereignis, weder bei den Jungen noch bei den Erwachsenen

Zwei Faktoren sind indessen - über alle kurz- und langfristigen Verän­de­rungen hinweg - mit kon­stanter Regelmäßigkeit mit deutlich er­höh­ter Belastung verbunden: das Alter und das Geschlecht (Schaubild 13). 



Schaubild 13: Altersabhängige Verteilung der Belastung männlicher u. weiblicher Tatverdächtiger in der PKS

Die Spitze der statistischen Belastung in der PKS liegt regelmäßig bei der Gruppe der jungen Männer zwischen etwa 15 und 25: Alleine in einem einzelnen Berichtsjahr der PKS wird von den männlichen Deutschen zwischen 15 und 25 Jah­ren etwa jeder zehnte als tat­ver­dächtig registriert; die Belastung der jungen Männer in den besonders ‚aktiven‘ Altersgruppen ist dabei mehr als 3-mal so hoch wie die der gleich­­altrigen Frauen. Bei diesen Belastungszahlen handelt es sich um statistische Durch­schnitts­werte für die Bundesrepublik; bekanntlich sind die Belas­tungszahlen in den Flächenstaaten - und dort insbe­sondere den länd­lichen Gebieten - erheblich niedriger als in den großstädti­schen Bal­lungsräumen und den Stadt­staaten, wo die Belastung der jungen Alters­gruppen bis zum Doppelten der hier dargestellten Werte, also bis zu einer Registrierungsdichte bis um die 20% der Alters­gruppe in einem einzigen Jahr, reichen kann. 

Als junger Mann „polizeiauffällig“ zu werden ist demnach kein be­son­ders auffälliger, sondern ein - im statistischen Sinne - eher norma­ler Vorgang. Denn wenn schon in einem einzigen Jahr der Adoles­zenz­phase die Wahrscheinlichkeit, registriert zu werden, bei 10% und mehr liegt, ist zu bedenken, dass die Phase dieses Registrierungsrisi­kos länger als nur ein Jahr andauert - und dass auch danach eine poli­zei­liche Registrierung keineswegs zu den ganz seltenen Ereignissen zählt (Schaubild 14). 

 

Schaubild 14: Altersverteilung der Belastung bei männlichen deutschen Tatverdächtigen   C:\s\kidat\JKRIM.pr4   

Kumuliert man das jährliche Registrierungsrisiko der männlichen Deutschen (Senkrechte Säulen = altersspezifische TVBZ) über die Lebensaltersjahre hinweg (die Fläche unter der Alterskurve ist ein anschauliches Maß da­für), so kommen auf 100.000 der männlichen Deutschen im Alter von ca. 22 Jahren 100.000 bis dahin erfolgte Registrierungen; d.h. im Schnitt entfallen auf je 100 männliche Deutsche bereits 100 Registrie­rungen als Tatverdächtige (TV) nach der Echttäterzählung[14]. Das heißt nicht, dass 100% als TV registriert wären, da ein Teil der TV bereits in mehr als einem Jahr registriert wurde, ein anderer Teil dafür noch gar nicht; der statistische Erwartungswert (für die mittlere Häufig­keit des Auftretens als TV oder die mittlere Registrierungsdichte) liegt mit 22 Jahren jedenfalls bei 100.000 je 100.000 der gleich­altri­gen Wohnbe­völkerung oder 100%, mit ca. 28 Jahren bei 150%. Zwar sinkt die jährliche Auf­tre­tens­rate (Inzidenz) nach dem 21. Lebensjahr wieder allmählich ab; die beson­ders hohen jährlichen Registrierungsraten bleiben auf die jungen bis jungerwachsenen Alters­gruppen beschränkt. Aber der Anteil der bis dahin mindestens einmal Registrierten wie auch die mitt­lere Häufig­keit von Registrie­rungen pro Registrierten[15] steigt mit zu­neh­men­dem Lebensalter - nach dem 20. Lebensjahr noch einmal dop­pelt so stark wie bis zum 21. Lebensjahr. Alleine in den 15 Jahren zwischen 25 und 40 nimmt die Registrierungshäufigkeit in etwa demselben Umfang zu wie in den ersten 20 Lebens­jahren eines Men­schen. Wenn die Belastung der jungen Generationen langfristig zugenommen hat, dann spricht  das jedenfalls weniger dafür, dass wir Erwach­senen durch eine heranwachsende Monster­generation gefährdet würden - es spricht wohl eher für die Lernfähigkeit der Jungen: Von wem sollen sie’s lernen - wenn nicht von den Erwachsenen?


Was für eine lasterhafte Jugend!
Statt auf die Alten zu hören, ahmt sie die Alten nach!

Wieslaw Brudzinski. poln. Aphoristiker, geb. 1920

Auch wiederholte Auffälligkeit meist kein Karriereeinstieg 

Die Zahlen der PKS zeigen, dass (jedenfalls für die männliche Bevöl­kerung) weder die Unauffälligkeit noch die nur einmalige, sondern eher sogar die mehrmalige ‚Polizeiauffälligkeit‘ im Laufe der Biogra­phie der statistische Durchschnittsfall ist. Die Häufigkeit der Polizei­auf­fälligkeit ist, wie aus ver­schie­denen Unter­su­chun­gen belegt, un­gleich verteilt: eine Min­derheit der Registrierten tritt innerhalb einer begrenz­ten Zahl von Jahren häufiger in Erscheinung, so dass einer Minderheit von etwa 3% bis rd. 5% Mehrfach- oder Intensiv­tätern ein überproportionaler Anteil von registrierten Delikten (genannt wer­den 22%[16] bis zu 30% und mehr) zugeordnet wird. Eine Untersuchung der Kriminologischen For­schungsgruppe der Bayerischen Polizei bei einer Kohorte von 14- und 15-jährigen Jugendlichen in München er­gab, dass über einen Zeit­raum von mehr als drei Jahren jeweils ein Drittel mit nur einer, ein weiteres Drittel mit 2 bis 4 und ein weiteres Drittel der Kohorte zumindest zeitweilig mit 5 und mehr Straftaten pro Jahr auf­fiel; 1/4 dieser Gruppe fiel über einen Zeitraum von mehr als drei Jah­ren und mit mehr als 5 Straftaten pro Jahr auf.[17]  

Aber auch für die Gruppe der jungen Mehrfachauffälligen gilt, „dass ein Grossteil nur während einer begrenzten Altersphase mit strafjusti­ziell registriertem Verhalten in Erscheinung tritt“.[18] Die meisten der polizeilich registrierten Mehrfachtäter bleiben z.B. nach den einschlä­gigen Unter­suchungs­ergeb­nissen von Kerner "im Regelfall nur 1 bis 2 Jahre in den Registern ... und (verschwinden) dann wie­der, ohne irgendwelche offiziellen Spuren zu lassen".[19] Selbst intensiver han­delnde Täter gehen oft nicht über ein Intervall von zwei bis drei Jahren hinaus[20]; "fünf und mehr Jahre werden nur von einer kleinen Minder­heit erreicht. Bei den gehäuft Rückfälligen im Jugendalter dauert die 'Karriere' überwiegend (nur) 7 bis 9 Jahre ... Karrieren, die das 30. Lebensjahr überdauern, sind äußerst sel­ten; sie treten relativ gehäuft dann vor allem bei solchen Tätern auf, die schwerer verurteilt wurden und mehrfach freiheitsentziehende Strafen verbüßt haben".[21] Straf­rechtlich relevantes Verhalten ist demnach in der Regel kein Einstieg in intensive oder schwere Deliktsbege­hung.“[22] Insbesondere aber kann auch aus zeitweise häufiger Auffälligkeit im Kindes- und Ju­gendalter keine hinreichend sichere Prognose des Eintritts einer im Erwach­senen­alter fortdauernden Karriere oder des Übergangs zu er­wach­sen­en­typisch schwer­wiegenderer Delinquenz geschlossen wer­den.[23] Sowohl anhand von Daten des Bundes­zentral­registers[24] als auch anhand polizeilicher Aktenauswertungen[25] zeigt sich, dass selbst nach mehr­facher Registrierung im Jugendalter ein Abklingen der Regis­trie­rungs­karriere wahr­schein­licher bleibt als die längerfristige Fortsetzung. Forschungen zum Karriereabbruch[26] zeigen, dass dafür weniger das Ausmaß der Vor­belastung als vielmehr das Vor­han­den­sein günstiger Bedingungen für eine (berufliche, sozi­ale) Reintegration bedeutsam sind - also die selben Rahmenbedingun­gen, die auch in Hinblick auf Prävention bedeutsam sind. Dies gilt auch für andere Gruppen, die zeitweilig - und oft über eine bestimmte, aber begrenzte Lebens­spanne hinweg - in Zusammenhang mit unge­lösten Inte­gra­tions­problemen gehäuft in Erscheinung treten, wie einen Teil der jungen Zuwanderer ohne oder mit deutschem Pass (Immig­ran­ten; Aus­siedler). Gerade bei der sog. Ausländer- wie bei der sog. Aus­sied­lerkriminalität wird deutlich, dass nicht die Staatsangehörig­keit "krimi­nell" werden lässt, sondern dass hierfür insbesondere, wie auch bei einem großen Teil der ‚eingeborenen’ Mehrfachtäter, unge­lös­te Inte­grationsprobleme von Bedeutung sind. „Schon die für junge In­ten­siv­täter typische Anhäufung zahlreicher Risikofaktoren und dis­sozi­alen Entwicklungen (..) macht deutlich, dass mit Mitteln des Straf­rechts allein oder auch nur überwiegend wenig erreicht werden kann“[27]. Dass gerade junge Menschen durch fehlende Startchancen und subjektive Perspek­tiv­losigkeit[28] besonders belastet und auch ge­fähr­det werden, ist keine neue Erkenntnis; dass dies Bedingungen sind, die in der Verantwort­lichkeit der Erwachsenen­gesellschaft liegen, scheint manchmal in Vergessenheit zu geraten.

Besonderheiten der Jugend- im Vergleich zur Erwach­sen­en­kriminalität 

Dass die aus polizeilichen und gerichtlichen Statistiken ersichtliche Altersverteilung ein keineswegs neues - und etwa der besonderen Ver­derbtheit der zeitgenössischen Jugend zuzuschreibendes - Phänomen ist, zeigen die oben dargestellten Längsschnittvergleiche: Es ist al­terstypisch, dass pro Jahr von den jungen Men­schen mehr als TV polizeilich registriert werden als in den älteren Jährgängen. Seinen Grund hat das offen­sichtlich nicht nur in der delinquenten Aktivität der jungen Altersgruppen, sondern v.a. in der besonderen Qualität der Delikte, mit denen junge im Gegensatz zu älteren Menschen typischerweise auf­fallen. 

Aus kriminologischer Sicht sind es nicht eine besondere kriminelle Energie oder Professionalität, die für die überproportional häufige Regis­trierung junger Menschen ursächlich sind, sondern gerade das Fehlen dieser Merkmale - kriminelle Energie und Professionalität. Denn die registrierten Delikte junger Menschen sind überproportional häufig Bagatelldelikte; es sind Delikte, die typischerweise leicht auf­zuklären sind, weil sie von unprofessionellen Tätern dilettantisch be­gangen werden; und es sind Delikte, auf die sich u.a. aus diesem Grund private und polizeiliche Kontrollintensität konzen­trieren.



Schaubild 15: Bei jungen Tatverdächtigen überwiegt Bagatelldelinquenz            

Denn die große Masse der Delikte von Kindern und Jugendlichen - und auch die große Masse des quanti­tativen Zuwachses der Belastung dieser jungen Altersgruppen in den vergangenen Jahren, die die Be­richt­erstattung zeitweise extrem geprägt hat - ist dem Bagatell­be­reich zuzuordnen (Schaubild 13): fahr­lässige oder vorsätzliche leichte Kör­per­verlet­zung, vor allem aber Ladendiebstahl und Schwarz­­fahren. Delikte, die durch Anzeigen privater Geschädigter an die Polizei heran­getragen werden und bekanntlich den Vorzug haben, dass der Beschuldigte regelmäßig gleich mitgeliefert wird - was nicht nur für hohe Fallzahlen, sondern zugleich für hohe Aufklärungsraten bei der regis­trierten Gesamtkrimi­nalität sorgt (die deshalb über Intensität oder Güte der polizeilichen Er­mittlungsarbeit wenig aussagen).

So ist die Höherbelastung der jungen Altersgruppen unter den ermit­telten und registrierten Tatver­dächtigen zu einem erheblichen Teil dadurch zu erklären, dass es sich hier typischerweise um Bagatell­delikte geringer Professionalität handelt, die schon deshalb leicht zu ermitteln und zu regis­trieren sind, gleichwohl alleine wegen ihres quantitativen Ausmaßes einen erheblichen Teil polizei­licher Ressour­cen binden, ohne dass dieser Ressourceneinsatz durch den tatsächli­chen Rechtsgüter­schutz gerechtfertigt würde.

Dagegen geht es inner­halb des weiten Be­reichs der materiellen Vor­teilsdelikte bei der typi­scherweise von Er­wach­­senen begangenen Kri­­mi­na­lität regel­mäßig um ganz andere Größen­ord­nun­gen als beim ge­sam­ten Bereich der ju­gend­typischen Delikte wie Laden­diebstahl oder Schwarzfahren: 


Schaubild 16: Peanuts? Wirtschaftskriminalität ist Erwachsenenkriminalität       

Franz Josef Strauß zu Betriebs­prüfungen durch die Finanzämter:         
„Da hilft nur eines: Die Planstellen ver­min­dern. Wie viele mittelständische Existenzen können sich nur über Wasser halten, weil nicht alle Einkünfte dem Finanz­­amt be­kannt sind.“  
Quelle: Bayernkurier v. 26.5.1984, S. 16 

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„Deshalb gibt es .. in ganz Bayern .. keine Wert­grenze, bei der eine Strafverfolgung erst einsetzt. Vielmehr wird jeder Laden­dieb­stahl, auch wenn die Beute nur weni­ge Cents wert ist, verfolgt. Das ist mit unan­ge­nehmen Folgen für die erwisch­ten Jugend­­lichen verbunden. Und das soll auch so sein!“.    
Aus einer Internet-Seite der Bayerischen Polizei

So machen in der PKS die Fälle ermittelter Wirt­schafts­krimi­nalität, eines typischen Erwach­senendelikts, nicht mehr als 2% der Schadens­fäl­le aus (Schaubild 14); alleine auf die­se 2% entfallen in­des­sen mehr als 50% des ge­sam­ten ermittel­ten Scha­dens (wobei in den Fällen der Wirt­schafts­krimi­nali­tät der zum Zeitpunkt der Re­gi­s­trierung ermit­tel­te Scha­den häufig nur ein Bruch­teil des tat­säch­li­chen Scha­dens ist). Das heißt, dass alleine der durch Wirt­schafts­kri­mi­na­lität ver­ur­sachte Scha­den höher ist als der Ge­samt­schaden durch sämt­liche Dieb­stahls-, Ein­bruchs- und Raub­delikte zusammen (wobei die von jungen Tätern be­gan­genen Fälle sich von den Taten Er­wach­sener durch im Mittel deut­lich nie­drigere Scha­dens­­sum­men ab­he­ben). Ge­rade bei den von Er­wach­senen, häu­fig pro­fessionell, be­gan­gen­en und schwer­wie­­gen­den Delikts­for­men (dazu ge­hören neben den Wirt­schafts-, Steuer- und Um­welt­de­lik­ten bei­spiels­weise auch die schweren Formen des Men­schen­handels und der sexuel­len Aus­beu­tung) steht das Ausmaß ma­teriellen wie im­materiellen Schadens im krassen Miss­verhältnis zum Ein­satz der polizeilichen Ressourcen, die über­proportional durch die leicht auf­zuklärenden Massendelikte gebunden werden. Junge Täter sind - gerade weil unpro­fes­sionell agierend - leicht zu ent­decken und zu über­führen.  

Gewaltkriminalität - eine Domäne der Jugend? Junge Men­schen als Täter und Opfer

Mehr als die große Zahl der Delikte mit materiellem Scha­den be­stimmt die quantitativ kleinere Gruppe der Gewaltkriminalität, und hier der beson­ders sicht­baren Straßenkriminalität, die Medien­bericht­­erstat­tung und das Si­cherheitsgefühl der Bevölkerung. Be­richte über brutale Ein­zel­fälle von Gewalt­delinquenz finden in den Medien große Auf­merk­samkeit, die differenzierteren Fachdarstel­lungen (wie der 2004 vom LKA NRW veröffentlichten Lang­zeitstudie[29]) leider häufig nicht im wün­schenswerten Maße zu­teil wird. 

Für das Ausmaß wie die Zunahme der registrierten Belastung von Kin­dern und Jugendlichen spielt die Gewaltkriminalität erst neuerdings eine erhebliche Rolle, wie der Vergleich der Größenordnungen der Zuwächse für Delikte insgesamt und für einzelne Deliktsgruppen im Zeitraum der besonders starken Zunahme registrierter Jugendkriminalität 1987 bis 2001 ausweist[30]. Quanti­tativ über­wiegen - beim Deliktsaufkommen insgesamt wie auch bei der langjährigen Zunahme bis 2001 - andere Delikts­bereiche, bei den Kindern noch ganz deut­lich der Ladendiebstahl; der regis­trierte Zuwachs war im dargestellten Zeitraum in keiner der Alters­gruppen überwiegend auf Delikte der Sammelgruppe „Gewalt­delin­quenz“ nach Definition der PKS (SZ 8920) zurückzuführen (Schaubild 17).[31] 

STÄRKSTE ZUNAHME (Jgdl: bis 2001, s.o. SB ... ), danach...


Schaubild 17: Beitrag verschiedener Deliktsgruppen zur Zunahme der TVBZ bis 2001         

Hier sind die Größenordnungen der Zuwächse im Vergleich zur Ge­samt­zunahme in den jeweiligen Altersgruppen dargestellt. Tat­säch­lich - und das zeigen die folgenden Schaubilder - hat die regis­trier­te Be­lastung bei allen Altersgruppen langfristig zuge­nommen; bei den Kin­dern überproportional bei indessen sehr geringer Ausgangsbasis. 

Bei der Deutung der unter der Sammelbezeichnung „schwere und ge­fähr­liche Körperverletzung“ unter SZ 8920 zusammen­gefassten Fälle ist zu beachten, dass es sich im Regelfall gerade nicht, wie die an § 224 StGB angelehnte Bezeichnung sugge­riert, um gefährliche Fälle mit schwerwiegenden Verletzungs­folgen handelt, denn diese (sehr un­glück­lich gefasste) Strafvor­schrift umfasst neben der Begehung "mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs" vor allem auch die "ge­meinschaftliche" Begehung, also gerade die jugend­typi­sche Konstellation bei Raufhändeln unter Gruppen Gleichaltriger ("gemein­schaftlich"), die sich im Regelfall gerade nicht durch die von der Tat­bestands­­bezeichnung suggerierte besonders ge­fährliche Tat­intention oder -ausfüh­rung auszeichnet.[32] Dies gilt insbesondere auch für die - der Straßenkriminalität zuge­ordnete - SZ 2221 („Ge­fährliche und schwere Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen“):

$$$ besser ab 1993 - BRD gesamt (Daten für BRD  gesamt  einschl. der neuen Länder ab 1993 verfügbar)                                                                                                                                                    



Schaubild 18: Entwicklung der TVBZ bei Gewaltdelikten (gefährliche und schwere Körperverletzung SZ 2221) im öffent­lichen Raum

   C:\s\kidat\JKRIM.pr4

Gerade der jugendtypische Umstand, dass solche Raufereien sich in der Öffent­lich­keit, auf Straßen oder Plätzen abspielen, spricht zwar nicht für eine besondere Gefährlichkeit, quali­fiziert die Fälle aber für die Erfassung als Straßen-Gewaltkriminalität im Sinne der SZ 2221, bei der die Kinder noch vor den Jugendlichen und Heranwachsenden mit den höchsten relativen Steige­run­gen registrierter Tatverdächtiger auffallen (Schaubild 19). 

Schaubild 19: Entwicklung der TVBZ bei Gewaltdelikten (gefährliche und schwere Körperverletzung SZ 2221) im öffent­lichen Raum, bezogen auf das Jahr 1995

Für die hier gegebene Deutung, dass es hier nicht um eine zu­nehmende Bedrohung der Erwach­senen­gesellschaft durch kindliche oder jugend­liche Gewalttäter geht, sondern um alters­typische Rauferein innerhalb der Altersgruppe, spricht die weit­gehend analoge Entwicklung bei den registrierten Opferbelas­tungszahlen (Schaubilder 20, 21):



Schaubild 20: Entwicklung der Opferbelastung bei Gewaltdelikten (gefährliche und schwere Körperverletzung SZ 2221) im öffent­lichen Raum C:\kidat\T91_OpferAlter_insg_ ab_87-ZR.xls [Opfer_insgesamt] (GS 09.03.2006 17:02:31) jkrim.pr4                                                                                     

Wie bei den Tatverdächtigenzahlen, so sind auch bei den Opfer-Be­lastungszahlen Jugendliche und Heran­wachsende am höchsten be­lastet; es sind auch die jungen Menschen, die über­durchschnittlich hohe Zuwachsraten der Opferbelastungszahlen aufweisen (Schaubild 20).

Es ist also durchaus angebracht, von einer Dramatisierung der Gewalt­delinquenz von jungen Menschen, insbesondere aber von Kindern, Abstand zu nehmen und stattdessen festzuhalten: Junge Menschen, insbesondere aber Kinder, verdienen nicht in erster Linie als poten­tielle Täter, sondern als Zielgruppe für Prä­ve­ntion und Opferschutz unsere Aufmerksamkeit. 


Schaubild 21: Auch in der Opferbelastung stärkste Steigerung bei Jugendlichen und Heranwachsenden  jkrim.pr4 C:\kidat\T91_OpferAlter_insg_ ab_87-ZR.xls : [Opfer_insgesamt] (GS) 27.07.2005 21:02:22

Nicht vergessen werden darf dabei, dass gerade bei den schwer­wie­gendsten Fällen von Gewalt, insbesondere von sexueller Gewalt ge­gen Kinder, in denen Erwachsene, nicht selten Eltern oder nahe Ange­hörige, die Täter sind, von einem besonders ho­hen Dunkelfeld ausge­gangen werden muss. Für eine Dämonisie­rung der Kinder- und Ju­gend­kriminalität besteht jedenfalls kein Anlass. 

Angaben zum Opfer und zur Täter-Opfer-Beziehung sind für die Bewertung der registrierten Tat­vorwürfe wie für die Erschlie­ßung präventionsbezogener Gesichtspunkte besonders wichtig. Leider werden die wenigen hierzu erhobenen Daten für die PKS äußerst unzureichend aufbereitet und im Schlüssel TOABEZ zur Täter-Opfer-Beziehung kaum verwertbar zusammengefasst. Dass sich den wenigen verfügbaren Daten zur Täter-Opfer-Be­ziehung gleichwohl wichtige Informationen ent­neh­men lassen, zeigt eine Auswertung anhand der anonymisierten Rohdaten der PKS Baden-Württem­berg.[33] Sie wurde vor­genommen, um zu überprüfen, wieweit die Täter-Opfer-Kon­stella­tionen bei den registrier­ten Opferdelikten innerhalb der einzelnen Altersgrup­pen verbleiben und in welchem Ausmaß Angehörige der älteren Generationen durch Delikte junger Täter, hierunter insbe­sondere von Kindern, gefährdet werden (Schaubild 22):

$$$NEXT! T-O-R BW 



Schaubild 22: Täter-Opfer-Beziehungen bei Opferdelikten insgesamt         bw.pr4 

Opferdelikte zu Lasten Erwachsener über 21 Jahren werden ganz über­wiegend auch erwachsenen Tatverdächtigen zur Last gelegt; der Anteil von Kindern als Tatverdächtigen liegt jeweils unter 1%. 14- bis 21­jähri­gen Opfern ist in ca. 60% der Fälle ein unter 21jähriger Tat­ver­dächti­ger zuzuordnen. Bei Delikten mit Kindern als Opfern sind dage­gen relativ häufig Erwachsene über 21, ja sogar über 40 Jahren als Tatverdächtige registriert.

Auch dies ein Hinweis darauf, dass in erster Linie nicht etwa die Erwachsenen oder Senioren von einer ‚Monstergeneration’ ge­walttätiger Kindern gefährdet werden, sondern dass Kinder eher des Schutzes vor Erwachsenen bedürfen; wobei gerade hier in den Fallgruppen mit den schwer­wiegend­sten Übergriffen ge­gen Kinder von einem besonders hohen Dunkelfeld ausgegangen werden muss.

Ansonsten bleibt festzuhalten, dass Opferdelikte im Jugend- und Heran­wachsendenalter, vor allem gerade die sog. Gewaltdelikte der Straßen­krimi­nalität, sich typischerweise innerhalb der eigen Al­ters­gruppe abspielen, wie dies eine Sonderauswertung für SZ 2221 („Gefährliche und schwere Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen“) noch einmal deutlich belegt (Schaubild 23):




Schaubild 23: Gewaltdelikte bleiben überwiegend inner­halb der Altersgruppen          

Für die Dramatisierung einer vermeintlichen Bedrohung der Si­cherheit der älteren Generationen durch junge Gewalttäter geben die polizeilichen Daten jedenfalls keinen Anlass.

Junge Menschen - nicht Feindbild, sondern Zielgruppe für Prä­vention 

Dass gewaltsame Auseinandersetzungen sich im Wesentlichen unter den jungen Menschen selbst abspielen, bei teilweise nicht eindeutiger Zu­ordnung der Täter-Opfer-Rolle, heißt keineswegs, dass hier nicht auch - bei einer Minderzahl der registrierten Fälle - Fälle schwer­wie­gen­der Brutalität unter jungen Men­schen auftreten. Aber gerade in Hin­blick auf den Präventionszweck ist es wichtig, festzuhalten, dass es nicht um den Schutz der Al­ten vor den Jungen geht, sondern eher umgekehrt; und: dass die Polizei auf dem richtigen Weg ist, wenn sie Jugend nicht als ‚Feindbild’, also primär als potentielle Täter, sieht und anspricht, sondern als Zielgruppe und Partner in Sachen Prävention. 



Schaubild 24: Auch junge Menschen befürworten häufigere Streifenpräsenz der Polizei         

So wurde - für mache Polizeipraktiker überraschend - bei einer Bürger­befragung zur kommunalen Krimi­nal­prävention nicht nur von alten Menschen, sondern gerade auch von Jugend­lichen eine ver­mehrte und sichtbare Polizei­präsenz auf der Straße oder auch im Umfeld von Jugend­ver­an­staltungen nicht abge­lehnt, sondern überwiegend positiv bewertet und be­für­wortet (Schaubild 21).[34]  

 

Wehret den Anfänge(r)n: Ein Schuss vor den Bug - das richtige Rezept für Prävention?

Wie sollen Polizei und Justiz auf Straftaten junger Menschen reagieren? Wie sieht eine sinnvolle Reaktionsstrategie aus? 

Hohe Zahlen ermittelter junger Tatverdächtiger mögen aus poli­zeilicher Sicht als Ausweis erfolgreicher Arbeit gelten, zumal die jugendtypische Bagatelldelinquenz allemal zu hohen Aufklä­rungsraten beiträgt. Wie aber soll die Justiz mit der großen und zudem stark angewachsenen Zahl von Ermittlungsverfahren ge­gen junge Beschuldigte umgehen? Soll sie mehr Verfahren ein­stellen oder mehr Gefängnisse bauen? 

Auf kaum einem Feld wuchern - von der Boulevardpresse bis in die juristische, psychologische und Polizeiliteratur - derart abenteuerliche Vorstellungen, wie angemessen mit Jugenddelin­quenz umzugehen sei. Da fordern Psychologen und Psychiater, möglichst schon anlässlich des ersten Diebstahlsdelikts gleich eine psychologisch-psychiatrische Diagnose und Behandlung anzustellen; da wird, als Schuss vor den Bug, gefordert, mehr Freiheitsentzug etwa in Form eines Einstiegs­arrests[35] zu verhän­gen, um frühzeitig - anstelle von nur ambulanten Reaktionen - einen deutlichen Warnschuss zu setzen, und damit’s besser wirkt, längere Strafen - Jugendstrafe  bis zu maximal 15 Jahren - anzudrohen.

Derartige Vorstellungen ignorieren alles, was wir aus der Wir­kungs­forschung wissen: Freiheitsstrafen wirken nicht bessernd, und die Aus­weitung der Strafandrohung führt nicht zu weniger Straftaten[36]. All diesen Vorstellungen liegt vor allem eines zugrunde: Eine völlig halt­lose Überschätzung der Mög­lichkeiten einer Einflussnahme mit den Mit­­­teln von Polizei und Justiz - und eine völlige Ignoranz bezüglich dessen, was wir über die Kinder- und Jugendkriminalität wissen und darüber, wie soziale Normen gelernt werden, wie soziale Lernprozesse ablaufen.

Zum Gemeinwissen der kriminologischen Forschung gehört es, dass Delikte, vor allem Delikte junger Menschen, lokale Entste­hungs­bedingungen haben, insbesondere dort, wo Tatgelegen­heiten und Tatanreize geschaffen werden. Ein großer Teil der Alltagsdelinquenz, und ein besonders großer Teil der jugendty­pischen Delinquenz, ist opportunistische Delinquenz: Sie beruht nicht auf planvollem oder gar professionellem Agieren, sondern wird durch das Vorfinden von Tatgelegenheiten und Tatanreizen vor Ort ausgelöst: ‚Gelegenheit macht Diebe’. Nicht umsonst appellieren polizeiliche Vorbeugungs­pro­gramme an die Eigen­verantwortung der Bürger für die Sicherung ihrer Wohnung und ihres Eigentums, geben Hinweise, wie man Tat­anreize vermeidet und den Täterzugriff erschwert. 

Völlig umsonst allerdings war der gezielte Hinweis der Enquete -Kommission Neumünster, die die Ursachen für die auf­fällig hohe örtliche Kriminalitätsbelastung (u.a. durch Dieb­stahlsdelikte) unter­suchte. Sie stellte fest, dass der Handel selbst durch präventive Maßnahmen das Diebstahlsrisiko mindern kann, und gab deshalb gezielte Hinweise zum Abbau der Dieb­stahls­gelegenheiten. Ergebnis gleich Null - der Handel hat kein Interesse[37], nicht nur in Neumünster. 

Falsch eingesetzt wären die Ressourcen des Strafrechts auf jeden Fall bei der Großzahl der jugendlichen Massen- und Bagatelldelikte. Das Begehen solcher opportunistischer Rechtsbrüche - einmaliger wie wiederholter - im Jugendalter ist, statistisch gesehen, normal und ver­breitet. Würden diese jugendtypischen Rechtsbrüche im Falle ihrer polizeilichen Registrierung tatsächlich, wie gelegentlich gefordert, schon beim ersten Male mit einem jugendstrafrechtlichen Urteil geahndet, nach dem Motto ‚Wehret den Anfängen’, so wäre von der männlichen Bevölkerung bereits mit 25 Jahren nicht eine Minderheit, sondern die Mehrheit rechtskräftig vorbestraft.  Wenn im Lauf der Adoles­zenz der Erwerb einer Vorstrafe so normal wäre wie der Besitz des Führerscheins, dürfte dies der Steuerungskraft des Strafrechts wohl kaum zugute kommen.

Formelle Sozialkontrolle: Begrenzte Reichweite, begrenzte Wir­kung 

Aber müsste nicht gerade beim ersten Mal dem jungen Straftäter ver­deutlicht werden, dass er so nicht weitermachen darf? Wird das Aus­bleiben der Strafe gerade beim ersten Mal nicht am Ende verstärkend wirken?

Wer so fragt, überschätzt bei weitem die Reichweite der förmli­chen Sozialkontrolle durch Polizei und Justiz: Die ‚Ersttäter’ bleiben in aller Regel schon deshalb straffrei, weil sie - jedenfalls polizeilich-justiziell - unentdeckt bleiben. 

Verteilung der Delikte im Dunkel-, und Hellfeld und Anteil der Polizei           

Reichweite der
Informa­tion

Gesamt­delinquenz   

(N=1912) 100%

Gesamtes Hellfeld

Absolutes Dunkelfeld

(N=529) 27,7%

 

Gesamtes Hellfeld

(N=1383) 72,3%

(N=1383) = 100%

Reichweite der Informa­tion bis zu ...

Freunden

36,1%

49,9%

Eltern

22,7%

31,3%

Lehrern/Vorgesetzten

6,6%

9,2%

Polizei

4,6%

6,3%

Andere

2,3%

3,2%

Delinquenzbefragung 13- bis 17-jähriger deutscher Ju­gendlicher in Bielefeld und Münster 1986/87, nach Karstedt/Crasmöller (1988) [38]

Von allen durch die befragten Jugendlichen berichteten Delikten blie­ben weniger als 30% im absoluten Dunkelfeld. Dennoch er­lang­te die Polizei von weniger als 5% der Fälle Kenntnis (4,6%). Selbst im Hellfeld und hier unter den Kontroll- und Erziehungsinstanzen spielt die Polizei eine untergeordnete Rolle: Selbst im Fall des Bekanntwerdens eines Delikts sind es in 6 von 7 Fäl­len Eltern oder Freunde, nicht aber die Polizei (und noch weniger die Jus­tiz), von denen ein Einfluss im Sinne der Sozialkontrolle ausge­hen kann.

Wenn eine sinnvolle Reaktion erfolgt, dann erfolgt sie im Regelfall im Nahraum, durch Eltern oder Gleichaltrige, nicht durch die Justiz. Und das ist auch gut so; denn aus Re­aktionen gelernt wird um so eher, je zeitnaher sie erfolgen, je stärker die emotionale Bindung an die Person, die reagiert, und je konstruktiver und verhaltensbezogener die mit der Re­aktion verbundenen Anforderungen sind. 

Dagegen ist die förmliche justizielle Reaktion allemal im Nachteil: sie kommt immer zu spät, oft Monate nach der Tat; sie erfolgt durch fremde Personen, zu denen keine emo­tionale Bindung besteht, und sie zeigt allenfalls, was nicht hätte geschehen sollen, eröffnet aber keine Lernmöglichkeiten, was sinnvoll und richtig geschehen sollte.

Dass - im Vergleich zu der sog. informellen Sozialkontrolle - das förmliche Strafverfahren in Fällen jugendtypischer Delinquenz spezial­präventiv erforderlich oder gar überlegen ist, muss nach dem Stand der kriminologischen Forschung als zweifelhaft gel­ten:[39] Ver­gleicht man im Rahmen von Dunkelfeld-Täterbefra­gungen - wie dies in den USA Gold [40], in Großbritannien Far­rington [41] oder in Kanada LeBlanc [42] in ihren Studien unternahmen - Jugendliche, deren Taten unent­deckt und straflos geblieben waren, mit solchen, die wegen vergleichbarer Taten entdeckt und bestraft wurden, so kann man prüfen, wie sich die rechtsförmige Bestrafung - oder ihr Ausbleiben - in der Folge auf die Legalbewährung ausgewirkt hat. Tatsächlich findet sich kein Beleg für eine spezial­präventive Wirkung der Strafen; im günstigsten Falle zeigten sich diese als wirkungslos; im un­günstigeren Falle erhöhten sie sogar das Risiko weiterer Straf­fälligkeit. 

Nach dem kriminologi­sche Wissensstand wird nicht nur der Beginn, sondern auch die Fortset­zung einer Karriere durch frühe und formelle Sank­tionierung eher forciert als verhindert. "Je früher und je konse­quenter auf einen bestimmten Delikttyp strafend rea­giert wird, desto größer ist die Wahr­schein­lichkeit, dass die krimi­nelle Karriere verlängert wird. Be­stimmte rein strafende Sankti­ons­abfolgen erhöhen das Risiko, dass es nach ei­ner dritten noch zu einer vier­ten Straftat kommt, auf das Dreifache", so die poin­tier­te Zusam­menfassung dieser Be­funde durch Albrecht, der daraus fol­gert: "Kriminelle Karrie­ren sind ganz of­fensichtlich nicht nur von persönlichen und sozia­len Hinter­grund­faktoren oder von Verhaltensmerkmalen von Indivi­duen her zu erklä­ren, son­dern auch Vari­ablen des Krimi­naljustizsystems, insbe­sondere von dessen Sanktionsstrategie, müssen einbezogen wer­den. Dabei wiederum ist zu beach­ten, dass sich das Sanktionsverhalten selbst quasi in ei­nem Aufschaukelungsprozess zu Sanktio­nen versteigt, die den Rückfall erhö­hen; eine Eigendy­namik, die insbesondere dann fatal ist, wenn die Einstiegs­sanktion schon scharf ausfällt."[43]

Tatsächlich ist die jugendstrafrechtliche Praxis - unter dem Eindruck positiver Erfahrungen wie günstiger  Befunde der Forschung - dazu über­gegangen, nicht nur bei erstmals Auffälligen, sondern zunehmend auch im Falle wiederholter Auffälligkeit den Einstieg in die förmliche Sank­tionierung zu vermeiden und die mit den Diversions­möglich­keiten des JGG gegebenen Möglichkeiten zur ‚informellen’ Er­le­di­gung ohne förmliches Strafurteil zu nutzen (Schaubild 25). 



Schaubild 25: Entwicklung der Diversionsraten im Jugendstrafrecht 1981-2006

Arbeit der Polizei - für den Papierkorb der Justiz?

Dass heute die Mehrzahl der registrierten Rechtsbrüche junger Menschen nicht zu einer förmlichen Anklage und Verurteilung führt, heißt nicht, dass die Polizei inzwischen überwiegend für den Papier­korb der Justiz arbeitet. Denn Diversion heißt nicht, dass nichts geschieht; es ist ja etwas gesche­hen: Wenn wir einen Lerneffekt erwarten können, dann eher von der Tatsache der Entdeckung, von der (von den betroffenen Jugendlichen durchaus als schwerwiegend emp­funden­en)[44] Erfahrung, wegen einer Straftat mit der Polizei zu tun zu haben, aber nicht von einer Monate später stattfin­denden Verhandlung, deren Ablauf der Jugendliche nicht versteht und deren Anlass bis dahin viel­leicht schon wieder vergessen ist. Die Reaktion - die ja zunächst in der Form des Polizeikontakts erfolgt - soll dem jungen Straftäter nicht die Botschaft vermitteln, dass wir ihn jetzt als Kriminellen auf dem Weg in die Knastkarriere betrachten; dass solche kriminellen Etikettierungen ihre fatale Eigendynamik entwickeln können, ist inzwischen hinreichend bekannt. Vermittelt werden sollte eher die Botschaft, dass die Straftat missbilligt, aber der junge Mensch nicht zum Kriminellen abgestem­pelt wird; dass ihm verantwortliches Verhalten zugetraut und zugemutet wird. Insofern kann gerade das Absehen von einer förmlichen Bestrafung nach erfolgter Entdeckung die (auch) pädagogisch sinnvollere (und in diesem Fall vom JGG gebotene) Reaktion sein.[45]

Diversion ist kein Patentrezept; namentlich bei Gruppen mit ersicht­lichen Defiziten und ernstem Anzeichen für Interventionsbedarf ist zu prüfen, was geschehen muss, um erkannten Defiziten und absehbaren Gefährdungen abzuhelfen. Indessen sind, bei nüchterner Betrachtung, die Ergebnisse gerade der freiheitsentziehenden Reaktionen (ein­schließ­lich des Jugend­arrests) ausweislich der jüngst veröffentlichten Rück­fall­statistik so miserabel, dass die Erprobung anderer Reak­tionen selbst im ungüns­tigsten Falle kaum ungünstigere Ergebnisse bringen kann; selbst spezial­präventiv spricht daher einiges dafür, auch in nicht mehr jugendtypisch-trivial gelagerten Fällen, insbesondere auch bei wieder­­holt Auffälligen, eher auf die Möglichkeiten sozial­päda­go­gi­scher Maß­nahmen in Freiheit zu setzen als auf (noch so kosten- und per­sonal­aufwändig ausgestaltete) Formen des Frei­heits­entzugs, die, so zeigt es jeden­falls die Behandlungs­forschung, im Regel­fall einen positiven Effekt auf die Bewährung in Freiheit nicht erwar­ten lassen. Wenn etwas Sinnvolles geschehen kann, um bei der - zahlen­mäßig begrenzten - Zahl nicht nur wiederholt, sondern auch wirklich schwerwiegend auffälli­ger junger Straftäter etwas zu bewegen, dann offenbar nur in Formen, die geeignet sind, die Über­nahme von Verantwortung in Freiheit einzuüben und zu unterstützen. Das kann allerdings nur in dem Maße gelingen, wie jungen Menschen - auch solchen mit ungünstigen Startbedingungen oder unguter Vor­geschichte - Perspektiven bleiben, im sozialen und beruflichen Leben Fuß zu fassen; Per­spektiven, die derzeit durch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, durch (schon lange erkannte und benannte)[46] Mängel der Schul- und Berufs­bildungspolitik und kommunale Spar­maß­nahmen bei sozia­len und inte­grationsfördernden Projekten vieler­orts systematisch verschlechtert werden.

Zu Recht hat sich die kriminalpolitische Diskussion deshalb vermehrt dem Ziel der Kriminal­prävention zugewandt, ausgehend von der Ein­sicht in Entstehungsbedingungen und Bedeutung der Tatgelegen­heits­struktur vor Ort und in die Bedeutung sozialisations- und integra­tions­stützen­der Strukturen und Angebote. Hier, auf dem Gebiet der Präven­tion, sind Investitionen langfristig aussichts­reicher als im Einsatz poli­zeilicher und justizieller Ressourcen auf dem Feld der Repression.

Legalbewährung und Rückfall nach Sanktionsgruppen der Bezugsentscheidungen der Rückfallstatistik – Bezugsjahr 1994[47]

 

  1) Ohne „sonstige Entscheidungen“, insbesondere ohne die isolierte Anordnung von Maßregeln.

  2) Jugendrichterl. Maßnahme: Erziehungsmaßregel, Zuchtmittel (ohne Jugend­arrest), § 27 JGG.

  3) Formelle ambulante Sanktionen i.e.S. : Geldstrafe, jugendrichterliche Maß­nahme: Erziehungs­maßregel, Zuchtmittel (ohne Jugendarrest); § 27 JGG. 



Schaubild 25: Befunde der Rückfallstatistik - Bewährung ist die Regel, aber auffallend ungünstige Entwicklung nach Freiheitsstrafen und Jugendarrest; Diversion überwiegend erfolgreich.

Die Ausweitung der Diversionspraxis (auf inzwischen mehr als 2/3 der Verfahren nach JGG) hat im Übrigen zur Folge, dass der Kontakt mit der Polizei nicht nur der erste, sondern inzwischen im Regel­fall auch der einzige Instanzenkontakt bleibt. Und das ist auch gut so - und  soll­te das Gewicht deutlich machen, das einer vernünftigen Gesprächs­füh­rung, einem vernünftigen Umgang mit dem jungen Menschen bei der Poli­zei zukommt.[48] Dass heute in der Mehrzahl der Fälle eine ‚Poli­zei­auf­fälligkeit’ nicht zwangsläufig vor Gericht und in Arrest oder Straf­vollzug endet, sondern der Polizeikontakt schon das Ende der Karriere markiert - ist das nicht ein sinnvolleres Arbeits­ergebnis poli­zeilicher Fall­bearbeitung als eine förmliche Verurteilung und Bestrafung? 

Zusammenfassung in Thesen

1. Die Entwicklung der registrierten Delinquenz in Deutschland gibt keinen Anlass zur Beschwörung von Horrorszenarien, wie dies mancherorts ein lang geübter Brauch anlässlich der Vor­stellung der jährlichen PKS war. Die in den letzten Jahren beobachtete Entwicklung der regis­trierten (d.h. im Wesentlichen: angezeigten) Fälle ist - auch im Vergleich zur früher beob­achteten Entwick­lung - keineswegs besonders auffallend. Auch gibt es keine Anzeichen für eine Zunahme der Opfer­gefährdung der Bevölkerung durch Kapitaldelikte; die Belastungszahlen für Mord, Raubmord, Sexual­mord sind vielmehr in den letzten 10 bis 15 Jahre rückläufig. Die Annahme einer Zunahme von Sexualmorden an Kindern wird durch die verfügbaren Daten nicht gestützt.

2. Auch die subjektive Wahrnehmung und Bewertung der Sicherheitslage gibt keinen Anlass zu einer dramatisierenden Darstellung. Vergleichende Bevölkerungsbefragungen zeigen, dass die Deutschen sich - auch im europäischen Vergleich - relativ sicher fühlen und dass das subjektive Sicherheitsgefühl sich, soweit in etwa vergleichbare Daten erhoben wurden, sogar eher günstig entwickelt hat.

3. Die - seit Beginn der Kriminalstatistik bekannte - linksgipfelige Ver­teilung der altersabhängi­gen Tatverdächtigenbelastungszahlen - die jeweils überdurchschnittliche Belastung der jungen Altersgruppen - recht­fertigt eine pauschale Dämonisierung der Jugend­kriminalität in keiner Weise, weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht. In quan­ti­tativer Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass die Polizei­auf­fällig­keit nach dem 18. oder 21. Le­bens­jahr keineswegs endet: Nach dem 21. Lebens­jahr erfolgen doppelt so viele Registrierungen wie in der Lebens­phase bis zum 21. Lebensjahr. In den Jahren zwischen 20 und 40 nimmt die Zahl der Registrierungen im selben Umfang zu wie in den ersten 20 Lebensjahren eines Menschen; und in den Jahren nach 40 noch einmal im selben Umfang. 

Allerdings bestehen erheblich qualitative Unterschiede: Die Delikte junger Menschen sind in weit höherem Maße als die von Erwach­senen jugendtypisch-bagatellhafter Natur, sie sind aufgrund unpro­fes­sioneller, gelegenheitsgesteuerter, wenig planvoller Hand­lungs­weise leicht zu entdecken und zu überführen. Demgegenüber finden sich bei den erwachsenen Altersgruppen - im Dunkel- wie im Hellfeld - häufiger weitaus sozialschädlichere Deliktsformen mit erheblichen materiellen und im­materiellen Schäden. Alleine die vergleichs­weise kleine Zahl der Fälle aufgedeckter Wirtschafts­krimi­nalität - einer Form typischer Erwachsenen­kriminalität – verursacht eine größere Schadens­summe als die Gesamt­heit aller regis­trierten Fälle konventioneller Eigentums­kriminalität vom Laden­diebstahl über Einbruchsdiebstähle bis Raub.

Das Ausmaß, mit dem junge Menschen höher als Erwachsene mit Kri­mi­nalität belastet sind, ist zum Teil das Ergebnis der systemati­schen Unter­repräsentierung von Erwachsenenkriminalität in der Wahr­nehmung, Registrierung und Strafverfolgung - und zwar infolge der größeren Professionalität der von diesen verübten Delinquenz. Im Dunkel­feld verbleiben deshalb vor allem die besonders sozial­schäd­lichen und gravierenden Rechtsbrüche der typischen Erwach­sen­en­kri­mi­nalität, von Wirtschafts- und Umweltdelikten bis zur sexuellen Gewalt gegen junge Menschen, während die fehlende Planmäßigkeit der Deliktsbegehung und die leichtere Über­führbar­keit von jungen Menschen im Hellfeld zu einer hohen Belastung der jungen Alters­gruppen in der polizeilichen Kriminalstatistik führen.

4. Nicht nur bei den Eigentumsdelikten entfällt auf die jungen Täter ein unterdurchschnittlicher Schadensanteil; auch bei der Masse der Fälle registrierter Gewaltdelinquenz im Sinne der Defini­tion der PKS treten sie überwiegend nicht durch schwere Fälle mit schwer­wie­gen­den Fol­gen in Erscheinung. Anders als bei Gewalt­delikten Er­wach­sen­er ist bei jungen Tätern für die Zuord­nung zu dieser Gruppe ganz über­wie­­gend nicht eine gefährliche Ver­letzung oder die Benut­zung von Waf­fen ausschlaggebend, sondern alleine der Um­stand, dass Rau­fe­reien junger Men­schen häufig innerhalb von Grup­­pen Gleich­alt­riger statt­finden. Polizei­interne Erhebungen bestätigen den krimino­lo­gi­schen Befund, dass die Zunahme der ange­zeig­ten Fälle von Gewalt­delik­ten junger Menschen offensichtlich zu ein­em bedeutenden Teil auf die Veränderung der Sensibilität und des Anzeige­verhal­tens zu­rück­gehen und dass zunehmend auch leich­tere Fälle zur An­zeige kom­men. Zudem wird die poli­zei­liche Ein­gangs­bewertung der Tat­schwere - über die Zeit zunehmend - von der Justiz nach unten kor­ri­giert; nicht nur durch Herabstufung der Delikts­schwere, durch Ver­nein­ung des Straf­bedürfnisses zuguns­ten von Diver­sions­entscheidun­gen, sondern auch durch die Verneinung der recht­lichen Straf­bar­keits­vor­aus­setzungen wird ein (wach­sen­der) Teil des Zuwachses polizei­lich, meist durch An­zeigen, erfassten Tatver­dächti­gen­aufkommens aufge­fangen, so dass die Schere zwischen Tat­ver­dächt­igen- und Ver­ur­teil­tenzahlen sich in den vergan­genen Jahren immer weiter geöffnet hat.

5. Besondere Besorgnis erregt die Gewaltdelinquenz junger Men­schen. Gewaltdelikte, namentlich solche der Straßenkriminalität, spie­len sich überwiegend innerhalb derselben Altersgruppe ab. Eine Analyse der Täter-Opfer-Konstellationen anhand der PAD-Daten zeigt, dass es keinen Anlass zur Besorgnis gibt, ältere Menschen wür­den zunehmend durch gewalttätige Kinder und Jugendlich bedroht. Viel­mehr ist eine Asymmetrie der Opfergefährdung in Richtung einer Schädigung junger Menschen durch ältere Tatverdächtige im Hellfeld festzustellen. Für das Dunkelfeld ist eine noch stärkere Gefähr­dung insbesondere von Kindern durch Übergriffe älterer - er­wachsener - Menschen anzunehmen. 

6. Für eine Dämonisierung von Kindern und Jugendlichen besteht kein Anlass. Vielmehr ist die Poli­zei auf dem richtigen Wege, wenn sie, wie dies zunehmend geschieht, der Opfergefährdung junger Men­schen mehr Aufmerksamkeit schenkt und junge Menschen nicht ein­seitig als potentielle Täter, sondern als Zielgruppe für Prävention und Opferschutz sieht und anspricht. Die Tat­sache, dass junge Men­schen nicht nur als Tatverdächtige, sondern auch als Opfer über­durch­schnitt­lich belastet sind, und die hohe Akzeptanz sichtbarer Polizei­präsenz auch bei jungen Men­schen, wie sie in einer Bevölkerungs­befragung fest­gestellt wurde, spre­chen dafür, dass Jugendliche durch präven­tions­orientierte Aktivi­täten erreicht werden können.

7. Einer kleinen Gruppe junger Mehrfach- und Intensivtäter ist ein über­proportionaler Anteil an Delikten zuzuordnen. Allerdings ist nach einer Phase intensiver Auffälligkeit, abhängig insbesondere von Mög­lich­­keiten sozialer und beruflicher Integration, das Abklingen der Auf­fällig­keit eher der Re­gelfall als die Fortsetzung im Erwach­sen­en­alter. Auch intensive Frühauffälligkeit ist deshalb nicht geeignet für eine hinreichend verlässliche Prognose einer kriminellen Karriere im Er­wach­senen­alter. 

Für das Ausscheren aus einer Phase intensiver Belastung ist weniger das Ausmaß bisheriger Auffäl­ligkeit als vielmehr das Vorhandensein güns­tiger Bedingungen für eine (berufliche, soziale) Reinte­gration be­deut­sam; dies sind die selben Rahmenbedingungen, die schon in Hin­blick auf Prävention bedeutsam sind. Dies gilt für die sog. Mehr­fach- und Intensivtäter wie generell für Gruppen, die zeitweilig - und oft über eine bestimmte, aber begrenzte Lebensspanne hinweg - in Zusam­men­hang mit ungelösten Integrationsproblemen gehäuft in Erschei­nung treten. Gerade bei der sog. Auslän­der- wie bei der Aus­sied­ler­kriminalität wird deutlich, dass nicht die Staats­ange­hörigkeit "kri­mi­nell" werden lässt, sondern dass hierfür, wie bei einem großen Teil der ‚eingeborenen’ Mehr­fachtäter, un­gelöste Integrations­probleme bedeut­sam sind. Dass gerade junge Menschen durch fehlende Start­chancen und subjek­tive Perspektivlosigkeit besonders belastet und auch ge­fährdet werden, ist keine neue Erkenntnis; dass dies Bedingungen sind, die in der Verantwortlichkeit der Erwach­senengesell­schaft liegen, scheint allzu oft in Vergessenheit zu geraten.

Einzufordern ist deshalb, dass allen jungen Menschen - auch solchen mit ungünstigen Startbedin­gungen oder unguter Vorgeschichte - die Chance geboten wird, im sozialen und beruflichen Leben Fuß zu fas­sen. 

8. Der Erwartung, durch mehr, durch früher einsetzende, durch härtere Strafen die Jugendkrimina­lität günstig beeinflussen zu können, fehlt jede empirische Grundlage. Als unverantwortlich sind populistische Forderungen zu bewerten, die überwiegend ambulan­ten, nicht frei­heitsentziehenden Reaktionen des Jugendstrafrechts ‚aufzurüsten’ durch Verbindung ausgerechnet mit dem Jugend­arrest, der auch in der jüngst veröffentlichten Rückfallstatistik mit Rückfallraten in einer Größen­ordung auffällt, wie sie sonst allenfalls bei Freiheitsstrafen beobachtet werden. Nicht Freiheits­strafen und Arrest, sondern die nicht freiheitsentziehenden Maßnahmen, vor allem aber die Diver­sions­­entscheidungen, haben sich trotz der erheblichen Aus­weitung ihres Anwendungsbereichs vergleichs­weise am besten bewährt. 

Nicht mehr Härte, sondern mehr Prävention ist angezeigt, um eine Über­kriminalisierung junger Menschen zu vermeiden und die Ressour­cen von Polizei und Justiz nicht im Bereich der alterstypi­schen Baga­tell­delinquenz zu binden, sondern die Ressourcen dort ein­zu­setzen, wo tat­sächlich Inter­ventionen angezeigt und Inves­titionen in eine Ver­besserung der Chancen für (Re)Sozialisierung und (Re)­Inte­gra­tion erforder­lich sind.

 

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This work is licensed under a Creative Commons License. Weitergabe und Nutzung, auch einzelner Schaubilder, für nichtkommerzielle, insbesondere wissenschaftliche und Lehrzwecke, gestattet. Reproduktionsfähige Vorlagen auf Anfrage beim Autor.

 

 

Bearbeitungsstand: 12/2008

Aktualisierungen unter www.uni-konstanz.de/rtf/gs/G.Spiess-Jugendkriminalitaet.htm

Gerhard Spiess, Universität Konstanz

gerhard.spiess@uni-konstanz.de          



*  Zuletzt 2008 mit dem Datenstand 2007 (Polizeiliche Kriminalstatsitik) und 2006 (Strafverfolgungsstatistik) aktualisierte Fassung auf der Grundlage eines bei der Polizei-Führungsakademie Münster ge­halten­en Vortrages. Für aktualisierte Nachweise und Schaubilder siehe <http://www.uni-konstanz.de/rtf/gs/G.Spiess-Jugendkriminalitaet.htm.>

[1]  Viele der kriminalstatistischen Befunde in diesem Bei­trag stammen aus dem Fundus des Konstanzer Inventars Kri­mi­na­li­täts­entwicklung (KIK) <http://www.uni-konstanz.de/rtf/kik/>, wo auch jeweils aktu­ali­sierte Versionen der Schaubilder und Tabellen publiziert werden, insb. in den dort ver­öffentlichten Übersichtsartikeln: Heinz, W.: Jugendkriminalität in Deutschland. Kri­mi­nal­sta­tis­tische und krimino­logi­sche Befunde; Das strafr­echt­liche Sank­ti­on­en­system und die Sank­tio­nierungs­praxis in Deutsch­land <http://www.uni-kon­stanz.de/rtf/kis/>. - Daten - auch unver­öffent­lichte -, die in ver­schie­dene Son­der­aus­wer­tungen einbe­zogen wurden, wurden dan­kens­werterweise vom BKA Wies­baden, dem LKA Ba­den-Württem­berg (Son­der­auswertung zu Täter-Opfer-Kon­stel­lationen) und dem Sta­tis­tischen Bundesamt Wies­baden zur Ver­fügung ge­stellt. Ausführliche und kom­men­tierte Darstellungen zu den verfüg­bar­en Daten­quellen, zur Krimi­nalitäts­lage und -ent­wicklung und zu ihrer Be­wertung finden sich im Ersten und im Zweiten Perio­dischen Sicher­heits­bericht der Bundes­regierung <http://www.uni-kon­stanz.de/rtf/ki/psb-2001.htm>; <http://www.uni-konstanz.de/rtf/ki/links.htm#PSB2>, in  den u.a. auch Mate­rialien aus dem Kon­stan­zer Inventar eingeflossen sind. Reprofähige Versionen einzelner Schaubilder aus dem Konstanzer Inventar oder aus diesem Beitrag können auf Anfrage vom Verfasser <gerhard.spiess@uni-konstanz.de> bezogen werden.

[2]  Schwind/Fetchenhauer/Ahlborn/Weiss: Kriminalitätsphänomene im Lang­zeit­ver­gleich am Beispiel einer deutschen Großstadt. Bochum 1975 -1986 - 1998, Polizei + Forschung, Bd. 3, 2001.

[3]  Elsner, E.; Molnar, H.-J.: Kriminalität Heranwachsender und Jungerwach­sener in Mün­chen, LKA München 2001 <http://www.polizei.bayern.de/krimi­nalis­tik/for­schung/ju­gend.pdf>; Pfeiffer, Ch.; Delzer, I.: Wird die Jugend immer brutaler?, in: Fest­schrift für Böhm, berlin 1999 , 711, Abb. 3.; Pfeiffer/Delzer/Enz­mann/Wet­zels: Aus­gren­zung, Gewalt und Kriminalität im Leben junger Menschen, in: DVJJ (Hrsg.): Kinder und Jugendliche als Opfer und Täter. Mönchen­gladbach 1999, 97 f.

[4] Bundesverband der Unfallkassen e.V. (Hrsg.): Gewalt an Schulen. Ein empirischer Beitrag zum gewaltverursachten Verletzungs­­­geschehen an Schulen in Deutschland 1993-2003, München 2005              
(http://www.unfall­kas­sen.de/files/510/Gewalt_an_Schulen.pdf)

[5] Quelle: Dittmann, Jörg: Kriminalitätsfurcht sinkt in Deutschland entgegen dem EU-Trend. Zur Wahrnehmung und Bewertung der Kriminalität. In: Informationsdienst Soziale Indikatoren (ISI), 34, 2005, S. 6-9. http://www.gesis.org/Publikationen/Zeitschriften/ISI/pdf-files/isi-34.pdf

[6]  So verfährt auch die vom BKA herausgegebene PKS für die Bundesrepublik Deutsch­land <http://www.bka.de/pks/pks2003/index.html>; s. die Ausführungen dazu auf S. 14 der PKS für das Jahr 2003.

[7]  Zur Problematik s. insbes. Stadler/Walser: Verzerrungsfaktoren und Inter­pre­tations­probleme der PKS unter besonderer Berücksichtigung ausländischer Staats­ange­höriger (Texte - Schriftenreihe der Fachhochschule Villingen-Schwen­nin­gen -  Nr. 22), Villingen-Schwenningen 1999.

[8]  Insb. Durchreisende; Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus; Statio­nierungs­streit­kräfte mit Angehörigen; Asylantragsteller.

[9]  Heinz, Wolfgang: Jugendkriminalität in Deutschland, a.a.O. S. 34, Schaubild 8.

[10]        Eine gut nachvollziehbare Erläuterung von Alters- vs. Kohor­ten­effekten findet sich in der Freiburger Kohortenanalyse von Polizei- und Justizdaten: Grun­dies/Hö­fer/Tetal: Basisdaten der Freiburger Kohortenstudie. Präva­lenz und Inzidenz poli­zeilicher Registrierung, Arbeitsberichte 1/2002 MPI für aus­län­d. u. internat. Straf­recht <http://www.ius­crim.mpg.de/forsch/on­line­pub/Basis­daten_pol.pdf>.

[11]        Durch Umstellungen der Zählweise auf die sog. Echttäterzählung sind die TV-Zahlen vor und nach 1983 nicht unmittelbar vergleichbar.

[12] Ausführlicher dazu Heinz, Wolfgang: Das strafrechtliche Sanktionensystem und die Sanktionierungspraxis in Deutschland 1882 - 2006, Konstanzer Inventar Sanktions­forschung (KIS) <http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/>.

[13] Elsner, Erich; Molnar, Hans-Joachim: Kriminalität Heranwachsender und Jung­erwachsener in München, LKA München 2001, S. 175.

[14] Nach der sog. Echttäterzählung ist ein Tatverdächtiger in einem Berichtsjahr unter einem Straftaten­schlüssel sowie unter der Rubrik ‚Straftaten insgesamt’ nur einmal zu zählen, auch wenn er im Berichtsjahr mehrfach registriert wurde.

[15] Die beiden Größen - Anteil der bis dahin mindestens einmal Registrierten und mitt­lere Häufigkeit von Registrierungen pro Registrierten - können nur in einem Ko­hor­tendesign getrennt bestimmt werden. Kohorten auf der Basis von Polizei- und Straf­register­daten werden derzeit beim MPI für Strafrecht, Freiburg i.Br., auf­ge­baut: Grun­dies, V,: Polizeiliche Registrierungen von 7- bis 23-Jährigen. Be­funde der Frei­burger Ko­hor­tenuntersuchung, in: Albrecht, H.-J. (Hrsg.): For­schun­gen zu Krimi­nalität und Kriminalitätskontrolle am MPI in Freiburg., Freiburg 1999, 371-342.

[16] So Flood-Page, C.; Campbell, S.; Harrington, V.; Miller, J. (2000): Youth Crime: Findings from the 1998/99 Youth Lifestyles Survey. London: Home Office.

[17] Elsner, Erich; Steffen, Wiebke; Stern, Gerhard: Kinder- und Jugendkriminalität in München, München 1998; S. 111.

[18] Vgl. m.w.N. Dölling, D.: Mehrfach auffällige junge Straftäter - kriminologi­sche Be­funde und Reaktions­möglichkeiten der Jugend­strafrechtspflege, ZfJ 1989, S. 313 ff.; Heinz, W.: Mehrfach Auffällige - Mehr­fach Betroffene, in: DVJJ (Hrsg.): Mehr­fach Auffällige - Mehrfach Betroffene, Bonn 1990, S. 30 ff.; Kerner, H.-J.: Mehr­fach­täter, "Intensivtäter" und Rück­fälligkeit, in: Kriminologische Ge­gen­warts­fragen, H. 15, Stuttgart 1986, S. 103 ff.; Kolbe, C.: Kindliche und ju­gend­li­che Intensiv­täter, Heidelberg 1989; Farring­ton, D. P.: What Has Been Learned from Self-Reports About Criminal Careers And the Causes of Offen­ding? (Lite­ra­tur­bericht für das Home Office) <http://www.home­of­fice.gov.uk/rds/pdfs/far­ring­ton.pdf>.

[19] Kerner, Hans-Jürgen: Jugendgerichtsverfahren und Kriminalprävention, in: DVJJ (Hrsg.): Jugendgerichts­verfahren und Kriminalprävention, München 1984, S. 23; ferner Walter, Michael: Jugend­kriminalität, Stuttgart u.a. 1995, S. 151 m.w.N.

[20] Vgl. m.w.N. Dölling, Dieter: Mehrfach auffällige junge Straftäter - krimi­nologi­sche Befunde und Reaktions­möglichkeiten der Jugendstrafrechtspflege, ZJJ 1989, S. 315; Kerner, Hans-Jürgen: Jugend­kriminalität, Mehrfachtäterschaft und Verlauf, Bewährungshilfe 36, 1989, S. 204.

[21] Kerner, H.-J.: Jugendkriminalität, Mehrfachtäterschaft und Verlauf, Be­währungs­hil­fe 36, 1989, S. 204; vgl. auch Elsner/Steffen/Stern (LKA Bayern): Kinder- und Ju­gend­­kriminalität in München, München 1998; S. 111; Döl­ling, D.: Mehrfach auf­fäl­lige junge Straftäter - kriminologische Befunde und Reaktionsmöglichkeiten der Ju­gendstrafrechtspflege, ZJJ 1989, S. 315; Kerner, H. -J.: Jugend­gerichts­verfahren und Kriminalprävention, in: DVJJ (Hrsg.): Jugendgerichtsverfahren und Kri­mi­nal­prä­ven­tion, München 1984, S. 38; Kreuzer, A.: Jugendkriminalität, in: Kai­ser/Ker­ner/Sack/Schellhoss (Hrsg.): Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 3. Aufl., Hei­del­berg 1993, S. 183.

[22] Heinz, W.: Jugendkriminalität in Deutschland, a.a.O. S. 79    
<http://www.uni-kon­stanz.de/rtf/kik/Jugendkriminalitaet-2003-7-e.pdf>.

[23] so auch Steffen, W. (LKA Bayern): Junge Intensivtäter – Kriminologische Be­fun­de. Bewährungshilfe 51, 2004, 62-72.

[24] Heinz, W., Spiess, G., Storz, R.: Prävalenz und Inzidenz strafrechtlicher Sank­tio­nie­rung im Jugendalter, in Kaiser, G. u.a. (Hrsg.): Kriminologische For­schung in den 80er Jahren. Band 35/2, 1988, 631-688.

[25] Hübner, G.-E.; Quedzuweit, M.: Prognose anhand von Kriminalakten. Eine Aus­wer­tung von Akten der Hamburger Kriminalpolizei, Holzkirchen 1992.

[26] Zum Forschungsstand s. Stelly, W., Thomas, J.: Wege aus schwerer Jugend­kri­mi­nalität. Eine qualitative Studie zu Hin­ter­gründen und Bedingungen einer er­folg­reichen Integration von mehrfachauffälligen Jungtätern. TüKrim Bd. 5, 2004, 36ff.

[27] Steffen, W.: Junge Intensivtäter – Kriminologische Be­fun­de. Bewährungshilfe 51, 2004, 62-72, hier: 70

[28] Blinkert, B. (1981). Benachteiligte Jugend – lernen oder kriminell werden? Soziale Welt, Zeitschrift für sozial­wissenschaftliche Forschung und Praxis, 32, 86-118.

[29] In der umfangreichen Studie "Kriminalität im Fokus" <http://www.lka.nrw.de/aktuell/KriminalitätimFokus.pdf> des LKA NRW 2004 wird u.a. erläutert, dass Än­de­rungen in Wahrnehmung und An­zei­ge­verhalten zur Zunahme der registrieren Ge­walt­krimi­nalität in NRW in den letzten zehn Jahren beigetragen haben. Vgl. dazu schon die Ausführungen im 1. Periodischen Sicherheitsbericht der Bundes­re­gie­rung, S. 71f.

[30] 2001 war das Jahr mit der bisher höchsten Belastung der deutschen jugendlichen Tatverdächtigen (s.o. Schaubild 12)<<SB-Nr.!

[31] Dargestellt ist der Zuwachs gegenüber 1987 der TVBZ wegen Straftaten insgesamt (=100%) sowie die hierauf bezogene Größenordnung der Zunahme einzelner De­likts­gruppen. Wegen Mehrfachzählungen (und wegen gleichzeitiger Rückgänge in anderen, nicht dargestellten Deliktsgruppen, z.B. beim schweren Diebstahl) saldieren die Größenordnungen bei den dargestellten Deliktsgruppen nicht zu 100%.

[32] Heinz (Jugendkriminalität in Deutschland, a.a.O.) weist zudem darauf hin, „dass die polizeiliche Einschätzung des Gewaltdelikts nicht sonder­lich stabil ist. Denn wie der Vergleich mit den VBZ (Verurteiltenbelastungszahlen) zeigt, wird nur ein ge­ringer Teil dieser Tatverdächtigen auch ent­sprechend verurteilt, setzt sich die poli­zei­­liche Bewertung in zeitlicher Längsschnittbetrachtung in immer geringer wer­den­dem Masse durch“ (<http://www.uni-kon­stanz.de/rtf/kik/Jugend­kriminalitaet-2003-7-e.pdf> S. 50 und Übersicht 11, S.52).

[33] Erstmals in dieser Form ausgewertet durch Höfer, Sven: Soziographische Merk­male von Täter-Opfer-Konstellationen. Eine empirische Untersuchung anhand von Daten zur PKS Baden-Württemberg, Kriminalistik 2000, 711-715.

[34] Heinz, W.; Spiess, G.: Ergebnisse der Bevölkerungsbefragung in Ravens­burg/ Wein­garten, in: Dölling u.a. , Dieter; Feltes, Thomas; Heinz, Wolfgang; Kury, Hel­mut (Hrsg.): Kommunale Kriminalprävention – Analysen und Perspek­tiven. Ergeb­nisse der Begleitforschung zu den Pilotprojekten in Baden-Württemberg, Em­piri­sche Polizeiforschung, Bd. 15, Holzkirchen/Obb. 2003, 141-174 (Schaubild 9).

[35] Durch die - nach den Vorschriften des JGG bislang nicht zulässige - Verbindung von Jugendstrafe auf Bewährung oder eines Schuldspruchs nach § 27 JGG mit Ju­gend­arrest von bis zu vier Wochen (als sog. Warnschussarrest) „soll es ermöglicht werden, in geeigneten Fällen durch die sinnvolle Kombination mehrerer Sanktionen die erzieherisch beste Wirkung zu erzielen“ und so dem Jugendlichen zu zeigen, „welche Konsequenzen im Falle der Nichtbewährung drohen“; vorgeschlagen wird ferner, die Höchstdauer der Jugendstrafe auf 15 Jahre anzuheben und bei Heran­wachsen­den in der Regel das Erwachsenen­strafrecht anzuwenden (Werwigk-Hert­neck, Rebmann: Reformbedarf im Bereich des Jugendstrafrechts?, ZRP 2003, S. 230.). Dezidiert kritisch dazu Viehmann in ZRP 2003, S. 377 ff.

[36] Spiess, G.: What works? Zum Stand der internationalen kriminologischen Wir­kungs­­forschung  zu Strafe und Behandlung im Strafvollzug. In: Cornel, H.; Nickolai, W. (Hrsg.): What Works? Neue An­sätze der Straffälligenhilfe auf dem Prüf­stand. Freiburg 2004, 12-50.

[37] Hübner, J.: Untersuchung der Kriminalität in Neumünster - Ergebnisse und Erfahrun­gen. Schriftenreihe der PFA Münster 2-3/92, S. 127.

[38] Tabelle modifiziert nach Karstedt-Henke, S.; Crasmöller, B.: Informati­onen über Delin­­quenz im informellen Netzwerk Jugendlicher, in: Kaiser, G.; Kury, H.; Albrecht, H.-J. (Hrsg.): Krimino­logische Forschung in den 80er Jah­ren, Krimi­nologische Forschungsberichte, Bd. 35/2, Freiburg i.Br. 1988, S. 709.

[39] Spiess/Storz: Informelle Reaktionsstrategien im deutschen Jugend­straf­recht. Legalbewährung und Wirkungsanalyse, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.): Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis. Informelle Reaktionen und neue am­bu­lante Maßnahmen auf dem Prüfstand. Konstanzer Symposium. Bonn 1989, 127-153.

[40] Gold, M.: Delinquent behavior in an American city. Belmont 1970

[41] Farrington, D.P.: The effects of public labelling. British Journal of Criminology 17, 1977, 112-125 (m.w.N.)

[42] LeBlanc, M.: La délinquance à l'adolescence: de la délin­quance cachée et de la délin­quance apparente, Annales de Vaucresson 15, 1977, 1-40

[43] Albrecht, G.: Möglichkeiten und Grenzen der Prognose "krimineller Karrie­ren", in: DVJJ (Hrsg.): Mehrfach Auffällige - Mehrfach Betrof­fene, Bonn 1990, S. 110.

[44] Dass Jugendliche die polizeiliche Vernehmung als eine besonders schwerwiegende Folge ihrer Tat wahr­nehmen, belegt eine Täterbefragung durch Karstedt-Henke, S.: Diversion - Ein Freibrief für Straftaten? Wie Jugendliche Sanktionserfahrungen ein­schätzen und welche Schlüsse sie daraus ziehen. DVJJ-Journal 1991, 108-113. 

[45] Nach den Diversionsvorschriften des JGG „..kann bereits die bloße Durchführung des Ermittlungsverfahrens ausreichend sein, das jugendstrafrechtliche Erziehungs­ziel zu erreichen, nämlich die Voraussetzung dafür zu schaffen oder zumindest zu verbessern, dass der junge Mensch nicht wieder straffällig wird“ (Heinz, W.: Diver­sion im Jugendstrafverfahren der Bundesrepublik Deutschland. Gesetzgeberische Zielvorstellungen, kriminologische Grundlagen, Umsetzung in der Praxis, krimi­nalpolitische Folgerungen. In: Heinz, W.; Storz, R.: Diversion im Jugend­straf­verfahren der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1992, 1-130; hier: S. 28).

[46] Erinnert sei nur an die exemplarischen Empfehlungen der bereits zitierten Enquete-Kommission Neumünster, in denen - nicht nur lange vor PISA, sondern auch lange vor dem Amoklauf eines Schülers in Erfurt - unter „Milderung sozial­struktureller Mängel­lagen“ Punkte wie die Vermeidung von Schulentlassungen ohne förmlichen Ab­schluss, der Verzicht auf Sitzenbleiben, die Notwendigkeit integrierten Unter­richts und der besseren Einbindung und Förderung von Kindern ohne ausreichende Sprachkenntnisse, Förderlehrgänge u. a. m.  genannt werden. Zusammen­gefasst in: Hübner, J.: Untersuchung der Kriminalität in Neumünster - Ergebnisse und Erfah­rungen, Schriftenreihe der PFA Münster 2-3/92, S. 117-137, hier insb. S. 132.

[47] Quelle: Heinz, W.: Die neue Rückfallstatistik - Legalbewährung junger Straf­täter, ZJJ 2004, 35-48, Tabelle 2 (teils modi­fiziert), nach: Jehle, J.-M.; Heinz, W.; Sutterer, P. (unter Mitarbeit von S. Hoh­mann, M. Kirchner und G. Spiess): Legalbewährung nach strafrechtlichen Sank­tionen - Eine kommentierte Rückfall­statistik. Mönchengladbach 2003, S. 103, Tab. 2a, 123, Tab. 4.3.a

[48] Spiess, G.: Reaktionen der Strafjustiz bei jungen Wiederholungstätern: Wieviel Strafe muß sein? In: Polizei-Führungsakademie (Hrsg.): Jugendkriminalität. Semi­nar vom 30. August bis 3. September 1993. S. 123-142; ders., Junge Wieder­ho­lungs­täter. Oder: Wieviel Strafe muß sein?, Kriminalistik 48, 1994, 111-117.