Home
| Veranstaltungen | Ausschreibung | Programm | Personen/Prokekte | Kontakt

 


4.-5. Juni 2010
Eröffnungstagung "Narrative der Referenz"
Schloss Freudental

Anmeldung zur Tagung sind bitte zu richten an:
Alexander.Zons@uni-konstanz.de




Exposé

Die Tagung soll ein Forum bieten, um neueste Ansätze in der Wissenschaftstheorie,  Wissens­geschichte, Kultursemiotik und Literaturtheorie zueinander in Beziehung zu setzen. Ge­sprächs­­grundlage ist die These, dass Narrative ein wesentliches Element in der Organisation von Wissensordnungen und ihres Weltbezugs sind. Sie dienen nicht nur der gesellschaftlichen Aneignung und Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse, son­dern sind in bestimmten Fällen für die Theoriebildung selbst konstitutiv.
  Die epistemische Belastbarkeit des Erzählens in einem solchen Maß auszudehnen, schafft aller­dings ein doppeltes Problem. Auf der einen Seite ginge damit der Wissenschaft das Bündel der Leit­unter­scheidungen verloren, auf Grund derer sie sich in der europäischen Neuzeit als eigenes System konstituierte und ihren großen Siegeszug antrat: nämlich die Unter­schei­dung zwischen der Autorität der Fakten und der Autorität der Tradition, zwi­schen experi­men­tell überprüfbaren Tatsachen und bloßen Meinungen oder Hirn­ge­spinsten, zwischen Wahr­heit und Mytho­logie.
  Auf der anderen Seite ist die Erzähltheorie, die inner­halb der Literatur­wissen­­schaft haupt­­sächlich aus der Behandlung mit poetischen Texten hervor­ging, auf einen der­arti­gen Kompetenzzuwachs noch nicht vorbereitet. Insbesondere ist das Begriffspaar von faktualem und fiktionalem Erzählen nicht hin­reichend ausgearbei­tet, um Differenz und In­einander­wirken, Trennungsgeschichte und immer wieder erneuerte Synergien zwischen faktographischen und fiktionalen Darstellungsverfahren nachvoll­zieh­bar machen zu kön­nen.

Eine naheliegende und scheinbar einfache Lösung besteht darin, ‚richtiges’ und ‚fal­sches’ Wissen über das Kriterium der Referenz voneinander zu scheiden: Das eine hat ein Kor­relat in der Außen­welt, das andere nicht. Aber was als wissenschaftliche Pragmatik unter Normalbedingungen und gleichsam für den Hausgebrauch hinreichen mag, verursacht methodologisch die größten Schwierigkeiten, sobald man es in den Rang eines universel­len Erkenntnismodells zu erheben versucht.
  Gleichwohl kommt keine Wissenschaft, die Welterkenntnis sein will, ohne irgendeine Form von Referenzialität aus, die sie über einen mentalen oder kulturellen Solipsismus hinausführt. Mag auch die Produktion wissenschaftlichen Wissens dem jeweiligen histo­rischen oder kulturellen Koordinatensystem unterliegen und insoweit in dessen Be­din­gungs­­gefüge eingeschlossen sein, so muss die Grenze zur außermenschlichen Wirklichkeit doch zugleich als durchlässig gedacht werden, wenn Wissenschaft überhaupt möglich sein sol: Andernfalls würde kulturelles Wissen schlicht aufhören, kulturelles Wissen zu sein.
  Ziel der Tagung ist es nicht, dieses Problem zu lösen, sondern verschiedene Szenarien seiner Bewältigung oder Stillstellung zu beobachten. Besondere Aufmerksamkeit soll der Frage gelten, mittels welcher Erzähl­strategien Wissens­systeme sich ihrer eigenen Referen­zia­lität versichern und diese gegen interne oder externe An­zweiflungen verteidigen. Da die Refe­renz selbst nicht Teil des jeweiligen Zeichensystems und seiner internen Ver­knüpfungs­regeln sein kann, kommt es in diesem Bereich, so die Ver­mutung, gehäuft zu ‚irregu­lären’ epistemischen Manö­vern, zu Konzeptwanderschaften, Modelltransfers und Metaphern­effekten, die vom betreffenden System aus nicht zu beobachten, geschweige denn methodologisch zu kontrollieren sind.
  Innerhalb der Wissenschaftsgeschichte stellt sich das Referenzproblem im Widerspiel zwischen zwei Narrativen dar. Die eine Version erzählt eine Fortschrittsgeschichte, in der sich das Wissen akkumuliert und perfektioniert, in der die Wahrheit sich schritt­weise durchsetzt und Irrtümer überwunden werden. Das andere Narrativ bettet das jeweilige Wissen in seine kulturelle und historische Umgebung ein und führt dazu, die Rationalität und damit – gemessen an den jeweiligen Ausgangsbedingungen – ‚Stimmig­keit’ des wissen­schaftlichen Wissens auf jeder Stufe seiner Entwicklung ins Licht zu rücken. Je nach Gesichtspunkt sind beide Erzählungen unentbehrlich und doch kaum mit­einander ver­einbar.
  Der herkömmlichen Wissenschaftsgeschichte war es vor allem darum zu tun, den grand récit (Lyotard) des Fortschritts zu bedienen. Sie machte sich dabei Strategien der Asymme­trierung zunutze, nämlich durch Ein­satz der Differenz zwischen Norm (= vom Blick­win­kel der Jetztzeit aus geltendes Wissen) und Abweichung von der Norm. Häufig wird auch diese Dif­ferenz zu einem kompletten Narrativ ausgestaltet: als heroische Erzählung von den einsamen Männern, die sich von gesellschaftlichen Vorurteilen freimachen; nach dem Erzählmuster vom Kampf der Wahrheit gegen die Lüge; schließlich durch eine teleo­logische Er­zählung, die das Wis­sen, das sich bestätigt hat, als Hauptlinie der Entwicklung herausstellt, während die Neben­linien in die Sackgasse historischer Befangenheit oder ins Persönlich-Anek­dotische führen.
  Ohne solche Asym­me­­trie­rungen würde es die modernen Wissen­schaften mit ihren im­men­sen Leistungen nicht geben. Sie bleiben gleichwohl problema­tisch, weil die er­rich­te­te Barriere innerhalb der Leitdifferenz empi­risch/konstruiert, faktisch/ideolo­gisch, rein/un­rein den üblichen Para­doxie­effekten von Grenzen ausgesetzt ist: Ist die Grenzziehung ihrerseits eine wissen­schaft­liche Tatsache oder ein kulturelles Konstrukt? Ist sie rein oder unrein? Welche Metaregel hält ‚wahres’ und ‚falsches’ Wissen, die sich in der­selben Person, scientific community, Fachdisziplin, historischen Formation vielfältig be­gegnen und überlagern, auseinander? Wie erklärt sich andererseits ihr beständiger Grenz­verkehr?

Konzeption:
Albrecht Koschorke (Universität Konstanz, Literaturwissenschaft)
Teilnehmer:            
Markus Aspelmeyer (Wien, Quantenphysik)
Michael Hagner (ETH Zürich, Wissenschaftsgeschichte)
Ludwig Jäger (RWTH Aachen, Sprachwissenschaft) Wolfgang Lefèvre  (MPI Berlin, Wissenschaftsgeschichte)
Matías Martínez (Wuppertal, Literaturwissenschaft)
Oliver Simons (Harvard, Literaturwissenschaft)
Julian Sonner (Cambridge, String Theory)
Benjamin Steininger (IFK Wien, Wissenschaftsgeschichte)
Christina Wessely (Wien, Wissenschaftsgeschichte

Programm:

Freitag, 4. Juni / Friday, June 4th

9.00      
Einleitung/Introduction (Albrecht Koschorke)

9.30     
Ludwig Jäger Parasème und Diskurs.
Über das narrative Fundament der Referenz

10.30           
Kaffepause / Coffee Break

11.00           
Julian Sonner
Mathematics as the Language of Physics: the example of string theory.

12.00           
Markus Aspelmeyer
Realism and contextuality in quantum experiments

13.00           
Mittagspause / Lunch

14.30           
Benjamin Steininger, Christina Wessely
Polychrone Stoffe als Medien der Referenz

15.30           
Wolfgang Lefèvre
Jean Baptist Lamarck – A Darwinist avant Charles Darwin?

16.30           
Kaffepause / Coffee Break

17.00           
Michael Hagner
Der Hauslehrer. Über Sexualität, Kriminalität und Medien um 1900

19.30           
Abendessen / Dinner  

Samstag, 5. Juni / Saturday, June 5th

9.00           
Matías Martínez
Fiktion und Wirklichkeit.
Über Referenzialisierungsstrategien fiktionaler Erzähltexte

10.00          
Kaffepause

10.30           
Oliver Simons:
Nullpunkt, Neutrum, punctum: Das Reale bei Roland Barthes.

11.30           
Abschlussdiskussion / Concluding Discussion