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„Wir haben uns nicht in erster Linie an Amerika orientiert“
Interview mit Fritz. W. Scharpf, dem Mitgründer des Studiengangs Verwaltungswissenschaft an der Uni Konstanz.

Für die meisten Leute unseres Fachbereichs ist es wahrscheinlich eine Selbstverständlichkeit. Oder wer von Euch hat im Studium noch nie einen Beitrag von Fritz W. Scharpf gelesen? Ob Sozialpolitik, Föderalismus, europäisches Mehrebenensystem oder auch Demokratietheorie; seine Betätigungsfelder sind vielfältig. Und einmal im Jahr kommt er nach Konstanz, um als Honorarprofessor einen Kompaktkurs durchzuführen. So auch dieses Jahr. Diese Gelegenheit haben Martin Schommer und Tobias Straub vom PoWalter genutzt und haben mit Herrn Scharpf folgendes Interview geführt:

Powalter: Die meisten Studenten unseres Fachbereichs kennen Sie als Wissenschaftler, können sich aber wahrscheinlich sonst nicht so viel unter Ihrer Person vorstellen. Schildern Sie doch einmal Ihre beruflichen Stationen!

Scharpf: Ich stamme aus Schwäbisch-Hall. Ich habe in Tübingen und Freiburg Jura und Politikwissenschaft studiert. Nach zwei Semestern erhielt ich ein Fulbright-Stipendium an die Yale-University, wo ich als Un­dergraduate ein Jahr lang Politikwissenschaften studierte. Nach dem Referendarexamen ging ich wieder für ein Jahr an die Yale-Law-School und habe dort den Master of Law (LLM) erworben. Während der anschließenden Refe­rendarzeit habe ich in Freiburg über ein Thema aus dem amerikanischen Verfassungsrecht promoviert, das stark politikwissenschaftlich akzentuiert war. Der Erstreferent war Arnold Bergsträ­sser - einer der ersten Inhaber von politikwissenschaftlichen Lehrstühlen in Deutschland nach dem Krieg. Er hatte das Promotionsrecht in der philoso­phischen und in der juristischen Fakultät, so daß ich mit einer politikwissenschaftlichen Dissertation den Dr. jur. Erwerben konnte. Nach der Assessorprüfung und der Promotion in Freiburg ging ich wieder in die USA und war zwei Jahre lang Assistent Profes­sor an der Yale-Law-School, wo ich Rechtsverglei­chung und amerikanisches Verfassungsrecht unterrichtet habe. Obwohl man mir am Ende dieser Zeit eine volle Professur anbot, ging ich 1966 zurück, um mich in Freiburg zu habilitieren. Während ich daran noch arbeitete, bekam ich den Ruf nach Konstanz auf einen Lehrstuhl im Fachbereich Politikwissenschaft.

Powalter: Fand Ihr Ruf direkt im Gründungsjahr der Universität statt?

Scharpf: Nein, ich kam erst im März 68, also etwa ein Jahr später als die Erstberufenen – darunter Hess als Rektor, Dahrendorf in der Soziologie, Besson in der Politikwissenschaft, Jauß in der Literaturwissenschaft oder Nesselhauf bei den Historikern.

Powalter: Dann kamen Sie nach Konstanz und haben den Studiengang Verwaltungswissenschaft mit begründet.

Scharpf: Ein grundsätzliches Interesse daran war schon im Gründungsbericht formuliert worden. Unter den vorhandenen Dozenten war es insbesondere Rolf Grauhahn, früher Assistent bei Waldemar Besson, der sich dafür eingesetzt hat. Mit ihm zusammen haben wir versucht, das Konzept zu entwickeln. Es gab zwei Aufgaben dabei: Zum einen ging es darum, innerhalb der Universität einen Konsens für die Einführung dieses Studiengangs zu erreichen. Zweitens ging es um die Akzeptanz des Studiengangs bei der Landesregierung, die ihn ja genehmigen sollte, aber auch bei den potenziellen Arbeitgebern der künftigen Absolventen. Innerhalb der Universität wurde die Zustimmung dadurch erleichtert, dass wir ein gemein­sames sozialwissenschaftliches Grundstudium für Politikwissenschaft, Soziologie, Rechtswissenschaft und Öko­nomie vorschlugen. Das war damals attraktiv, weil sowohl die Juristen als auch die Ökonomen noch keinen eigenen grundständigen Studiengang hatten, sodass beide daran interessiert waren, ihre Beiträge zu einem gemeinsamen sozialwissenschaftlichen Grundstudium zu leisten. Das Ver­waltungsstudium sollte erst in der zweiten Hälfte des Studiengangs aufbauen auf diesem sozialwissenschaftli­chen Grundstudium, ebenso wie ein Magister in Politik oder ein Diplom in anderen Fächern darauf hätte auf­bauen können.

Powalter: Das konnte man wohl als Interdisziplinarität im wahrsten Sinne des Wortes bezeichnen?

Scharpf: Ja, das war die Idee. Alle Studenten sollten solide Grundkenntnisse im öffentli­chen und im privaten Recht, in der Mikro- und Makroökonomik, in der Soziologie und der Politikwissenschaft haben. Darauf aufbauend sollte sich dann das verwaltungswissenschaftliche Studium im zweiten Teil stärker auf Policy-Probleme, auf Verwaltungsstrukturen und Organisationsprobleme konzentrieren.

Powalter: Heute wird gelehrt, dass der Studiengang eingeführt wurde, um das Juristenmonopol in den Verwaltungen aufzubrechen. War das damals wirklich die Intention?

Scharpf: Das ist richtig. Dies war ja die Zeit der Reformpolitik und der Bemühungen um politische Planung. Ich selber habe damals empirische Untersuchungen im Be­reich der Ministerialorganisation und der Staatskanzleien der Länder durchgeführt. Dort war die Meinung weit verbreitet, dass die traditionelle Juristenausbildung ihre Absolventen nicht ausreichend qualifiziere für die Bewältigung der analytischen oder planerischen Aufgaben, die mit aktiver Reformpolitik verbun­den sind. Wie gesagt, auch der Gründungsausschuss hatte das aufgenommen im Gründungsbericht. Wir haben deswegen auch mit den Leuten in den Mini­sterien, in den Beamtenverbänden und in den politischen Parteien intensiv darüber geredet, welche Qualifikationen aus ihrer Sicht erwünscht wären, um das Verwaltungspersonal auf Planungsaufgaben besser vorzubereiten.

Powalter: Kann man sagen, man wollte in Sachen Interdisziplinarität beim Verwaltungspersonal von Amerika lernen?

Scharpf: Wir haben uns nicht in erster Linie an Amerika orientiert, wo die Juristen nur in Rechts­abteilungen dominieren, während im übrigen Ökonomen, Politologen, Soziologen und viele andere Spezialdisziplinen je nach fachlichem Bedarf zum Zuge kommen. Im Vergleich dazu wurden die Juristen in der deutschen Verwaltung als Generalisten eingesetzt, und das Juristenmonopol hatte immerhin den Vorteil, daß die Kommunikation zwischen den Abteilungen und Ressorts dadurch erleichtert wird, daß alle Beteiligten die gleiche Sprache sprechen – auch wenn alle Probleme erst mal in Rechts­fragen übersetzt werden müssen, ehe man darüber juristisch reden kann. Unser Vorbild war eher die französische Ausbildung an der Sciences-Po und der ENA, deren Absolventen nach dem Studium in Stabsfunktionen kommen. D.h. wir wollten in Konstanz besser qualifizierte Verwal­tungsgeneralisten ausbilden, die dann mit den Juristen um deren nicht-juristische Funktionen konkurrieren würden.

Powalter: Es mussten doch überwiegend Juristen darüber entscheiden, ob man den Studiengang so genehmigt. War es nicht schwierig den zuständigen Beamten einen Studiengang nahezubringen, der offensichtlich ihr Monopol bedrohte?

Scharpf: Eigentlich nein, denn unsere Gesprächspartner waren Juristen, die selbst davon überzeugt waren, daß ihre Aufgaben mit einer rein juristische Ausbildung nicht optimal zu bewältigen waren. Außerdem fingen wir ja nicht mit großen Zahlen an. Der entscheidende Test auf die Kooperati­onsbereitschaft war deshalb die Bereitschaft von Städten, Ministerien und Regierungspräsidien, erstens Stellen für den Arbeitsaufenthalt anzubieten und zweitens Verwaltungsreferendariate speziell für die Konstanzer neu einzurichten. Diese Bereitschaft war durchaus da.

Powalter: Wenn man das aus heutiger Sicht betrachtet, ist doch der hohe Anspruch nicht erfüllt wor­den. Die Juristen haben doch heute immer noch fast ein Monopol. Zwar kommen die ausgebildeten Verwalter schon am Arbeitsmarkt unter, vielleicht auch besser als andere Politologen, aber doch eher selten in Verwaltungen. Sind Sie der gleichen Meinung oder sehen sie das positiver?

Scharpf: Über den Verbleib der derzeitigen Absolventen weiß ich recht wenig. In den ersten Kohorten, die in Konstanz ihr Diplom gemacht haben, hat das Modell durchaus funktioniert, aber wie gesagt, es wa­ren relativ kleine Zahlen. Die fanden ihre Jobs im Bundeskanzleramt und anderen Bundesministerien, in den Ministerien und Staatskanzleien der Länder, einer wurde später Staatssekretär im Finanzministerium in Nordrhein-Westfalen. Andere fanden ihren Platz in den Stabsabteilungen von Verbänden und Gewerkschaften. Das lief also schon in die angestrebte Richtung. Wir hatten allerdings nicht damit gerechnet, daß die Nachfrage aus den privaten Unternehmen fast noch größer war als die aus dem öffentlichen Sektor, und dass der Aufstieg zum Personalchef bei Audi noch schneller ging, als der zum Staatssekretär im Finanzministerium. Die Voraussetzungen dafür waren im Hauptstudium allerdings schon angelegt. Wir boten ja die Spezialisierung auf Organisation und Personalwesen ebenso an wie die auf Policy-Analysen oder Haushalt und Planung. Insofern gab es schon gute Gründe dafür, dass Konstanzer Absolventen auch in der Per­sonalverwaltung und im Management privater Unternehmen reüssiert haben. Aber bei der Gründung hatten wir in erster Linie an die öffentliche Verwaltung gedacht.

Powalter: Sie selbst sind ja dann 1973 wieder aus Konstanz weggegangen.

Scharpf: Ja, ich bekam 1973 das Angebot, an das Wissenschaftszentrum Berlin zu gehen, um dort das internationale Institut für Management und Verwaltung zu übernehmen. Ich habe zunächst noch meine Lehrveranstaltungen und auch einige Forschungsprojekte hier weiter geführt. Aber das lief dann nach zwei bis drei Jahren aus.

Powalter: In Berlin waren Sie dann bis 1986.

Scharpf: Ja, am WZB gab es jeweils nur Fünfjahresverträge für die Direktoren. Ich habe mich dann 1984 nicht wieder beworben und blieb noch zwei Jahre als Forschungsprofessor am WZB, um eine große empirische Untersuchung abzuschließen. 1986 bin ich dann als Direktor an das Max-Planck-Institut nach Köln berufen worden, das 1985 von Renate Mayntz neu ge­gründet worden war.

Powalter: Was waren, bzw. was sind dort Ihre Aufgaben?

Scharpf: Bis zum Ausscheiden von Renate Mayntz 1997 habe ich das Institut mit ihr gemeinsam geleitet. Dann ist an ihrer Stelle Wolfgang Streeck berufen worden und seitdem leite ich es mit ihm zusammen. Unser Forschungsprogramm richtete sich zunächst auf international vergleichende Untersuchungen zur Interaktion zwi­schen staatlicher Steuerung und wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Selbstorganisation in den Bereichen Gesundheitswesen, Forschungssysteme, Telekommunikation und andere große technische Systeme. Dann kam die deutsche Vereinigung und wir haben sehr viel investiert in Forschung über die Transformation von sektoralen Strukturen in Ostdeutschland. In der Zusammenarbeit mit Streeck konzentriert sich unser Programm jetzt im Wesentlichen auf das Verhältnis zwischen der Internationalisierung von Wirtschaft und Politik und der Handlungs- und Problemlösungsfähigkeit nationaler Institutionen. Streeck interessiert sich mehr für den Bereich industrielle Beziehungen, Verbände, Gewerkschaften, Interessenintermediation. Ich interessiere mich mehr für die staatliche Politik.

Powalter: Und ganz nebenbei hat das Max-Planck-Institut noch die Professoren für Konstanz ausgebil­det.

Scharpf: Na ja. Von unseren Mitarbeitern sind inzwischen, glaube ich, zwölf auf Lehrstühlen. Inso­fern ist es also nicht nur Konstanz. Aber wir profitieren natürlich auch sehr von Konstanz bei der Rekrutierung unsere Mitarbei­ter.

Powalter: Es sind also auch Verwalter nach Köln gegangen?

Scharpf: Ja, wir haben ziemlich viele Doktoranden und auch promovierte oder habilitierte Mitarbeiter aus Konstanz gewonnen.

Powalter: Verbindet Sie außer diesem wissenschaftlichen Transfer noch etwas mit Konstanz?

Scharpf: Ich komme gerne her. Für mich gehört die Gegend nach wie zu den attraktivsten in Deutschland. Aber wir haben hier leider keine Wohnung mehr.

Powalter: In der Politikwissenschaft ist ja schon in vielen Bereichen etwas von Ihnen veröffentlicht worden. Gibt es sonst noch Dinge, denen Sie gerne nachgehen?

Scharpf: Ich habe lange viel Zeit investiert in Fotografie, aber das ist sehr an den Rand gedrückt wor­den durch die Arbeit in Köln. In Berlin habe ich das noch geschafft ernsthaft in der Dunkelkammer zu arbeiten, aber in Köln nicht mehr. Jetzt überlege ich mir, was ich nach der Emeritierung in eineinhalb Jahren mache.

Powalter: Gibt es bis dahin ein größeres Forschungsprojekt, das Sie noch angehen wollen - vielleicht in einem Be­reich, den Sie noch nicht so sehr beackert haben?

Scharpf: Nein, in diesen eineinhalb Jahren werde ich aus dem laufenden Projekt über die "Problemlösungsfähigkeit der euro­päischen Mehrebenenpolitik" ein Buch machen.

Powalter: Gibt es einen Artikel, den Sie im Nachhinein nicht mehr veröffentlichen würden, vielleicht weil Sie zu einem Ergebnis gekommen sind, das Sie so nicht mehr unterstützen würden oder weil die Daten nicht gestimmt haben?

Scharpf: So schlimm war es nicht. Das passiert ja auch eher bei den Krebsforschern. Nein, eigentlich nicht. Ich habe neulich meine Konstanzer Antrittsvorlesung über Demokratietheorie wieder anschauen müssen, weil jemand etwas daraus veröffentlichen wollte. Das würde ich heute nicht viel anders schreiben. Nein, eigentlich finde ich, dass meine Themen eine ziemliche Kontinuität haben und sich kumulativ entwickelten.

Powalter: Bekommt man denn als Wissenschaftler oft Gegenwind von Interessenverbänden, zum Bei­spiel Gewerkschaften? Ich erinnere mich an einen Artikel, in dem Sie die Negative Einkommensteuer propagiert haben.

Scharpf: Das ist inzwischen fast eine unendliche Geschichte. Ich habe den Vorschlag zuerst Anfang der neunziger Jahre in die politische Diskussion eingebracht, wo er von Anfang an auf Wider­stand bei den Gewerkschaften gestoßen ist. Ich habe ihn mehrfach verändert, um bestimmte Gegenargumente zu vermeiden und in der Fassung, in der er dann von der Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung aufgenommen wurde, war eigentlich allem Rechnung getragen, was die Gewerkschaften an Ein­wänden gebracht hatten. In der Kommission konnte der Text deshalb auch einstimmig verabschiedet werden. Wir haben danach auch viel Zeit darauf verwandt, um in Diskussionen im DGB-Vorstand, in den Einzelge­werkschaften und auf lokaler und regionaler Ebene den Vorschlag zu erläutern, aber als er dann veröffentlicht war, hieß es doch wieder, dass die Gewerkschaften nicht die Entstehung eines staatlich subventionierten Niedriglohn-Sektors billigen könnten. Mein Kollege Streeck hat dann im Bündnis für Arbeit noch mal einen sehr viel energischeren und bes­ser fundierten Versuch gemacht, solche Vorschläge konsensfähig zu machen. Aber auch er wurde bisher von den Gewerkschaften blockiert.

Powalter: Zurück zum Studium: Wo sollte ein Studiengang wie Verwaltungswissen­schaft, der auch auf Politikanalyse ausgerichtet ist, heute die Schwerpunkte setzen?

Scharpf: Dazu kann ich nicht viel Gescheites sagen. Unsere damalige Definition war eine sehr praxisorientierte. Wir haben eine bestimmte Art des Bedarfs identifiziert und im Hinblick auf diesen Bedarf versucht, ein Studium zu konstruieren. Wie ich schon sagte, haben wir dabei einen Teil des Bedarfs sogar stark unterschätzt. Danach haben sich in der weiteren Evolution neue Profile herausgebildet, an die man am Anfang nicht gedacht hatte, die sich aber im bestehenden Rahmen gut integrieren ließen. Wo jetzt die interessanten Marktlücken für den Konstanzer Studiengang liegen, das könnte ich nicht ohne eine ähnlich intensive Marktanalyse sagen. Abstrakt kann man allenfalls behaupten, dass die explizite Orientierung auf berufsfeldbezogene Chancen eine wichtige Voraussetzung für den bisherigen Erfolg der Konstanzer Ausbildung war. Demgegenüber könnte eine rein wissenschaftsorien­tierte Definition vielleicht den leichteren Zugang in akademische Karrieren eröffnen. Das hatten wir aber damals überhaupt nicht im Auge. In den ersten Generationen gab es mehrere Absolventen, die für eine wissen­schaftliche Laufbahn erstklassig qualifiziert gewesen wären, an der sie aber kein Interesse hatten. Sie waren nach Konstanz gegangen und hatten Sozialwissenschaften studiert, weil sie praktisch etwas bewirken wollten, und sie sind dann eben auch in die Praxis gegangen, obwohl ihnen eine brillante Professorenlaufbahn sicher gewesen wäre. Dieser Selbstselektion auf Seiten der Studierenden entsprach damals auch das Selbstverständnis des Fachbereichs. Das kann man anders machen. Harvard ist auch eine Einrichtung, die keinerlei Arbeitsmarktprobleme hat, aber dort orientiert man sich am akademischen Arbeitsmarkt und die Selbstselektion favorisiert Studierende, die als Wissenschaftler Karriere machen wollen. Das kann man sich im Prinzip aussuchen. Nur ist der deutsche akademische Arbeitsmarkt nicht so groß, dass er einen riesigen Studiengang verkraften würde.

Powalter: Heute wird ja da etwas anders argumentiert. Man hört oft von Professoren, dass die Leute an die Fachhochschule gehen sollen, wenn sie Praxisbezug wollen. Damals hat man das offensicht­lich anders gesehen.

Scharpf: Die Frage stellte sich damals nicht, weil das Klassensystem im öffentlichen Dienst es kaum zuließ, von der Fachhochschule aus an Positionen zu kommen, wo Politik geplant und entwickelt wird. Die Trennung zwischen höherem Dienst und gehobenem Dienst war damals noch schärfer als heute. Im übrigen käme ja auch heute keiner auf die Idee die Ausbildung anderer anspruchsvoller akademischer Berufe – etwa der Juristen, Mediziner oder Ingenieure – allein den Fachhochschulen zu überlassen.

Powalter: Zum Abschluss eine Frage, die nochmals die heutige Hochschullandschaft betrifft. Was halten Sie davon, dass auch bei einem Studiengang wie dem der Verwaltungswissenschaft eine immer stärkere Verschulung stattfindet und gab es diese Verschulung auch schon in den Anfängen des Studiengangs?

Scharpf: In den ersten Jahrgängen war das auch so. Wir hatten ja das strikte Credit-Point-System eingeführt. So war die Zwischenprüfung bestanden, wenn man im Grundstudium die erforderlichen Leistungsnachweise zusammen hatte. Die Pflichtkurse waren klar definiert: Makroökonomik, Mikroökonomik, öffentliches Recht, Privatrecht, Innenpolitik, Internationale Politik, Statistik, etc. und dann noch ein paar Wahlmöglichkeiten. Das war schon strikt ver­schult. Anders hätte das gemeinsame sozialwissenschaftliche Grundstudium auch gar nicht realisiert werden können. Im Hauptstudium gab es dann sehr viel mehr Wahlmöglichkeiten. Wir meinten, dass nach einem neunmonatigen Arbeitsaufenthalt die Studierenden genug über die reale Welt der Verwaltung gelernt haben müssten, um zu wissen, wie ihr Menü im Hauptstudium zusammengesetzt sein sollte. Das hieß dann auch, dass die Lehrenden flexibel genug sein mussten, um beispielsweise Projektkurse einzurichten, bei denen auch die Interessen der Studierenden berücksichtigt wurden. Aber auch da galt das Credit-Point-System und wenn die Leistungsnachweise der Kurse vorhanden waren, beschränkte sich die Abschlussprüfung auf die Diplomarbeit und das Kolloquium über die Diplomarbeit. Das war auch ein wichtiges Verkaufsargument gegenüber der Ministerialbürokratie, dass bei uns die Leute tatsächlich in der Regelstudienzeit fertig wurden. Deswegen haben wir uns auch so gegen die Wiedereinführung von Schlussprüfungen gesträubt. Nach 1972 ist dann im Streit um die Universitätsverfassung dieses Konstanzer Modell in wesentlichen Elementen verändert worden. So etwa das Departmentprinzip, von dem die Breite des Lehrangebots abhing, weil auch die Assistenten als selbständig Lehrende eingesetzt werden konnten. Das was man heute als Juniorpro­fessur wiedererfindet, das hatten wir damals schon.

Powalter: Es war ja auch möglich, dass Assistenten Prüfungen abnehmen konnten.

Scharpf: Ja, auch das war ein wichtiges Element, das dann mit dem roll-back in der Hochschulreform 1972/73 wie­der abgeschafft wurde.

Powalter: Bis zu diesem roll-back war die Mitbestimmung in Konstanz ja sehr ausgeprägt. Wie sah die konkret aus?

Scharpf: Wir hatten einen Ausschuss für Lehre und einen Ausschuss für Forschung. Der Ausschuss für Lehre war paritätisch besetzt, zur Hälfte Studierende und zur Hälfte Lehrende, egal ob Professoren oder Assistenten. Der Ausschuss für Forschung war ausschließlich mit Habilitierten bzw. Professoren und nur mit je zwei Vertretern von Assistenten und Studierenden besetzt. Das heißt, die Konstanzer Mitbestimmung war funktional differenziert. Die Universität hatte damals, ich weiß nicht ob das heute noch so ist, einen relativ großen Forschungsetat. Die Lehrstühle hatten keine Forschungsmittel, so dass man, wenn man forschen wollte, einen Antrag an den Forschungsaus­schuss stellen musste.

Powalter: Sind sie mit der Einbindung der Studierenden in die Gremien gut gefahren?

Scharpf: Ja! Das waren ja die Kunden. An der normalen deutschen Universität sind die Studenten ja bloß eine Belastung und so lange Sie nicht für die Einführung von Studiengebühren kämpfen, wird das auch so bleiben.

PoWalter: Herr Scharpf, vielen Dank für das Interview.

Interview: Martin Schommer und Tobias Straub

Aus PoWalter Nr. 32

nbsp;  
Letzte Aktualisierung: 05.03.2006