Workshop Konjunkturen der Häuslichkeit

Universität Konstanz, 20./21. November 2009

 

Exposé

 

Das Haus war eine für das „Alte Europa“ grundlegende Institution. Es war immer schon beides: beständiges Gebäude und Personenverband; dass die Adelsgeschlechter des Frühmittelalters erst durch die Benennung nach ihrem Wohnsitz identifizierbar geworden sind, macht diesen engen Zusammenhang anschaulich. Mehr noch als der Baukunst verdanken Adels- wie Bauernhäuser ihre Ordnung und ihren Bestand bestimmten Praktiken und Normen. Zu ersteren zählen etwa Schrift- und Bildpraktiken der genealogischen Selbstvergewisserung, zu letzteren Regeln und Gesetze, die Vererbung und Verheiratung sowie das Verhältnis zwischen Herrschaft und Gesinde betreffen. Als Herrschaftseinheit wird das Haus auch in den aus antiken Quellen schöpfenden Traktaten der Ökonomik kenntlich, der so genannten „Hausväterliteratur“: Sie weist dem männlichen Vorstand weitgehende Vollmacht in allen Belangen des Hauses zu und unterstellt dessen Bewohner seiner Regierungsgewalt. Solche nicht zuletzt theologisch geprägten Vorstellungen von der Führung eines Gemeinwesens ließen sich auf größere Verbände übertragen; das Haus konnte zum Paradigma der Staatslehre werden.

Um 1800 trugen rechtliche und ökonomische Veränderungen zur Auflösung des Hauses bei: Die staatliche Gesetzgebung setzte die Individuen aus den ständischen Bindungen weitgehend frei und ermöglichte es ihnen, ihre Arbeitskraft auf den neu entstandenen Markt zu tragen. Begleitet wurde dieser Vorgang von einem Aufstieg der Familie, dem die geschichts-, die sozial- und nicht zuletzt die literaturwissenschaftliche Forschung große Aufmerksamkeit geschenkt hat. Nur am Rande bemerkt wurde dabei ein literarisches Nachleben des Hauses im 19. Jahrhundert: So wissen die Romane und Erzählungen von Adalbert Stifter, Gustav Freytag, Theodor Fontane und noch Thomas Mann von matrimonialen Strategien der Besitzakkumulation wie von der symbolischen Fundamentierung des Baukörpers im Akt der Grundsteinlegung. Sie imaginieren Techniken zur Erhaltung und Reproduktion des materiellen wie sozialen Bestands des Hauses oder  geben Parolen zu seinem Wiederaufbau aus. Die Literatur wird dabei von volkskundlichen Schriften etwa Wilhelm Heinrich Riehls sekundiert, dessen Konzept des „ganzen Hauses“ noch in Otto Brunners Wiederentdeckung der alteuropäischen Ökonomik nachwirkt.

Man hat dies der nachrevolutionären Ideologie eines Bürgertums zugeordnet, dem das Private in Zeiten politischer Wirren und sozialen Umbruchs ein Refugium sein sollte. Die Initiatoren des Workshops schlagen dagegen vor, diese imaginäre Restauration als ein literarisches Programm der Lebensführung in einem weiteren kulturellen Zusammenhang zu situieren, dessen Beschreibung und Analyse sich – für den Anfang – in zwei Richtungen verfolgen lässt. Zu denken ist dabei zunächst an eine wissenshistorische Rekonstruktion, denn das 20. Jahrhundert hat einen überdeterminierten Begriff vom Haus geerbt und allmählich erst damit begonnen, dessen Bedeutungsschichten zu erkunden. Dies geschieht etwa bei Claude Lévi-Strauss, der sich bei seinen Beobachtungen zu außereuropäischen „Häusergesellschaften“ von Forschungen zum europäischen Frühmittelalter anregen lässt. Der Workshop fokussiert sodann Programme der Architekturtheorie und Innendekoration sowie das Phänomen der bürgerlichen Salon- und Hausmusik, in denen sich besonders im 19. Jahrhundert ein neuartiges Interesse an „Häuslichkeit“ manifestiert. Der interdisziplinäre Austausch über unterschiedliche Seiten und historische Zusammenhänge dieser häuslichen material culture soll uns Aufschluss über das Versprechen und die Grenzen einer Kulturtheorie des Hauses geben.

 

 

TeilnehmerInnen

Prof. Dr. Iris Därmann

Prof. Dr. Susanne Fontaine

Dr. Nacim Ghanbari

Johannes Grawe

Dr. des. Saskia Haag

PD Dr. Roland Hardenberg

Dr. Inken Schmidt-Voges

Prof. Dr. Beate Söntgen

PD Dr. Marcus Twellmann