Arbeitsgespräch Romantische Institutionen
Universität Konstanz, 12./13. November 2009

 

 

Konzept

1

Seit etwa zwei Jahren gibt es in Konstanz eine Initiative zum Themenfeld Recht & Literatur. Auf Seiten der Rechtswissenschaft wird diese Initiative von Herrn Röhl und Herrn Schönberger getragen, auf Seiten der Literaturwissenschaft von der Forschungsstelle Kulturtheorie. Ein sehr erfolgreiches Arbeitstreffen fand im Februar 2008 unter dem Titel ‚Juridische und Literarische Aspekte von Normbildung’ statt (vgl. http://www.uni-konstanz.de/kulturtheorie/veranst_de.htm), das außerordentlich gute Resonanz auch bei den Gästen fand. Die einhellige Meinung war, dass man diesen informellen, aber inten­si­ven Gedankenaustausch fortsetzen sollte.

Deshalb laden wir zu einem weiteren Arbeitsgespräch ein, das sich mit der Verflochtenheit und Trennungsgeschichte von Recht & Literatur im 19. Jahrhundert befassen soll. Im Zentrum soll die Frage nach dem romantischen Institutionendenken und seiner Nach­geschichte stehen.

 

2

Um das Vorhaben zu konkretisieren, seien folgende Bereiche kurz umrissen:

- Disziplinen. 'Germanisten' waren im frühen 19. Jahrhundert Vertreter einer sich auf ger­ma­nische Traditionen berufenden Rechtslehre, in teilweise polemisch-nationalistischer Abgrenzung von den 'Romanisten' und der römisch-französischen Rechtstradition. Der Begriff 'Germanistik' markiert in seiner Frühzeit also eine Überlappungszone zwischen Rechtsgeschichte und entstehender Nationalphilologie. Hinzu kommt, dass einige der be­deutendsten romantischen Dichter im Lern- oder Hauptberuf Juristen waren und die Sym­biose der Disziplinen wie auch die Spannungen zwischen beiden in ihrer eigenen Existenz austragen.

- Narrative. Die Idee, dass das 'germanische' Recht auf Herkommen, Sitte, auf organischer Gemeinschaft statt auf rationaler Vertraglichkeit usw. beruhte, erzeugte einen großen Bedarf an entsprechenden Ursprungs- und Herkommensnarrativen. Die Mittelaltermode der Romantiker hat hier auch eine rechtsgeschichtliche Komponente: Es ging darum, jene 'altdeutschen' Verhältnisse überhaupt erst retrofiktional zu erzeugen, auf die sich die Idee eines genuin deutschen Rechts stützen konnte. (Besonders relevant für diesen Zusammen­hang ist die Wirksamkeit der Brüder Grimm, die ja auf beiden Feldern tätig waren. Man kann sogar die Märchensammlung der Brüder Grimm in den Kontext der politischen Frage rücken, was es heißt, ‚dem Volk eine Stimme zu geben’ und welche Zwischenschritte der Vermittlung, Übersetzung, Purifikation und Erziehung dafür notwendig sind.)

- Institution. Eine wichtige und wohl noch nicht hinreichend durchdrungene Frage be­trifft das Verhältnis zwischen romantischem Denken einerseits und den institutionellen Ent­wick­lungen in Deutschland seit 1800 andererseits. Man könnte hier möglicherweise von einem Paradox sprechen: Das Denken der Romantiker transportiert einen stark indivi­dua­listischen und anti-institutionellen Impuls und steht bekanntlich unter dem Verdacht, rein okkasionalistisch auf die unendliche Vervielfachung von Kommunikationsanlässen abzu­zielen, ohne zu einer entschiedenen Form zu gelangen. Zugleich ist aber die Zeit seit 1806 (Zusammen­bruch Preußens, Auflösung des Deutschen Reiches) gerade eine Epoche von Institutionen­bildung und -reform, die nicht zuletzt von Romantikern getragen wurde. Das gilt exem­plarisch für die Berliner Universität, aber auch auf vielen anderen Gebieten im Prozess der Erneuerung Preußens. Nicht zuletzt ist der Traum von der deutschen Nation und wohl auch derjenige vom preußischen Staat ein zutiefst romantischer Traum. Zu fragen wäre also, wie ‚romantisch’ Preußen auch dort war, wo man Romantik auf den ersten Blick nicht vermuten würde – in der Administration (vor allem der Beamtenschaft), im Rechtswesen, in der Ökonomie, in der (Wieder)Herstellung autoritärer und militaristi­scher Staatlichkeit.

- Strategien. Im Blick auf den so genannten Kodifikationsstreit zwischen Anton Friedrich Justus Thibaut und Friedrich Carl von Savigny von 1814 lässt sich das bisher Genannte noch aus einer weiteren Perspektive behandeln.
  Auf der einen Seite tritt Thibaut, der die Auffassung einer organischen Rechts­entwick­lung ablehnt, für ein positiviertes Naturrecht in Form eines allgemein verständlichen Gesetzbuchs für den gesamten deutschsprachigen Raum ein, das der mündige Bürger aufgrund klarer Kodifizierung ohne Zuhilfenahme von Experten in Anspruch nehmen könne. Auf der anderen Seite argumentiert Savigny für ein organisch wachsendes Recht und seine stets zu perfektionierende Interpretation durch Spezialisten. Gemäß einer ständig bemühten Analogie zur Sprache sei das Recht in ununterbrochener Bildung und Entwicklung begriffen und entziehe sich daher, jedenfalls hier und jetzt noch, der Ver­einheitlichung und Systematisierung.
  Zu fragen wäre hier, ob sich dieses Plädoyer für ein unbestimmtes, lokal differenziertes Recht nicht auch als strategischer Einsatz in einer Zeit der Neuordnung des alten Reichs verstehen lässt. Mit der Konstruktion des Rechts als Arkanum wird ja ein Bedarf an Ex­perten allererst geschaffen, den dann die neue Disziplin ‚Historische Rechts­wissen­schaft’, etwa an der Berliner Universität, zu befriedigen hat. Ebenso wäre nach dem Verhältnis der Rechtsauffassung zum imaginierten Volk und der Rolle des gebildeten Ro­man­tikers als seines Interpreten zu fragen. Und schließlich: Kann der Kodifikationsstreit als eine Art Wiedereintritt konfessioneller Unterscheidungen in den politischen Raum verstanden werden – als eine Kontroverse, in der das sola-scriptura-Prinzip und die Un­mittel­barkeit des Bürgers zum Recht bzw. zu Gott sich gegen die Auffassung von der Unverzichtbarkeit vermittelnder Instanzen stellt?
     
- Ironie. Von besonderem Interesse könnte schließlich die Frage sein, wie sich das roman­tische Prinzip der Ironie zu Institutionalisierungsprozessen verhält. Spontan würde man denken, dass Staatsbeamtentum und Ironieprinzip nichts miteinander zu tun haben können. Aber gibt es nicht – möglicherweise aus protestantisch-pietistischen Quellen gespeist – die Idee einer inneren Unabhängigkeit auch des Staatsdieners, der die Grundlagen seiner eigenen Existenz radikal in Zweifel zu ziehen vermag? Welche Institutionengeschichte durchläuft Ironie?

Teilnehmer

Alexandra Aidler, M.A.
Prof. Dr. Andreas v. Arnauld           
Dr. Thomas Bäumler
Johanna Bergann, M.A.
Dr. Dr. Johannes Harnischfeger                       
Prof. Dr. Albrecht Koschorke
Christian Lück, M.A.           
Stefan Martini, M.A.
Prof. Dr. Ethel Matala de Mazza
Prof. Dr. Christoph Möllers           
Emmanuel Prokob, M.A.                                   
Dr. Charlton Payne
Kaspar Renner
Prof. Dr. Hans Christian Röhl                                    
Prof. Dr. Christoph Schönberger                                                            
Dr. Carlos Spoerhase           
Dr. Fabian Steinhauer                                                                                               
Prof. Dr. Andreas Thier
Dr. habil Marcus Twellmann
Prof. Dr. Thomas Weitin

EXPOSÉ

Das Arbeitsgespräch wird die Verflochtenheit und Trennungsgeschichte von Recht & Literatur im 19. Jahrhundert mit Blick auf folgende Bereiche thematisieren:

- Disziplinen. 'Germanisten' waren im frühen 19. Jahrhundert Vertreter einer sich auf ger­ma­nische Traditionen berufenden Rechtslehre, in teilweise polemisch-nationalistischer Abgrenzung von den 'Romanisten' und der römisch-französischen Rechtstradition. Der Begriff 'Germanistik' markiert in seiner Frühzeit also eine Überlappungszone zwischen Rechtsgeschichte und entstehender Nationalphilologie. Hinzu kommt, dass einige der be­deutendsten romantischen Dichter im Lern- oder Hauptberuf Juristen waren und die Sym­biose der Disziplinen wie auch die Spannungen zwischen beiden in ihrer eigenen Existenz austragen.

- Narrative. Die Idee, dass das 'germanische' Recht auf Herkommen, Sitte, auf organischer Gemeinschaft statt auf rationaler Vertraglichkeit usw. beruhte, erzeugte einen großen Bedarf an entsprechenden Ursprungs- und Herkommensnarrativen. Die Mittelaltermode der Romantiker hat hier auch eine rechtsgeschichtliche Komponente: Es ging darum, jene 'altdeutschen' Verhältnisse überhaupt erst retrofiktional zu erzeugen, auf die sich die Idee eines genuin deutschen Rechts stützen konnte. (Besonders relevant für diesen Zusammen­hang ist die Wirksamkeit der Brüder Grimm, die ja auf beiden Feldern tätig waren. Man kann sogar die Märchensammlung der Brüder Grimm in den Kontext der politischen Frage rücken, was es heißt, ‚dem Volk eine Stimme zu geben’ und welche Zwischenschritte der Vermittlung, Übersetzung, Purifikation und Erziehung dafür notwendig sind.)

- Institution. Eine wichtige und wohl noch nicht hinreichend durchdrungene Frage be­trifft das Verhältnis zwischen romantischem Denken einerseits und den institutionellen Ent­wick­lungen in Deutschland seit 1800 andererseits. Man könnte hier möglicherweise von einem Paradox sprechen: Das Denken der Romantiker transportiert einen stark indivi­dua­listischen und anti-institutionellen Impuls und steht bekanntlich unter dem Verdacht, rein okkasionalistisch auf die unendliche Vervielfachung von Kommunikationsanlässen abzu­zielen, ohne zu einer entschiedenen Form zu gelangen. Zugleich ist aber die Zeit seit 1806 (Zusammen­bruch Preußens, Auflösung des Deutschen Reiches) gerade eine Epoche von Institutionen­bildung und -reform, die nicht zuletzt von Romantikern getragen wurde. Das gilt exem­plarisch für die Berliner Universität, aber auch auf vielen anderen Gebieten im Prozess der Erneuerung Preußens. Nicht zuletzt ist der Traum von der deutschen Nation und wohl auch derjenige vom preußischen Staat ein zutiefst romantischer Traum. Zu fragen wäre also, wie ‚romantisch’ Preußen auch dort war, wo man Romantik auf den ersten Blick nicht vermuten würde – in der Administration (vor allem der Beamtenschaft), im Rechtswesen, in der Ökonomie, in der (Wieder)Herstellung autoritärer und militaristi­scher Staatlichkeit.

- Strategien. Im Blick auf den so genannten Kodifikationsstreit zwischen Anton Friedrich Justus Thibaut und Friedrich Carl von Savigny von 1814 lässt sich das bisher Genannte noch aus einer weiteren Perspektive behandeln.
  Auf der einen Seite tritt Thibaut, der die Auffassung einer organischen Rechts­entwick­lung ablehnt, für ein positiviertes Naturrecht in Form eines allgemein verständlichen Gesetzbuchs für den gesamten deutschsprachigen Raum ein, das der mündige Bürger aufgrund klarer Kodifizierung ohne Zuhilfenahme von Experten in Anspruch nehmen könne. Auf der anderen Seite argumentiert Savigny für ein organisch wachsendes Recht und seine stets zu perfektionierende Interpretation durch Spezialisten. Gemäß einer ständig bemühten Analogie zur Sprache sei das Recht in ununterbrochener Bildung und Entwicklung begriffen und entziehe sich daher, jedenfalls hier und jetzt noch, der Ver­einheitlichung und Systematisierung.
  Zu fragen wäre hier, ob sich dieses Plädoyer für ein unbestimmtes, lokal differenziertes Recht nicht auch als strategischer Einsatz in einer Zeit der Neuordnung des alten Reichs verstehen lässt. Mit der Konstruktion des Rechts als Arkanum wird ja ein Bedarf an Ex­perten allererst geschaffen, den dann die neue Disziplin ‚Historische Rechts­wissen­schaft’, etwa an der Berliner Universität, zu befriedigen hat. Ebenso wäre nach dem Verhältnis der Rechtsauffassung zum imaginierten Volk und der Rolle des gebildeten Ro­man­tikers als seines Interpreten zu fragen. Und schließlich: Kann der Kodifikationsstreit als eine Art Wiedereintritt konfessioneller Unterscheidungen in den politischen Raum verstanden werden – als eine Kontroverse, in der das sola-scriptura-Prinzip und die Un­mittel­barkeit des Bürgers zum Recht bzw. zu Gott sich gegen die Auffassung von der Unverzichtbarkeit vermittelnder Instanzen stellt?
     
- Ironie. Von besonderem Interesse könnte schließlich die Frage sein, wie sich das roman­tische Prinzip der Ironie zu Institutionalisierungsprozessen verhält. Spontan würde man denken, dass Staatsbeamtentum und Ironieprinzip nichts miteinander zu tun haben können. Aber gibt es nicht – möglicherweise aus protestantisch-pietistischen Quellen gespeist – die Idee einer inneren Unabhängigkeit auch des Staatsdieners, der die Grundlagen seiner eigenen Existenz radikal in Zweifel zu ziehen vermag? Welche Institutionengeschichte durchläuft Ironie?

Programm:

Donnerstag, 12. November

15.00 Uhr

Prof. Dr. Albrecht Koschorke
Einführung in das Thema

Prof. Dr. Andreas v. Arnauld
„Romantische Ironie als Haltung zum Recht“

Prof. Dr. Christoph Schönberger
„Probleme romantischer Juristen mit Institutionen. Das Beispiel der Kontroverse zwischen Germanisten und Romanisten um das Verständnis der juristischen Person“

17.00 – 17.20 Uhr  Pause

Prof. Dr. Andreas Thier
„Organismus, Körperlichkeit und Recht um 1800“

Thomas Bäumler
„Der Staat und sein Anderes, die Universität: Quellen eines ironischen Staatsbeamtentums“

Emmanuel Prokob
„Die Universität in der ‚romantischen‘ Phase der französischen Restaurationszeit 1815 – 1830“

19.00 Uhr  Ende

20.00 Uhr  Gemeinsames Abendessen im Restaurant Wessenberg

Freitag, 13. November

9.00 Uhr

Stefan Martini
„Staat und Verfassung in der deutschen und englischen Romantik“            

Prof. Dr. Ethel Matala de Mazza
„Riga, 1807. Über Altensteins Plan der Gesetzesreform ohne Justiz“

Dr. Charlton Payne
„Kleists Erzählungen und die Relationen der preußischen Kollegialbehörden“

10.15 – 10.35 Uhr  Pause

Dr. Carlos Spoerhase
„Romantische Hermeneutik“

Kaspar Renner
„Savignys ‚lebendige Hermeneutik‘“

Prof. Dr. Thomas Weitin                       
„Romantische Institution Urheberrecht“     
       

12.00 – 12.30 Uhr  Pause

Christian Lück
„Gewohnheit und Gewohnheitsrecht: Strategischer Einsatz und Begriff bei Savigny, Eichhorn, Puchta“

Dr. habil Marcus Twellmann
„Gattungsmalerei statt Zahlenstatistik: romantische Volkskunde“

Prof. Dr. Hans Christian Röhl            
Abschließendes Statement

14.00 Uhr  Ende