Freitag, 26.10.07 – Samstag, 27.10.07

Arbeitskreistreffen Tausch & Gabe
Schloß Freudental bei Allensbach

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EXPOSÉ:

Geht man vom Gabentausch als einem fait social total (Marcel Mauss) in dem Sinne aus, daß er nicht nur alle Bereiche der Gesellschaft durchdringt, sondern auch alles umfaßt, was intra- oder interkulturell gegeben, genommen, weitergegeben oder erwidert wird, so erweist sich der Tausch von Dingen (Gaben oder Gütern) nur als besonderer Fall eines allgemeinen Prinzips der Reziprozität, das für die menschliche Gesellschaft schlechterdings kulturstiftend ist.


Schon Aristoteles bezeichnet den „gerechten Tausch“ (Nikomachische Ethik, Buch 5, Kap. 8) in diesem Sinn als Konstituens von Gemeinschaft schlechthin. Seine Unterscheidung von Oikonomia und Chrematistik (Haushaltungs- und Bereicherungskunst) gründet auf der Annahme, daß die getauschten Dinge zwar unterschiedlich, aber vergleichbar sind, und daß in jedem Tausch das Prinzip einer allgemeinen Äquivalenz der getauschten Werte gewahrt werden muß. („Give me that which I want, and you shall have this which you want“, formuliert entsprechend noch Adam Smith, der Vater der modernen Volkswirtschaftslehre, das Grundprinzip der Tauschgerechtigkeit als Grundlage gesellschaftlicher Integration.)


Das Medium des Vergleichs und damit der Zuschreibung und Festsetzung von Werten ist aber die Sprache. Wenn der Mensch das ‚tauschende Tier’ genannt werden kann, so deswegen, weil er zugleich das sprechende Tier ist. (Nietzsche bezeichnet ihn als „das ‚abschätzende Thier an sich’ […] das Wesen, welches Werthe mißt.“) Der Tausch von Gütern (Dingen, Gaben) und der Tausch von Wörtern können daher nicht voneinander unterschieden werden wie die materielle und die immaterielle, die leibliche und die ‚geistige’ Seite intersubjektiven Handelns: Einerseits ist schon das Quidproquo der Wörter eine Art Gabentausch; andererseits eignet selbst dem Qudiproquo der Güter eine sprachliche, eine symbolische Dimension. Tauschverhältnisse können daher als intersubjektive Verhältnisse schlechthin gefaßt werden (und umgekehrt), wie Georg Simmel schon 1900 formuliert: „Jede Wechselwirkung […] ist als ein Tausch zu betrachten: jede Unterhaltung, jede Liebe, […] jedes Spiel, jedes sich Anblicken“ (Simmel 1900/1989, S. 59).

Das aber macht zugleich jeden Tausch, auch den verweigerten, zu einem Fall von Kommunikation: Do ut des; ich spreche, damit du sprichst – gerade weil jede Gabe an eine Gegengabe, jedes Sprechen an eine Antwort appelliert, wird auch die ausgebliebene Erwiderung, die ver¬weigerte Antwort, eine Botschaft gewesen sein. „Man kann nicht nicht kommunizieren“, lautet das erste Axiom der Kommunikationstheorie von Paul Watzlawick; „man kann nicht nicht tauschen“, wäre all jenen Theorien entgegenzuhalten, die – gleichsam wider besseres Wissen – ihren Einsatz auf die „unmögliche Möglichkeit“ einer „reinen Gabe“ gründen (Derrida). Zu kritisieren bleibt dennoch die ökonomistische Idealfiktion des Tauschs als einer Win-Win-Situation (jeder bekommt, was er will, und keinem wird gegen seinen Willen etwas genommen). Dies aber nicht, weil Reichtümer und Kommunikationschancen in der Gesellschaft ungleich verteilt sind, sondern weil die Idee der Äquivalenz, die schon Aristoteles Vorstellung vom „gerechten Tausch“ und noch den modernen Geldtheorien zugrunde liegt, keinen Gegenhalt in der ‚Natur der Dinge’ hat. Tauschen heißt stets, Gleiches mit Ungleichem zu vergelten, und das gilt auf allen Ebenen menschlicher Kommunikation. Erst der Symmetriebruch macht den Tausch nötig; erst der Symmetriebruch macht ihn mög¬lich. Der Tausch setzt die Nicht-Identität der Tauschenden ebenso voraus wie die des Getauschten (der Wörter, der Güter oder der Frauen). Seine Regel ist nicht Homöostase, sondern ‚Exogamie’, wenn man darunter mit Claude Lévi-Strauss den für jede Kultur grundlegenden Verweis auf Beziehungspartner außerhalb der eigenen Gruppe verstehen will.
Versuchen soziologische Ansätze immer wieder, dieses grundlegende gesellschaftliche Quidproquo auf das rationale Kosten-Nutzen-Kalkül „eigeninteressierter“ Individuen zurückzuführen, so rücken literarische Texte eher Phänomene in den Blick, die in diesen ökonomistischen Modellen von Reziprozität nicht aufgehen: den verweigerten oder den asymmetrischen Tausch, Exzesse des Gebens oder des Nehmens, Ökonomien des Mangels oder der Verschwendung, den Tausch als Verwechslung oder als Täuschung. Die Zirkulation von Objekten und Gütern öffnet sich auf eine symbolische und eine psychische Ökonomie, die die Idealfiktion des Äquvalententauschs auf vielfältige Weise unterlaufen und durchkreuzen.

Das Arbeitkreistreffen soll dem Versuch gewidmet sein, das Wechselspiel von ökonomischer, symbolischer und psychischer Ökonomie (Zirkulation der Güter, Zirkulation der Bedeutungen, Zirkulation der Begehren) als Grundlage kultureller Integration zu untersuchen. Die Zugangsweise ist wie immer interdisziplinär; es geht wesentlich darum, soziologische und ethnologische, literaturwissenschaftliche, rechtsgeschichtliche und wirtschaftswissenschaftliche Kompetenzen zusammenzuführen. Zu diesem Zweck soll auch diesmal ein Reader mit Grundlagentexten erstellt werden, zu denen die Teilnehmer Kurzreferate übernehmen. Ein möglicher Verlaufsplan und eine Bibliographie mit weiterer Literatur liegen bei; die Anmeldung eigener Textvorschläge ist jedoch ausdrücklich erwünscht.
 

 

PROGRAMM:

+++Freitag, 26. Oktober+++

 9.00 – 10.45 Uhr

Klassiker der Wirtschaftstheorie (Aristoteles, Adam Smith, Karl Marx)

Referate: Susanne Lüdemann, Joseph Vogl, Patrick Eiden

+++Kaffeepause+++

11.15 – 13 Uhr

Tauschtheorie als Kulturtheorie (Mauss, Lévi-Strauss, Bataille)

Referate: Martin Zillinger, Erhard Schüttpelz, Maud Meyzaud

+++Mittagspause+++

 14.30 – 16.30 Uhr

Frauentausch (Davy, Neubecker, Hofer, Rubin)

Referate: Kirsten Mahlke, Nacim Ghanbari, Cornelia Vismann, Andreas Kraß

+++Kaffeepause+++

17.00 – 19.00 Uhr

Tausch und Gabe in der Literatur (Hartmann v. Aue, La Fontaine, Lessing, Tieck, Wagner)

Referate: Andreas Kraß, Ethel Matala, Matthias Schöning, Alexander Schmitz

 

+++Samstag, 27. Oktober+++

9.30 – 11.30 Uhr

Aktuelle Positionen (Baudrillard, Derrida, Trivers, Caillé)

Referate: Leander Scholz, Iris Därmann, Axel Paul, Stephan Möbius

+++Kaffeepause+++

12.00 – 13.00 Uhr

Abschlußdiskussion

+++Imbiß+++

ab 14 Uhr Abreise