Internationale Konferenz Gesetzgeber. Zur Aktualität einer Figur.
Veranstalter: Cornelia Vismann (Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte) Susanne Lüdemann (Forschungsstelle Kulturtheorie Konstanz)
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EXPOSÉ [pdf engl. ] Die Bezugnahme auf „den Gesetzgeber“ hat gegenwärtig stark an Plausibilität verloren. Stand dem 19. und auch dem 20. Jahrhundert noch deutlich vor Augen, werden symbolischen Ort dieser Figur besetzt, sei es ein Herrscher oder das Volk, so ist gegenwärtig kaum noch mit Eindeutigkeit festzustellen, wer die Gesetze eigentlich macht. Ist es das europäische Parlament, sind es die vertragsschließenden Staatsoberhäupter oder internationale Standardsetzer? Eine Reihe von Kandidaten ist im Angebot, manche von ihnen gelten als legitime Anwärter auf das Amt des Gesetzgebers, anderen hält man vor, die gesetzgeberische Macht einfach an sich gerissen zu haben. Solche privaten und demokratisch nicht weiter abgeleiteten Quasi-Legislatoren bringen die Figur des Gesetzgebers an ihre Grenzen. Dennoch wirkt der Kult um den Gesetzgeber, der seit der Aufklärung betrieben wurde, bis heute fort. Die Suche nach dem Gesetzgeber geht weiter, mögen Gesetze auch verschiedene Gestalt angenommen und auf unterschiedlichsten Wegen zustande gekommen sein. Auch die Anerkennung vielfältiger und konkurrierender gesetzgebender Instanzen und Formen ändert daran nichts. Prinzipiell soll jede normierende Macht den leeren Platz des Gesetzgebers einnehmen können. Die einzige Frage, die in der Regel gestellt wird, ist eine normative: Trägt diese Macht den Titel des Gesetzgebers zu Recht oder soll sie aus dieser Position ausgeschlossen werden? Obwohl die Figur des Gesetzgebers unter den Bedingungen ihrer Proliferation also nur noch schwer plausibel zu machen ist, bleibt ihre Aktualität ungebrochen. Dieser Befund ist Anlaß genug, um nach ihrer rhetorischen und juridischen Verfaßtheit zu fragen. Denn bei allen Konjunkturen, die der Gesetzgeber in historischer Perspektive durchgemacht hat – als Religionsstifter wie Moses, Begründer des Gemeinwesens wie im antiken Griechenland, als bloß technische Funktion zur Fabrikation von Gesetzen wie im römischen Recht, oder als souveräner Herrscher wie in der Zeit des Barock – ist die persona ficta des Gesetzgebers selbst unbeschädigt geblieben. Auch moderne Diktatoren haben sich das Gewand des Gesetzgebers umgelegt, ohne die Figur als solche dadurch in Mißkredit zu bringen. Warum ist sie ebenso unverwüstlich wie unentbehrlich? Ein Grund könnte sein, dass die Paradoxien des Gesetzemachens hinter die Personifikation(en) des Gesetzgebers zurücktreten und dadurch unsichtbar werden. Ob der König oder das Volk die Gesetze gibt, ob in leibhaftiger Gestalt oder im Kollektivsingular, in beiden Fällen wird der legislative Prozeß an ein Subjekt des Sprechens zurückgebunden. Dieses verdeckt den leeren Grund der Autorität, auf dem die Legislative notwendig operiert. In seinem performativen Tun überbrückt der Gesetzgeber die Unableitbarkeit jedes Gesetzes,wobei entweder das Moment der Gabe, der Akt des Setzens oder der des Findens betont wird. Mal betätigt der Gesetzgeber sich eher als Redaktor bestehender, mal eher als Autor neuer Gesetze. Justinian und Napoleon dürften hier als die beiden Prototypen gelten. Während der römische Kaiser als Kodifikator schon vorhandener Gesetze mit der Tradition der Gesetze argumentieren kann, bezieht der Legislator modernen Typs die Begründung für seine Gesetze aus anderen Quellen, aus der Berufung auf die Natur, die Vernunft, das Gemeinwohl oder die Nation. Die rechtsetzende Gewalt heute, die sich ganz auf die Formel von der Legitimation durch Verfahren zurückzieht, profitiert insgeheim von solchen legitimatorischen Aufladungen. Die Rede vom Gesetzgeber ist seither so bequem geworden, weil sie Begründungsprobleme abkürzt. Schon deswegen hat sie weiterhin Bestand. Es scheint sogar, daß die zeitweise in den Hintergrund geratene Figur des Gesetzgebers in dem Maß wieder aktuell wird, in dem das Gesetz in unterschiedliche und höchst heterogene Teile zerfällt. Je amorpher die Rede vom Gesetz, so ließe sich formulieren, desto größer ist der Bedarf nach einer Gestalt, die diese Zerfallsprodukte bündelt. Auch für denjenigen, der keine Anzeichen für eine Renaissance des Gesetzgebers sieht, mag die Betrachtung dieser Figur analytischen Gewinn bringen, läßt sich an ihr doch ermessen, ob und wie weit das Recht unter globalisierten Bedingungen von den klassischen legislativen Formen abgerückt ist. Mit dem (kultur)historischen Vergleich zwischen älteren und neueren Figuren des Gesetzgebers will die Tagung eine Basis für die Sondierung der gegenwärtigen nationalen und internationalen Gesetzgebungsprozesse schaffen und diese zugleich auf den Grad ihrer Neuartigkeit hin befragen. Ist die Existenz einer Vielzahl miteinander konkurrierender Rechtsquellen tatsächlich ein historisch neuer Zustand oder ist sie nicht vielmehr die historische Normalität, die von der Figur des Gesetzgebers als rhetorischem Topos und als Personifikation normierender Prozesse immer schon überblendet wurde? Ist die gegenwärtig zu beobachtende Anonymisierung des Gesetzgebers nur die letzte (oder vorletzte) Phase eines langen Prozesses der Depersonalisierung, der von den mythischen oder historischen Gesetzgebern früherer Epochen (Hammurabi, Moses, Minos, Lykurg...) über den politischen Souverän (Monarch oder Volk) als Gesetzgeber hin zu seiner Auflösung in parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren (und neuerdings in der europäischen Bürokratie) geführt hat? Ist eine solche Überblendung möglicherweise notwendig, um den verschiedenen Projekten der Gesetzgebung Legitimität und mithin eine Geltung zu verschaffen, die über die bloße „Normativität des Faktischen“ hinausreicht? Wie verhält sich das rechtsstaatliche Ideal einer unpersönlichen „Herrschaft der Gesetze“ zu dem „Kampf ums Recht“ (Rudolf Ihering), der gegenwärtig auf den verschiedensten internationalen Schauplätzen von benennbaren (staatlichen und para- oder überstaatlichen) Akteuren geführt wird, ob es dabei nun um die Einführung einer europäischen Verfassung, die ‚Demokratisierung‘ des Irak oder die Schaffung rechtlicher Grauzonen wie Guantanamo Bay geht? War das klassische Beschreibungsmodell „Rechtsstaat“ eine politische Fiktion, deren Wirksamkeit sich unter den heutigen kulturellen und politischen Bedingungen zu erschöpfen beginnt? Die Tagung stellt die Frage nach der Aktualität des Gesetzgebers und stellt diese zugleich in Frage. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen sind eingeladen, Funktion und Funktionieren dieser Figur aus juristischer, historischer und rhetorischer Perspektive zu erhellen. PROGRAMM:
Donnerstag, 03.05.2007Sektion I: Antike Gesetzgeber / Archäologie der Moderne
Kaffeepause
20.00 Abendessen
Freitag, 04.05.2007 Sektion II: Theorie der Souveränität / Probleme der symbolischen Ordnung
Kaffeepause
Mittagspause
Sektion III: Globalisierung / Deregulierung
Kaffepause
20.00 Abendessen
Samstag, 05.05.2007 Sektion III: Globalisierung / Deregulierung
Kaffeepause
Mittagspause
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