Freitag, 08. Februar -  Samstag, 09. Februar 2008

Arbeitskreistreffen ‚Juridische und literarische Aspekte von Normbildung’

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Arbeitsskizze

1. Rhetorik

Juristische Texte geben sich gern das Gepräge einer sachlich zwingenden Argumentation. Sie orientieren sich deshalb vorzugsweise am Modell des Syllogismus, in dem es allein um logische Schlüsse, nicht um das sogenannte sprachliche Beiwerk geht. Gleichwohl ist es ein auch unter Juristen ver­breitetes und akzeptiertes ‚Branchenwissen’, dass rhetorische Strategien einen erheblichen Einfluss auf die Durchsetzung von Rechtspositionen und Rechtsfiguren haben. Rhetorik bildet nicht nur ein seit der Antike elaboriertes Element in den Plädoyers von Anwälten und sonstigen Für­sprechern, sondern durchsetzt auch die angeblich allein auf das Recht bezogene und neutrale Rede des Richters, der seine Urteile fällt. Welche normativ folgenreichen Ideen etwa im öffentlichen Recht anleitend werden, welche Rechts­figuren Evidenz erhalten (z.B. der service public im französischen Recht), hängt maßgeblich von den sie jeweils tragenden Rhetoriken und ihrem spezifischen kulturellen Hintergrund ab. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang emphatisch ge­brauchte, aber inhaltlich weitgehend leere Kategorien, die offenbar gerade wegen ihrer Un­be­stimmtheit kommunikativ erfolg­reich sind. (Man vergleiche hierzu den Begriff des empty signifier bei Ernesto Laclau.)

2. Narrative

Das Recht erzählt, es arbeitet mit Tropen und Fiktionen; weswegen Jacob Grimm es nicht verwunderlich fand, daß Recht und Poesie „schritt zusammen gehalten haben und sich in allen ihren gliedern berühren“. Man kann zwischen großen und kleinen Erzählungen des Rechts unterscheiden: Die großen Einsetzungsmythen handeln von der Instituierung des Rechts insgesamt, vom Abschluss eines Gesellschafts­vertrags oder vom Zustandekommen und der Legitimität einer Verfassung; die kleinen Erzählungen sind in all jenen Fallgeschichten und Präzedenzfällen am Werk, ohne die das Recht keine Ordnung in die verworrene Vielfalt der sozialen Empirie bringen könnte. Ein interes­santes Studien­feld hierzu sind die Austauschbeziehungen zwischen Recht, Literatur und forensischer Psychiatrie im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, in denen Normen im Wesentlichen dazu dienen, einen Maßstab für die Erfassung von Abweichungen zu bieten.

3. Hermeneutik

Sowohl Jurisprudenz als auch Literaturwissenschaft haben es mit Texten und ihrer Auslegung zu tun. Beide bedürfen daher eines fundierten hermeneutischen Instrumentariums, das es erlaubt, Interpretationen auf kommunizierbare Annahmen über die Natur sprachlicher Zeichen, die Konstituierung von Sinn und die Formen seiner Ermittlung zu stützen. Zwar sind Literaturwissenschaftler nicht in derselben Weise „gebunden“ wie etwa ein Richter, der zu einer eindeutigen Auslegung gelangen muss, während literarische Hermeneutik eine Pluralität von Interpretationen (auch widersprechende) nebeneinander bestehen lassen kann. Gleichwohl bilden Text- und Zeichentheorien sowie die gemeinsame Herkunft aus der theologischen Hermeneutik einen fachübergreifenden Horizont, vor dem sich Fragen der jeweilgen Methodenlehren erörtern lassen.

4. Normativität/Normalisierung

Kulturwissenschaftler neigen dazu, mit Foucault, Deleuze, Jürgen Link und anderen die Epoche der Normativität, in der Normen expliziert und unter Zuhilfenahme des staatlichen Sanktionsapparats durchgesetzt wurden, durch eine Epoche der Normalisierung und der modernen Disziplinargesellschaft abgelöst zu sehen. Mit „Normalisierung“ sind soziale Steue­rungen gemeint, die einer „Mikrophysik der Macht“ (Foucault) gehorchen, die in alle Poren des gesellschaftlichen Lebens eingedrungen ist und auch ohne den Rekurs auf repressi­ve (staatliche) Instanzen normgerechtes Verhalten hervorbringt. Die Frage ist dann, worauf eine symbolische Ordnung sich gründen kann, die den Individuen ihre soziale Position zuschreibt und daraus ein Tableau von Zulassungen und Verboten ableitet, die von grundsätzlicherer Beschaffenheit sind als die Feinsteuerungen der jeweiligen Disziplinarregimes.

Im Licht juristischer Entwicklungen muss man dieses Szenario zumindest diversifizieren. Es ist zwar beobachtbar, dass das Recht sich aus bestimmten Bereichen zurückzieht, die entweder nicht (mehr) als rechtsrelevant erscheinen oder juristisch nicht effizient zu hand­haben sind – etwa im Hinblick auf das Inzestverbot, das sich nur noch widerstrebend einer rechtlichen Bearbeitung fügt. In anderen Bereichen jedoch verdichten sich rechtliche Normen, deren Durchsetzung auf staatlichen Sanktionsmitteln beruht. Ein aktuelles Beispiel für diese These einer Verrechtlichung, die etwa auch schon von Weber oder Luhmann formuliert wurde, wäre das Kapital­markt­recht, wo sich derzeit eine regelrechte Normexplosion vollzieht und das so die Phänomene der Glo­ba­lisierung mit den klassischen Machttechniken des Nationalstaates verknüpft. Hier scheint ein gegen­läufiger Prozess von der Selbstregulation innerhalb gesellschaft­licher Teil­systeme weg und hin zu einer rigiden juridischen Normierung zu verzeichnen zu sein.

5. Semiosis von Normen, „Transzendenzen im Diesseits“

Ein Modell für eine Arbeitsteilung zwischen Literatur und Recht könnte folgendermaßen aussehen: Das Recht betont die Regelgeleitetheit und den Systemcharakter von institutionel­len Gebilden; es kann nur funktionieren, wenn zwischen informeller (alltäglicher) und formaler (institutionenförmiger) Kommunikation eine unüberwindliche Barriere errichtet wird. Die Literatur dagegen interessiert sich – man denke an Kafka – für die Vermischung zwischen den beiden Bereichen, für den Übergang zwischen persönlichen und amtlichen Ver­hältnissen, kurz: für das Kontinuum, auf dem die vorgebliche Barriere aufruht. Das fordert die Frage nach den Produktionsbedingungen von Formalität und rigider Normbildung im Fluss der sozialen Kommunikationen heraus. Wie gelingt es Normen und Institutionen, die Niede­rungen ihrer jeweiligen Entstehungsbedingungen vergessen zu machen und zu transzendieren – wie werden sie, mit einem Ausdruck von Arnold Gehlen, zu „Transzendenzen im Dies­seits“? Welche juridischen Vorkehrungen werden getroffen, um ihnen diese Transzendenz zu sichern (Beispiel: Entscheidungen von Verfassungsgerichten)? Welche kommunikativen und kulturellen Tabus sind damit verbunden, und aus welchen – sakralen! – Traditionen leiten sich solche Tabus ab?

 

+++Veranstalter+++

 

Hans Christian Röhl (Rechtswissenschaft, Konstanz)

Susanne Lüdemann (Literaturwissenschaft, Konstanz)

Albrecht Koschorke (Literaturwissenschaft, Konstanz)

 

 

+++Teilnehmerliste+++

 

Teilnehmer aus Konstanz

  • Christoph Schönberger (Rechtswissenschaft)

  • Alexander Schmitz (Literaturwissenschaft)

  • Thomas Weitin (Literaturwissenschaft)

  • Thomas Bäumler (Literaturwissenschaft, SFB ‚Norm und Symbol’)

  • Benjamin Bühler, (Literaturwissenschaft, SFB ‚Norm und Symbol’)

 

Gäste

  • Cornelia Vismann (Rechtswissenschaft, MPI Frankfurt/Main)

  • Christoph Möllers (Rechtswissenschaft, Göttingen, z.Zt. Wissenschaftskolleg)

  • Fabian Steinhauer (Rechtswissenschaft, Frankfurt)

  • Andreas v. Arnauld (Rechtswissenschaft, UniBW Hamburg)

  • Manfred Schneider (Literaturwissenschaft, Bochum)