Annette Werberger

Traum, Verwandlung, Seelenwanderung.
Chassidismus und Kabbala in den modernen Literaturen Ost(mittel)europas

Das Habilitationsprojekt untersucht die literarische Verarbeitung chassidisch-kabbalistischer Schrifttraditionen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in Ost(mittel)europa. Im Mittelpunkt stehen die mit der Kabbala und dem Chassidismus zusammenhängenden Topoi Seelenwanderung, Verwandlung und Traum sowie die damit verknüpften Themen der Magie, Erwartung, Häresie, Exstase, Tanz (Musik) oder Levitation. Viele Theaterstücke, Erzählungen oder Romane dieser Zeit beziehen sich erneut auf chassidische Argumentationsmuster, Denkfiguren oder Begriffe (tikkun; gilgul, ibbur; dibbuk). Über diese ”Wiedererfindung” (David Roskies) einer ‘chassidische Topik’ nehmen moderne Autoren und Leser erneut auf verlorene Traditionen, Identitäten oder religiöse Rituale Bezug. In den meist zwischen Phantastik und Fiktion angesiedelten Schwellenfiguren dieser Topik formulieren sich ebenso Abweichungen, Unentscheidbares oder neue Ansätze des Denkens und Handelns literarisch aus, die sich nicht einfach in die Gegensätze von Mystik und Aufklärung, Moderne und Tradition einordnen lassen. Diese Figurationen des Dritten entstehen vor allem dann, wenn es bei der Wiederermächtigung der Tradition in modernen Texten zu paradoxalen oder ironischen Zuspitzungen kommt.
Zum einen soll eine Traditionslinie von den Volkslegenden des Ba’al Shem Tov und Rabbi Nakhman über Y. L. Perets, Der Nister bis zu S. An-ski, I. Bashevis Singer, D. Vogel, I. Babel’ und B. Schulz Beachtung finden (F. Kafka wird als mitteleuropäische Vergleichfigur beispielhaft herangezogen werden); zum anderen sollen die Verwerfungen sichtbar gemacht werden, die bei der Auseinandersetzung moderner Autoren mit der religiösen Topik und ihrer Strategien entstehen: Schulz arbeitet so oftmals gegen sein eigenes vorgebliches Anliegen (z.B. Ursprungssuche, tikkun, Messianismus), d.h. der Text verspricht zum Beispiel eine ‘Wiederherstellung’ vollzieht sie aber systematisch nicht.
Die Arbeit beabsichtigt eine komparatistische und topologische Engführung von wichtigen jiddischen, polnischen, russischen und deutschsprachigen Autoren. Dadurch soll Modernität für Ost(mittel)europa differenzierter erfaßt werden. Vielleicht kann so in einem weiteren Schritt geklärt werden, ob sich mittels der Analyse topologischer Strukturen und Entwicklungslinien einige ‘jüdische Matrizen’ im Sinne Robert Alters beschreiben lassen, die über die narrativen Bewältigungstrategien an den Bruchstellen zwischen der ‘Überlieferung’ (Kabbala) und der Moderne Aufschluß geben.

Publizierte und zur Publikation anstehende Arbeiten

Monographien

Postsymbolistisches Schreiben. Studien zur Poetik des Akmeismus und Osip Mandel’štams.
(In Vorbereitung für Frühjahr 2004 für die Slavistischen Beiträge bei Sagner)


Aufsätze

“Paul Celan und Osip Mandel’štam oder ‘Pavel Tselan’ und ‘Joseph Mandelstamm’ Wiederbegegnung in der Begegnung”, in: Arcadia 32 (1997), Heft 1, S. 6-27.

“Der eherne Reiter (1834). Eine Petersburger Erzählung”, in: ”Ein Denkmal schuf ich mir...”. Alexander Puschkins literarische Bedeutung. Hrsg. v. Rolf-Dieter Kluge. Tübingen 2000, S. 175-200.

“Stefan George und Waclaw Rolicz-Lieder – Anmerkungen zu einer exemplarischen Freundschaft um 1900”, in: Polonistyczne spotkania. Tybinga. Studia o literaturze polskiej i polsko-niemeckich zwiazkach literackich przelomu XIX i XX wieku, pod red. Danuty Knysz-Tomaszewskiej i Jadwigi Zacharskiej. Warszawa 2002, S. 73-80.

“'Regression auf der ganzen Linie‘. Bruno Schulz, der Symbolismus und die Suche nach dem Ursprünglichen”, in: H. Willich-Lederbogen, R. Nohejl, M. Fischer, H. Setzer (Hrsg.): Itinera slavica. Studien zu Literatur und Kultur der Slaven. Festschrift für Rolf-Dieter Kluge zum 65. Geburtstag. München 2002, S. 279-290. (= Welt der Slaven. Sammelbände. Sborniki. Band 16)

“Das ‘sublunarische Gedicht‘ – Celans Dialog mit dem Akmeismus”, in: Celan-Jahrbuch 2001/2002, S. 237-257

“Im freien so bestürmt von geistervögeln – Inszenierung des Unheimlichen in einem von George übersetzten Gedicht Rolicz-Lieders”, in: Castrum Peregrini Presse (in Druck)

“Gespräche über Dante: Akmeistische Dantelektüren” (In Vorbereitung. Erscheint in einem Sammelband zum Symposium ”Deutschland – Italien und die Kultur der Jahrhundertwende: Phänomene europäischer Identität und Alterität.” Herausgeber sind Michaela Böhmig und Gerhard Ressel)

Redaktionen, Herausgaben

William Shakespeare: Dreißig Sonette. Englisch/Deutsch. Übertragen von Paul Hoffmann. Mit einem Essay über ‘Grundsätzliches und Persönliches zum Übersetzen von Gedichten’. Tübingen 2002.