Kunst im Rahmen der Landesgartenschau Singen 2000
"HIER DA UND DORT"
Ein Projekt der Arbeitsgruppe Kunstwissenschaft der Universität Konstanz




80 Mark für Nachbars Garten
Die Künstlerinnengruppe GRILL 5 ruft in Singen die Republik Schrebergarten aus

Norma Lilienthal/Astrid Blütenstaub

Die Künstlerinnen bitten zu Hacke und Spaten: Nicht weit von den Lauben der Gartenfreunde e.V. befinden sich zwei weitere Schrebergärten. Keine Ableger der Kolonie, sondern das Projekt der Künstlerinnengruppe GRILL 5 - eine "Skulptur", die nicht nur betrachtet werden will, sondern vor allem davon lebt, dass ihre Besucher selbst Hand anlegen.

Zwei Gärten, ein Kunstwerk
Eng mit dem Thema einer Gartenschau verbunden, hebt sich das Projekt dennoch von den obligatorischen Ausstellungsgärten ab. Betritt man die beiden Gärten von GRILL 5 auf dem Gelände der Landesgartenschau in Singen, so ist ein deutlicher Unterschied nicht von der Hand zu weisen. Jeder steht für einen besonderen Typus. Es sind zwei Biotope, in denen gegensätzliche Lebensformen kultiviert werden. Beide haben Namen - sprechende Namen. Da ist der Garten "Norma Lilienthal" (Abb. C), normiert, als wäre er einem Katalog entnommen, ein wahr gewordener kleinbürgerlicher Traum. Herausgeputzt und bis in die Details konventionell, beherbergt er alles, was das bürgerliche Herz begehrt. Die Beete sind sauber eingefasst, dazwischen findet des Hobbygärtners Fuß auf duftendem Rindenmulch Erholung; der Rasen sauber wie ein frisch gesaugter Teppich, mit herzigen Zwergen unter dem Busch. Problemlos ließen sich alle wichtigen Elemente von Norma im Baumarkt beschaffen. Das Häuschen mit Sprossenfensterchen und Veranda, Frühbeet und Gewächshaus: fertig oder als Bausatz erhältlich. Selbst die Originalität ist normiert. Ein altes Weinfass an der Laube soll Kreativität beweisen. Man sieht die möglichen Bewohner vor sich, gesetzte Städter, die samt Grillwurst, Bier und zu Hause eingetuppertem Kartoffelsalat von ihrem gemütlichen Grünwohnzimmer Besitz ergreifen.

Daneben der zweite Garten, genannt "Astrid" (Abb. B) und mit Zunamen romantisch "Blütenstaub". Bestandteile und Aufteilung sind ähnlich, doch besteht er aus einem Sammelsurium von Fundstücken. Gewächshaus und Laube sind aus alten Fenstern und Brettern zusammengezimmert. Blumen wuchern in jedem Topf. Alte Holzdielen markieren den Pfad, wo die Nachbarn die Wege um die Beete eingefaßt haben. Die Möbel sind nicht pflegeleicht, der Sperrmüll genügte als Lieferant. In einem verwilderten Eck sprießt die Natur, in den Beeten beginnt sie bereits heimisch zu werden.

Soweit die Arbeit der Künstlerinnen. Fertig ist ihr Projekt damit aber noch nicht: "Erst wenn die Menschen einen der Gärten bewohnen und selbst Hand anlegen, ist das Werk vollendet", sagt Käthe Walser, Mitglied der Gruppe GRILL 5. Die Benutzung ist erklärter Bestandteil. Die beiden gegensätzlichen Gärten können denn auch bis Oktober, gegen eine geringe Gebühr, tageweise gemietet werden. Die Bewohner auf Zeit dürfen darin feiern und grillen, aber auch arbeiten und ernten. Alles, was man in einem eigenen Garten tun würde, ist erlaubt. Dass so das Werk Veränderung erfährt, es sich ohne Zutun der Künstlerinnen immer mehr an real existierende Gärten annähert, ist Teil des Programms.

Im Wilden nichts Neues
Doch es geht nicht nur um die Verwandlung von Kunst in Leben. Es bleibt die erwähnte Gegensätzlichkeit. Wird von den Künstlerinnen unter dem Namen Norma Lilienthal (Abb. C) die Welt der Spießbürger, unter dem Namen Astrid Blütenstaub (Abb. B) die Welt der "besseren" Freigeister vorgeführt? Wäre diese Wertung eine Intention der Urheberinnen, so hätten Norma und Astrid mehr gezeigt als sie sollten, denn ein Unterschied ist letztlich kaum vorhanden: Wenn der erste Garten eine Norm vermitteln soll, also den Eindruck, der Besitzer habe getan, was man von ihm als Schrebergärtner erwartet, so müsste der andere Garten das Umfeld eines freieren, originelleren Zeitgenossen sein. Weit aber ist es damit nicht her. Der blecherne Waschzuber als Blumenbehälter zum Beispiel besitzt nicht mehr und nicht weniger kreatives Potential als das an Normas Laube montierte Fass. Könnte es sein, dass bei Astrid Blütenstaub auch wieder bloß eine Norm eingehalten wird? Eine, die den Erwartungen einer "alternativen Szene" entspricht? Ist der Garten in seinem Bemühen um Originalität und im zwanghaften Abweichen vom Typischen nicht ebenso genormt wie der des verachteten Nachbarn?

Zugemüse
Das Schrebergartenpaar steht nicht als Kunstwerk für sich allein. Jeder der beiden Gärten dient gleichzeitig als Bühne einer Installation. Pipilotti Rist inszenierte in Normas Gewächshaus eine "Liebeslaube" (Abb. A), eine fröhlich bunte Stätte für Verliebte. Farbige Folien lassen buntes Licht auf ein Bett mit Häkeldecke fallen, der Rekorder spielt ausgewählte Kuschelsongs, und ein Diaprojektor wirft Stills aus dem Alltag auf einen weißen Holzwürfel am Nachtkästchen. Liebevoll arrangierte Details entdeckt der Neugierige überall, so in der Schublade des Kästchens eine Ausgabe des Neuen Testaments in Taschenformat.

"Astrid" verbirgt die Videoinstallation zunächst: In der wildesten Ecke ihrer Fläche ragen periskopartig Rohre mit handtellergroßem Durchmesser aus dem Boden. Wer hineinschaut, erkennt in einigen sich selbst in einem Spiegel. In fünf der Röhren aber befinden sich im Erdboden eingegrabene Monitore mit Videos. Darin: ein kriechender Wurm, ein Haarscheitel, ein gehendes Mädchen, nicht genau definierbare, organisch wirkende Strukturen. Damit sind dem Ensemble der Gärten zwei weitere, eigenständige Arbeiten hinzugefügt. Lassen die Erdmonitore einen Bezug zum gesamten Werk erahnen, so bleibt der Besucher in der Liebeslaube ratlos: Wie soll dieser raffiniert arrangierte Raum, der so sehr von der Originalität und der Persönlichkeit seiner Gestalterin zeugt, sich in das Ambiente des spießbürgerlichen Schrebergartens einfügen? Die Installationen sind Kunstwerke im Kunstwerk. Als bloßes Zugemüse für die kontrastierenden Nachbargärten stellen sie letztendlich das Grundkonzept der gesamten Anlage in Frage.

Zu mieten sind die Gärten, auch einzeln, bei der Landesgartenschau, Schaffhauser Straße 25, in Singen (Tel. 07731 - 820 40), oder im Internet: http://www.grill5.org

GRILL 5
Die Künstlerinnengruppe GRILL 5 wurde im vergangenen Jahr in einem Schrebergarten ins Leben gerufen. Die fünf Freundinnen, einander bekannt aus gemeinsamer Schul- oder Studienzeit, haben sich alle "schon immer irgendwie mit Freiräumen beschäftigt". Neben der 37-jährigen Videokünstlerin Pipilotti Rist gehören dazu Käthe Walser, in deren Videoinstallationen Natur und Garten eine wichtige Rolle spielen, sowie die Künstlerin Caroline Schmidt. Die am Schweizer Institut für Landschaftsarchitektur in Rapperswil tätige Annemarie Bucher und die Kunsthistorikerin Eva Keller komplettieren die Gruppe zum Quintett.

Pipilotti Rist und ihre Freunde
Die Schlüsselfigur von GRILL 5 ist die schweizerische Videokünstlerin Pipilotti Rist. Bekannt wurde sie mit ihrer ersten Videoarbeit "I'm not the girl who misses much". Weitere Arbeiten, wie der zumindest im Titel provokante "Pickelporno", steigerten ihre Popularität. Sich mit anderen zusammenzutun, ist für sie ein häufig gewählter Weg, um Projekte umzusetzen. So nehmen in ihrer Werkliste Arbeiten, die sie mit anderen Künstlern und Künstlerinnen realisiert hat, einen wichtigen Platz ein. Aus einem großen Freundeskreis bildet sie immer wieder neue Gruppen, die sich spontan zusammenfinden. Wie wichtig diese Vorgehensweise für sie ist, drückte sie in der Schweizer Kulturzeitschrift "du" aus. Als sie 1997 die Möglichkeit hatte, eine Ausgabe des Magazins zu gestalten, vergab sie kurzerhand den Großteil der zur Verfügung stehenden Seiten ihren Freunden - "denen ich vor Freude, dass es sie gibt, den Handrücken wundküssen möchte".


Impressum
Dieser Beitrag ist in der Wochenendausgabe des Südkuriers vom 28. Juli 2000 erschienen.

Fotos: Julian von Wirth (B), Autoren (A, C)

Foto A: Eine der Autorinnen in der 'Liebeslaube' von Pipilotti Rist
Foto B: Das kreative Chaos der Alternativen herrscht im Garten Astrid Blütenstaub.
Foto C: Gartenzwerge dienen im Garten 'Norma Lilienthal'

Die bereits erschienenen Beiträge können im Internet abgerufen werden: http://www.uni-konstanz.de/UniinSingen/


Südkurier Homepage: http://www.suedkurier.de
Landesgartenschau Singen Homepage: http://www.landesgartenschau-singen.de
Kunstwissenschaft Homepage: http://www.uni-konstanz.de/FuF/Philo/Litwiss/KunstWiss/ (unter 'Aktuelles')