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Mark für Nachbars Garten
Die
Künstlerinnengruppe GRILL 5 ruft in Singen die Republik Schrebergarten
aus
Norma Lilienthal/Astrid
Blütenstaub
Die Künstlerinnen
bitten zu Hacke und Spaten: Nicht weit von den Lauben der Gartenfreunde
e.V. befinden sich zwei weitere Schrebergärten. Keine Ableger der
Kolonie, sondern das Projekt der Künstlerinnengruppe GRILL
5 - eine "Skulptur", die nicht nur betrachtet werden will,
sondern vor allem davon lebt, dass ihre Besucher selbst Hand anlegen.
Zwei Gärten,
ein Kunstwerk
Eng mit dem Thema
einer Gartenschau verbunden, hebt sich das Projekt dennoch von den obligatorischen
Ausstellungsgärten ab. Betritt man die beiden Gärten von GRILL
5 auf dem Gelände der Landesgartenschau in Singen, so ist ein deutlicher
Unterschied nicht von der Hand zu weisen. Jeder steht für einen
besonderen Typus. Es sind zwei Biotope, in denen gegensätzliche
Lebensformen kultiviert werden. Beide haben Namen - sprechende Namen.
Da ist der Garten "Norma Lilienthal" (Abb.
C), normiert,
als wäre er einem Katalog entnommen, ein wahr gewordener kleinbürgerlicher
Traum. Herausgeputzt und bis in die Details konventionell, beherbergt
er alles, was das bürgerliche Herz begehrt. Die Beete sind sauber
eingefasst, dazwischen findet des Hobbygärtners Fuß auf duftendem
Rindenmulch Erholung; der Rasen sauber wie ein frisch gesaugter Teppich,
mit herzigen Zwergen unter dem Busch. Problemlos ließen sich alle
wichtigen Elemente von Norma im Baumarkt beschaffen. Das Häuschen
mit Sprossenfensterchen und Veranda, Frühbeet und Gewächshaus:
fertig oder als Bausatz erhältlich. Selbst die Originalität
ist normiert. Ein altes Weinfass an der Laube soll Kreativität
beweisen. Man sieht die möglichen Bewohner vor sich, gesetzte Städter,
die samt Grillwurst, Bier und zu Hause eingetuppertem Kartoffelsalat
von ihrem gemütlichen Grünwohnzimmer Besitz ergreifen.
Daneben der zweite
Garten, genannt "Astrid"
(Abb. B)
und mit Zunamen romantisch "Blütenstaub". Bestandteile
und Aufteilung sind ähnlich, doch besteht er aus einem Sammelsurium
von Fundstücken. Gewächshaus und Laube sind aus alten Fenstern
und Brettern zusammengezimmert. Blumen wuchern in jedem Topf. Alte Holzdielen
markieren den Pfad, wo die Nachbarn die Wege um die Beete eingefaßt
haben. Die Möbel sind nicht pflegeleicht, der Sperrmüll genügte
als Lieferant. In einem verwilderten Eck sprießt die Natur, in
den Beeten beginnt sie bereits heimisch zu werden.
Soweit die Arbeit
der Künstlerinnen. Fertig ist ihr Projekt damit aber noch nicht:
"Erst wenn die Menschen einen der Gärten bewohnen und selbst
Hand anlegen, ist das Werk vollendet", sagt Käthe Walser,
Mitglied der Gruppe GRILL 5. Die Benutzung ist erklärter Bestandteil.
Die beiden gegensätzlichen Gärten können denn auch bis
Oktober, gegen eine geringe Gebühr, tageweise gemietet werden.
Die Bewohner auf Zeit dürfen darin feiern und grillen, aber auch
arbeiten und ernten. Alles, was man in einem eigenen Garten tun würde,
ist erlaubt. Dass so das Werk Veränderung erfährt, es sich
ohne Zutun der Künstlerinnen immer mehr an real existierende Gärten
annähert, ist Teil des Programms.
Im Wilden nichts
Neues
Doch
es geht nicht nur um die Verwandlung von Kunst in Leben. Es bleibt die
erwähnte Gegensätzlichkeit. Wird von den Künstlerinnen
unter dem Namen Norma Lilienthal (Abb.
C) die Welt
der Spießbürger, unter dem Namen Astrid Blütenstaub
(Abb. B)
die Welt der "besseren" Freigeister vorgeführt? Wäre
diese Wertung eine Intention der Urheberinnen, so hätten Norma
und Astrid mehr gezeigt als sie sollten, denn ein Unterschied ist letztlich
kaum vorhanden: Wenn der erste Garten eine Norm vermitteln soll, also
den Eindruck, der Besitzer habe getan, was man von ihm als Schrebergärtner
erwartet, so müsste der andere Garten das Umfeld eines freieren,
originelleren Zeitgenossen sein. Weit aber ist es damit nicht her. Der
blecherne Waschzuber als Blumenbehälter zum Beispiel besitzt nicht
mehr und nicht weniger kreatives Potential als das an Normas Laube montierte
Fass. Könnte es sein, dass bei Astrid Blütenstaub auch wieder
bloß eine Norm eingehalten wird? Eine, die den Erwartungen einer
"alternativen Szene" entspricht? Ist der Garten in seinem
Bemühen um Originalität und im zwanghaften Abweichen vom Typischen
nicht ebenso genormt wie der des verachteten Nachbarn?
Zugemüse
Das Schrebergartenpaar
steht nicht als Kunstwerk für sich allein. Jeder der beiden Gärten
dient gleichzeitig als Bühne einer Installation. Pipilotti
Rist inszenierte in Normas Gewächshaus eine "Liebeslaube"
(Abb. A),
eine fröhlich bunte Stätte für Verliebte. Farbige Folien
lassen buntes Licht auf ein Bett mit Häkeldecke fallen, der Rekorder
spielt ausgewählte Kuschelsongs, und ein Diaprojektor wirft Stills
aus dem Alltag auf einen weißen Holzwürfel am Nachtkästchen.
Liebevoll arrangierte Details entdeckt der Neugierige überall,
so in der Schublade des Kästchens eine Ausgabe des Neuen Testaments
in Taschenformat.
"Astrid"
verbirgt die Videoinstallation zunächst: In der wildesten Ecke
ihrer Fläche ragen periskopartig Rohre mit handtellergroßem
Durchmesser aus dem Boden. Wer hineinschaut, erkennt in einigen sich
selbst in einem Spiegel. In fünf der Röhren aber befinden
sich im Erdboden eingegrabene Monitore mit Videos. Darin: ein kriechender
Wurm, ein Haarscheitel, ein gehendes Mädchen, nicht genau definierbare,
organisch wirkende Strukturen. Damit sind dem Ensemble der Gärten
zwei weitere, eigenständige Arbeiten hinzugefügt. Lassen die
Erdmonitore einen Bezug zum gesamten Werk erahnen, so bleibt der Besucher
in der Liebeslaube ratlos: Wie soll dieser raffiniert arrangierte Raum,
der so sehr von der Originalität und der Persönlichkeit seiner
Gestalterin zeugt, sich in das Ambiente des spießbürgerlichen
Schrebergartens einfügen? Die Installationen sind Kunstwerke im
Kunstwerk. Als bloßes Zugemüse für die kontrastierenden
Nachbargärten stellen sie letztendlich das Grundkonzept der gesamten
Anlage in Frage.
Zu mieten sind
die Gärten, auch einzeln, bei der Landesgartenschau,
Schaffhauser Straße 25, in Singen (Tel. 07731 - 820 40), oder
im Internet: http://www.grill5.org
GRILL 5
Die Künstlerinnengruppe
GRILL 5 wurde im vergangenen Jahr in einem Schrebergarten ins Leben
gerufen. Die fünf Freundinnen, einander bekannt aus gemeinsamer
Schul- oder Studienzeit, haben sich alle "schon immer irgendwie
mit Freiräumen beschäftigt". Neben der 37-jährigen
Videokünstlerin Pipilotti Rist gehören dazu Käthe Walser,
in deren Videoinstallationen Natur und Garten eine wichtige Rolle spielen,
sowie die Künstlerin Caroline Schmidt. Die am Schweizer Institut
für Landschaftsarchitektur in Rapperswil tätige Annemarie
Bucher und die Kunsthistorikerin Eva Keller komplettieren
die Gruppe zum Quintett.
Pipilotti Rist
und ihre Freunde
Die Schlüsselfigur
von GRILL 5 ist die schweizerische Videokünstlerin Pipilotti Rist.
Bekannt wurde sie mit ihrer ersten Videoarbeit "I'm not the girl
who misses much". Weitere Arbeiten, wie der zumindest im Titel
provokante "Pickelporno", steigerten ihre Popularität.
Sich mit anderen zusammenzutun, ist für sie ein häufig gewählter
Weg, um Projekte umzusetzen. So nehmen in ihrer Werkliste Arbeiten,
die sie mit anderen Künstlern und Künstlerinnen realisiert
hat, einen wichtigen Platz ein. Aus einem großen Freundeskreis
bildet sie immer wieder neue Gruppen, die sich spontan zusammenfinden.
Wie wichtig diese Vorgehensweise für sie ist, drückte sie
in der Schweizer Kulturzeitschrift "du" aus. Als sie 1997
die Möglichkeit hatte, eine Ausgabe des Magazins zu gestalten,
vergab sie kurzerhand den Großteil der zur Verfügung stehenden
Seiten ihren Freunden - "denen ich vor Freude, dass es sie gibt,
den Handrücken wundküssen möchte".
Impressum
Dieser Beitrag ist in der Wochenendausgabe des Südkuriers vom 28.
Juli 2000 erschienen.
Fotos: Julian von Wirth (B), Autoren (A, C)
Foto
A: |
Eine der Autorinnen
in der 'Liebeslaube' von Pipilotti Rist |
Foto
B: |
Das kreative
Chaos der Alternativen herrscht im Garten Astrid Blütenstaub.
|
Foto
C: |
Gartenzwerge
dienen im Garten 'Norma Lilienthal' |
Die bereits erschienenen
Beiträge können im Internet abgerufen werden: http://www.uni-konstanz.de/UniinSingen/
Südkurier Homepage: http://www.suedkurier.de
Landesgartenschau Singen Homepage: http://www.landesgartenschau-singen.de
Kunstwissenschaft Homepage: http://www.uni-konstanz.de/FuF/Philo/Litwiss/KunstWiss/
(unter 'Aktuelles')
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