3 Quellenkritik

Fabio Crivellari, Universität Konstanz

Um einen Text oder andere Informationsträger in die historische Interpretation einzubeziehen, müssen sie einer grundlegenden Kritik unterzogen werden. Dabei haben die unterschiedlichen Teildisziplinen und Themenbereiche der Geschichtswissenschaft bisweilen eigenständige Praktiken und Diskurse entwickelt, die hier nicht behandelt werden. Vielmehr geht es um eine knappe Darstellung dessen, was allgemein unter Quellenkritik verstanden werden kann.

Systematisch können zwei wesentliche Schritte unterschieden werden:
Zum einen sollte
der mediale Überlieferungsrahmen von Quellen bestimmt werden. Dazu wird nach dem Entstehungsort, der Entstehungszeit, dem Verfasser und der Version gefragt.
Anschließend müssen
die inhaltlichen Überlieferungsbedingungen geklärt werden, wobei auf Intentionen und Authentizität von der Quelle entnehmbaren Informationen gefragt wird.
Beide Arbeitsschritte sind hier getrennt voneinander dargestellt. In der historischen Praxis müssen sie aber immer wieder aufeinander bezogen werden, um eine Quelle hermeneutisch zu erschließen.

1. Der mediale Überlieferungsrahmen
Zur Feststellung der Überlieferungsdaten liefern die sogenannten Hilfswissenschaften ausdifferenzierte Analyseverfahren. Zeit und Ort der Entstehung sind bisweilen direkt aus den Quellen zu entnehmen. Ob diese Angaben authentisch sind, ist im Vergleich mit Nachbardokumenten und andere Quellen zu klären. Denn es macht einen Unterschied, ob beispielsweise eine Urkunde mehrere Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte rückdatiert wurde. Graphologische, archivalische und archäologische Untersuchungsmethoden können dies bisweilen klären. Die Entstehungszeit führt im Zusammenhang mit anderen Rahmendaten bereits zu wesentlichen Interpretationsvoraussetzungen. Denn letztlich ist kaum eine Quelle ohne historischen Kontext sinnvoll zu befragen und dieser historische Kontext lässt sich nun einmal nur aus der richtigen Zeitbestimmung erschließen.

Münzkabinett

Im Münzkabinett im Berliner Bodemuseum werden zahlreiche antike und moderne Münzen ausgestellt. Das Bild (1704) zeigt die Anfänge des Münzkabinetts im Berliner Schloß.

Der Ort ist zunächst der Entstehungsort, soweit feststellbar. Ebenso wichtig und in Abhängigkeit von der Fragestellung zu untersuchen, ist der Fund- oder Aufbewahrungsort. So sind beispielsweise die Fundorte von Münzedepots in der Erde in Kombination mit den für diese Münzen ermittelbaren Umlaufzeiten ein wichtiger Hinweis auf mögliche Konfliktherde und deren räumliche und zeitliche Dimension, da man allgemein annimmt, dass diese sogenannten ‘Münzdepots’ in Gefahrenzeiten angelegt wurden, um das Geld vor anrückenden Heeren, Söldnerbanden usw. zu verstecken. Eine Kartographierung von Münzdepots (oder auch ‘Münzhorten’) kann somit wichtige historische Zusammenhänge klären. Ebenso wichtig ist – um im Beispiel zu bleiben - bei Münzen der Unterschied zwischen Entstehungsort, also der Münzstätte, und dem Fundort, da somit Handelswege, Kulturtransfers und Kommunikationsräume erschlossen werden können. Vergleichbares gilt für alle Quellengattungen. Ein Brief beispielsweise hat stets einen Entstehungsort und eine Adresse. Nur in dieser Raumdifferenz entwickelt er seine besondere Funktion.

Den Autor festzustellen, ist, sofern er nicht direkt benannt ist, nicht immer einfach. Oft muss er aus Parallelquellen erschlossen werden, was eine Interpretationsleistung ist, die nur selten Absolutheitsanspruch erheben kann. Nicht immer ist der Urheber einer Quelle für die Fragestellung auch interessant. Vor allem ist die Urheberfunktion nicht immer zu klären. So ist beispielsweise eine dutzend- oder hundertfach vervielfältigte Radierung kunsthistorisch mindestens zwei ‘Autoren’ zuzuschreiben: dem Zeichner/Maler der Vorlage und dem Graveur der Druckplatte. Oft sind es letztere, die den kunsthistorischen Wert des Objekts bestimmen und entscheidenden Einfluss auf die Gestalt des Objektes nehmen. Der Autor muss dabei nicht immer eine Individualperson sein. Häufig treten auch Autorenkollektive oder Institutionen als Autoren auf. Je nach Fragestellung kann dann die Bestimmung eines Einzelautors relevant erscheinen oder nicht.

Auch die Version einer Quelle ist bisweilen von entscheidender Bedeutung. Insbesondere mittelalterliche Quellen, weisen oft eine Vielzahl von Variationen auf, die einen Text in erheblich veränderter Form wiedergeben können. Umfangreiche Untersuchungen, Vergleiche und Debatten zeigen die Bemühungen, die angestellt werden, um den möglichst authentischen Wortlaut von Gedichten, Berichten und anderen Textgattungen zu bestimmen. Auch bei Sachquellen sind unterschiedliche Ausprägungen ein und derselben Gestaltungsidee als Typologie ein wichtiger Hinweis auf historische Zusammenhänge.

2. Die inhaltlichen Überlieferungsbedingungen
Der Übergang zur zweiten Kritikphase der inhaltlichen Bestimmung vollzieht sich nahtlos. Zunächst steht traditionell die Frage nach der Echtheit der Dokumente im Vordergrund. Als der STERN 1983 die angeblichen Tagebücher Adolf Hitlers veröffentlichte, entpuppte sich das Material nach eingehender Analyse als geschickte Fälschung, was zum größten Presseskandal der letzten Jahrzehnte führte. Die Echtheit von Dokumenten kann über parallele Quellen und Berichte aber auch über naturwissenschaftliche Verfahren überprüft werden. Weitere Fragen schließen sich hier an: Ist eine Fälschung ein Versehen oder Absicht? Kann in Kombination mit dem Wissen über den Autor, die Zeit und den Ort der Entstehung und der Überlieferung der Zweck einer solchen Fälschung bestimmt werden? Oder sind mehrere variierende Berichte lediglich die Wiedergabe unterschiedlicher Standpunkte und Perspektiven? Der Vergleich mit anderen Quellen, die möglichst einen von der ersten Quelle unabhängigen Entstehungszusammenhang vorweisen sollten, kann hier weiterhelfen. Aber auch die möglicherweise vielfältigen Beziehungen variierender Berichte über ein Ereignis untereinander können für sich genommen und im Vergleich zu neuen historischen Erkenntnissen oder Fragestellungen führen.

Stern-Titelbild

Stern 18/1983.

Die Frage nach Beobachterstandpunkt, Absichten und historischem Kontext der Quelle ist schon als Quellenkritik ein Teil der inhaltlichen Interpretation, der stets mit der anfänglichen Fragestellung abgeglichen werden muss und vor dem Hintergrund einer These oder Theorie an die Leitinteressen der Untersuchung angeknüpft werden sollte. Dabei ist die quellenkritische Erörterung selbst schon durchaus Gegenstand der schriftlichen Darstellung einer Forschungsarbeit und fließt entweder als gesondertes Kapitel oder aber immer wieder, dann ebenfalls explizit, an den entsprechenden Stellen in den Text ein.

 

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