4.1.4

In den letzten Jahren öffnet sich die Geschichtswissenschaft verstärkt dem Forschungsfeld symbolischen Handelns. Symbolisch werden Handlungen dann, wenn sie als Teil eines größeren Sinnzusammenhanges begriffen werden können und als Kommunikationsmittel fungieren, deren Gehalt sich nicht allein in der konkreten Handlung erschöpft: Ein schmerzverzerrtes Gesicht ist für sich genommen noch nicht symbolisch, kann es, je nach Kontext, aber werden. Unter dem Aspekt symbolischen Handelns können Verhalten, Handlungen und Handlungsabläufe in besonderer Weise als Bedeutungsträger analysiert werden. Es gibt vielfältige Formen des symbolischen (nonverbalen) Handelns:

  • Mimik meint den unmittelbaren körperlichen Ausdruck, vor allem des Gesichtes.
  • Gestik betrifft demgegenüber das körperliche Verhalten, besonders Körperhaltung und Bewegung.
  • Rituale und Zeremonien umfassen ganze Handlungsabläufe, wobei alltagssprachlich die Zeremonie oft als                   umfassenderer Vorgang verstanden wird, was aber nicht der Fall sein muss.

Rituale und Zeremonien als regelhaftes Handeln
Rituale und Zeremonien stellen eine regelhafte Verkettung, einen Fundus von festen  symbolischen Handlungen dar. Während eine Zeremonie bestehende Ordnungen und Verhältnisse symbolisiert, zielt das Ritual auf eine Statusveränderung oder -bestätigung der Beteiligten im Verhältnis zu ihrer Umwelt ab.

Verhalten von Beteiligten, dass im Hinblick auf Regelhaftigkeit den Erwartungshorizont der übrigen Teilnehmer überschreitet bzw. konterkariert, kann gerade im Verhältnis zu den gängigen Regeln historisch sehr aufschlussreich sein. Etwa, wenn ein Monarch bei der Krönungszeremonie dem Papst/Bischof, der ihn eigentlich krönen müsste, die Krone aus den Händen nimmt und sie sich selbst aufsetzt, etwa, um eine gewisse Distanz zum kirchlichen Machtanspruch oder die eigene Machtherrlichkeit zu betonen. Im Alltag werden Rituale und Zeremonien bisweilen erst gerade dadurch offensichtlich, dass sich jemand nicht an sie hält.

Versailler Spiegelsaal

Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles am 18.01.1871, Tuschfederzeichnung von Anton Alexander v. Werner.

Symbolisches Handeln in Mittelalter und Frühmoderne
Symbolisches nonverbales Handeln spielte in Mittelalter und Frühmoderne als Kommunikationsmittel eine sehr wichtige Rolle. Die richtige Dechiffrierung symbolischen Handelns leistete einen bedeutenden Beitrag zur Konfliktvermeidung und musste daher beherrscht werden, ebenso, wie es entsprechend einen zweckrationalen Gebrauch von Symbolen gab. Es ist insofern fraglich, ob diese Zeitalter durch ihren starken Symbolgebrauch weniger rational oder reflexiv waren als die Moderne. Gerade der Blick auf die Rationalität symbolischer Kommunikation kann spannende Ergebnisse bringen und neue historische Fragen aufwerfen. So hat der Mediävist Gerd Althoff die symbolische Kommunikation in der politischen Praxis, die ‘Spielregeln der Politik’ im Mittelalter erforscht. Im Hinblick auf den zweckrationalen Gebrauch symbolischer Akte in der Vormoderne lässt sich auch fragen, ob die These eines linearen Rationalisierungsprozesses im ‘Prozeß der Zivilisation’ in dieser Allgemeinheit überhaupt zutrifft.

Kniefall Willy Brandts

Kniefall Willy Brandts vor dem Mahnmal des jüdischen Ghettos in Warschau, 7.12.1970.

Symbolisches Handeln in der Moderne
Der Stellenwert von Ritualen und Symbolen in der Politik wurde vom US-Amerikaner Murray Edelman herausgestellt, der die Bedeutung von Symbolen, Ritualen und Mythen in der und für die Politik analysierte. Die Rolle symbolischen Handelns sollte in demokratischen Gesellschaften allgemein nicht unterschätzt werden, auch wenn sie vielleicht nicht so deutlich oder wichtig ist, wie die Inszenierung von Handlungen etwa im Nationalsozialismus oder Kommunismus, wo z.B. die Teilhabe der Massen an der Macht symbolisch vermittelt wurde. So scheint eine bestimmte politikwissenschaftliche Forschungstradition, die sich mit der Inszenierung von NS-Ritualen und NS-Symbolik beschäftigt, blind für die Allgegenwart von Symbolen auch in demokratischen Systemen, aber auch im Alltag zu sein.

Beispiele für symbolisches Handeln sind:
Feste, Begräbnisse, Aufmärsche, Gedenktage, Fahnenkult, Essen, Küssen...