Internet, CD-ROM und auch DVD gelten in der Geschichte derzeit noch kaum als Quellenmaterial für aktuelle Forschungen. Vielmehr stellen sie modern und zeitgemäß, das bedeutet kompakt und schnell, große Informationsmengen zur Verfügung. Sie werden insbesondere als Nachschlagewerke genutzt, deren Vorteile vor allem in der direkten Anwendbarkeit am Arbeitsplatz liegen, sofern dieser entsprechend ausgestattet ist.
Wie diese Vorteile genutzt werden können, beschreiben Handbücher und praxisorientierte Leitfäden.
1 Die neuen Medien, so scheint es, müssen sich ihrer eigenen Historizität noch kaum stellen. Und doch gibt es im Internet schon seit längerer Zeit zahlreiche Abhandlungen über die Geschichte des Mediums.2
Kein Zweifel: In absehbarer Zeit werden Internet, CD-ROM und DVD selbst zum Gegenstand einer medialen Kulturgeschichte, die den Hype und die überspannten Erwartungen im Zusammenhang mit diesen technischen Innovationen kritisch beleuchtet, wie dies in medienpublizistischer und medienwissenschaftlicher Perspektive schon jetzt geschieht.
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Welchen Quellenwert aber besitzen CD-ROM und Internetseiten für Historiker auch dann, wenn sie selbst nicht den Forschungsgegenstand einer Technikgeschichte darstellen?
Um dies zu klären muss vor allem die Funktionsweise dieser Medien geklärt werden.

In allen Fällen handelt es sich um digitale Datentransmitter, die durch vier Besonderheiten charakterisiert werden: Systemhaftigkeit, Interaktivität, Multi- und Hypermedialität.

1. Systemhaftigkeit: darunter soll hier die Tatsache verstanden werden, dass CD-ROM, Internet und DVD keine nutzbaren Einzelstücke sind. Sie sind in ein technisches Ensemble von Gerätschaften (und den damit verbundenen Kompetenzen und Kulturen) eingebunden. Es handelt sich trotz der Synekdoche immer um Medienverbundsysteme, durch die diese Medien erst kommunikativ wirksam werden können. Mit einer eher oberflächlichen Typologie kann man hier von Tertiärmedien sprechen, die im Gegensatz zu Primär- und Sekundärmedien technische Hilfestellungen bei der Erstellung ebenso wie bei der Nutzung benötigen (Im Gegensatz zu beispielsweise Sprache als Primär- und Buch als Sekundärmedium).

Aber diese technischen Rahmen sind gleichzeitig auch der Ausgangspunkt einiger für die Quellenlage relevanter Probleme.
Das Internet beispielsweise ist ein schnelles Medium, das einen besonderen Reiz durch die optischen Gestaltungsmöglichkeiten bezieht. Als trendbewusst geltend muss es sich stetig verändern, Seiten werden umgestaltet, Firmen wechseln nahezu jedes halbe Jahr ihren Internet-Auftritt. Das sorgt für Schwierigkeiten in der Archivierung und in der Zitation, die deshalb stets mit einem Datum versehen sein sollte. Dass dadurch die Überprüfbarkeit von Angaben in wissenschaftlichen Arbeiten in Frage gestellt ist, ist ein noch ungelöstes Problem in der Geschichtswissenschaft.
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Etwas anders sieht es bei den portablen Datenträgern wie CD-ROM und DVD aus, deren Archivierbarkeit grundsätzlich einfacher scheint. Die Zweifel an ihrer Überlieferungsfähigkeit werden hinsichtlich der technischen Haltbarkeit sowie der Zukunftsfähigkeit der jeweiligen Interpretationstechnologien gesetzt.5 Ob auch in fünfzig Jahren DVDs noch gelesen werden können, ist derzeit völlig offen. Schon jetzt fällt es oft schwer, für die durchaus verbreiteten Magnettonbänder, die jahrzehntelang den Standard für private Tonarchivierung darstellten, die entsprechenden Abspielgeräte zu finden, die selbst wiederum museal geworden sind. Während aber Magnetleser technisch ohne weiteres zu reproduzieren wären, ist die Betriebssoftware für Computer und Anwendungen deutlich kurzlebiger. Die älteren Programmiersprachen wie beispielsweise Cobol werden heute nicht mehr verwendet, was für die Wartung alter Geräte bisweilen Probleme schafft. Ein anderes Beispiel sind alte Speichermedien wie die 5 ¼ -Zoll-Diskette oder die so genannte Datasette, deren Abspielgeräte ebenfalls nicht mehr verwendet oder hergestellt werden. Und selbst die Tage der 3,5-Zoll-Diskette scheinen gezählt, wenn man den forschen Ankündigungen einiger PC-Hersteller glauben mag, die PCs künftig standardmäßig ohne entsprechende Laufwerke ausrüsten wollen.

Sicher ist derzeit nur, dass sich die technischen Standards verändern werden. Schon jetzt ist die Geschichte der CD-ROM durch sechs internationale Standardisierungen gekennzeichnet. Diese Standards werden aufgrund der unterschiedlichen Einbandfarben der Vertragswerke auch als „Regenbogenbücher“ bezeichnet (white, blue, orange, green, yellow, red book) und schreiben technische Verfahren für unterschiedliche Verwendungszwecke der CD-ROM fest.

Noch unsicherer als bei der CD-ROM ist derzeit die Dauerhaftigkeit der DVD, bei der sich die beiden großen Herstellergruppen (Sony/Philips und Toshiba-Gruppe) nach wie vor nicht auf einen einheitlichen technischen Standard geeinigt haben.

2. Interaktivität: Die Interaktivität zwischen Benutzer und Datenträger oder besser Nutzer und Angebot besteht idealerweise in einer Vielzahl von Zugangsweisen zu den digitalen Informationen. Schon die 1982 etablierte Musik-CD zeichnete sich gegenüber der Vinylplatte durch die gezielte Ansteuerung einzelner Lieder, durch random access oder loop-Optionen aus, die freilich nur durch die entsprechenden Geräte nutzbar waren.  Die Hoffnungen moderner Lehrtheorien ruhen auf diesen Möglichkeiten interaktiver, individueller Informationsgestaltung.
Doch diese Freiheiten finden ihre Grenzen im Gestaltungswillen der Autoren und Produzenten. Längst ist nicht jede CD-ROM oder Internetseite gleichermaßen interaktiv gestaltet. Kommunikationsdesigner und Multimedia-Ingenieure bemühen sich um eine nutzerfreundliche, intuitive Interfacegestaltung, die Text-, Bild- und Grafikkomponenten optimal und attraktiv aufeinander und auf das mögliche Publikum abstimmt. Damit sind wir schon bei weiteren, für diese Medien wichtigen Stichworten angelangt. Noch sind die neuen Medien in erster Linie ökonomisch interessante Produkte. Wie berechtigt diese Hoffnungen sind, mag an anderer Stelle geklärt werden. Wichtig für Historiker sind die daraus resultierenden Nutzungsinteressen für diese Medien.
So gilt es in der Analyse von Internetseiten genau zu beobachten, an wen sich die Inhalte und Formate richten. Ist Werbung eingebunden, ist Werbung intendiert, geht es um private Selbstdarstellung oder um wissenschaftliche Reputation? Zahlreiche Internetseiten mit historischen Inhalten sind von Privatpersonen erarbeitet worden und bieten Unmengen von Daten und wenig wissenschaftlich relevante Informationen. Aber sie werden selbst eben darin einen Quellenwert besitzen, weil sie bestimmte Stilrichtungen, ästhetische Konzepte vermitteln. Sie speichern aber auch, was von Privatpersonen zu bestimmten Zeiten als wissenswert, sehenswert und überliefernswert gehalten wird. Diese Informationen aber sind ein nicht zu unterschätzendes Zeitgeistarchiv, das keineswegs nur über Fragen zur jeweiligen Popkultur informieren kann und über dessen Erhaltung bisher nur wenig nachgedacht wurde.

3. Multi- und Hypermedialität

Ein Wesensmerkmal der neuen Medien ist ihre vielschichtige Integration anderer Medien. So integrieren Daten-CD-Roms und Internetseiten Ton, Bild, Grafik und Text. Entscheidender Unterschied zum Fernsehen dabei ist die durch Schalt- und Befehlspaneels angebotene Interaktivität, die es dem Nutzer überlässt, ob er die zur Verfügung stehenden Medienangebote auswählt oder nicht und damit seine eigene Wissensumgebung schafft. Soweit zumindest die Theorie. Die Informationen in diesen Medien sind also nicht linear wie in den klassischen Textzeilen angeordnet und nacheinander abrufbar. Modular gruppieren sie sich um einen Navigationsschwerpunkt, der ganz unterschiedlich gestaltet sein kann. Sie sind vielfach miteinander vernetzt und ermöglichen so eine maximale Anzahl von Kombinationen und Wahrnehmungsreihenfolgen. Diese besondere Qualität der neuen Medien führt zu neuen Kommunikationsformen.
Umgekehrt bedeutet, den Informationsaufbau modular zu halten, jedes dieser Module möglichst für sich verstehbar zu gestalten, damit es von möglichst vielen Positionen im Hypersystem ansteuerbar ist. So muss es also möglich sein, auf einer CD-ROM über den Ersten Weltkrieg Seiten über bestimmte Ereignisse, wie beispielsweise den ersten Giftgaseinsatz bei Ypern, aus unterschiedlichen Richtungen anzusteuern. Dies kann dann von einer Seite über Rüstung und Wirtschaft im Krieg, einer über Kriegsrecht und Konventionen oder aus einem Kapitel über operative Kriegführung geschehen. Es kann aus der Perspektive der französischen oder aber aus deutscher Perspektive (z.B. über Kriegsbriefe, eine fiktive Biographie etc.) geschehen. Nach allen Richtungen hin muss diese Informationseinheit aber offen bleiben und sogar direkt über ein Index angesteuert werden können.
Das Ziel dieser Texte ist also eine weitgehend selbstbestimmte „Lektüre“ seitens des Nutzers. Diese Selbstbestimmung geht jedoch nur so weit, wie die Autoren Hyperlinks setzen. Daraus ergibt sich eine ständige Spannung in einer hypertextuellen und hypermedialen Anwendung, die zwischen dem Ideal weitreichender Freiheiten und der Pragmatik der Autorenintention oszilliert. Diese Spannung ist auch eine der wesentlichen Nachrichten des Quellenmaterials, wenngleich hier künftigen Fragestellungen vorzugreifen, etwas vermessen wäre.

Ein weiterer Punkt hängt damit zusammen. Multimediale Anwendungen integrieren verschiedene mediale Grundtypen wie Bild, Schrift und Text. Sie gestalten diese Medien zu einer neuen layout- und nutzerorientierten Umgebung. Um eine CD-ROM auszuwerten, muss man also sowohl Textgestaltung (Typographie, Satzbild, Graubild), Grafik und Farben, als auch Bildeinsatz und die Gesamtkonzeption betrachten, um Zielpublikum und Autorenintentionen zu erfassen.

Die Dominanz der Fragestellung lässt es jedoch zu, auch nur Teilbereiche genauer zu betrachten.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die neuen Medien in Gestalt von CD-ROM, Internet und DVD zwar bereits eine vielseitige eigene Geschichte haben, ihr Quellenwert aber noch ebenso im Fluss ist, wie ihre Verwendung und Archivierung. Sicher ist, dass elektronische und opto-magnetische Datenspeicher zunehmend in die Archive wandern werden, da auch Archive der Steigerung der Raumnutzungseffizienz verpflichtet sind.

Der Informationsgehalt dieser Medien (und nicht nur dieser) geht weit über den Textinhalt hinaus. Sie sind vielsagende Quellen zur Erforschung ästhetischer aber auch und vor allem kommunikationsstrategischer Überlegungen ihrer Gestalter und über den jeweiligen Stand der Medienkompetenz.
Durch ihre technisch bedingte Schnelllebigkeit sind sie auch rascher als Quellen verwertbar. Schon jetzt lässt sich ein bestimmter Stil der Sitegestaltung
6 aus der Mitte der neunziger Jahre von dem zu Beginn des 21. Jahrhunderts deutlich unterscheiden. Und angesichts der gesellschaftlichen Relevanz des Themas wird auch deutlich, dass es sich dabei nicht nur um eine Fortsetzung älterer Kunstgeschichte handelt, sondern um ein zentrales Anliegen von Politik und Wirtschaft, die Unsummen zur Förderung der neuen Medien aufwenden..

1: z.B. Stuart Jenks, Stephanie Marra: Internethandbuch Geschichte, Stuttgart 2001.

2: Zu seriösen Seiten führt diese kleine aber nützliche Sammlung an der Berliner Humboldt-Universität:

http://www.educat.hu-berlin.de/mv/internet_aufbau.html

Für die jüngere Entwicklung ist die history beim Kernforschungszentrum CERN in Genf grundlegend unter

http://public.web.cern.ch/Public/ACHIEVEMENTS/WEB/history.html

brauchbar ist auch die in österreichische Seite des Domaininstituts

http://www.nic.at/german/geschichte.html

kurz und übersichtlich:

http://www.3com.de/training/crashkurs/internet1.html

http://www.sfk-online.com/support/internet/internetgeschichte.php

3: Vgl.: Stefan Münker, Alexander Roesler: Mythos Internet, Frankfurt am Main 1997; Bernhard E. Bürdek: Der digitale Wahn, Frankfurt am Main 2001.

4: S. dazu Christoph Marx: „Virtuelle Nachweise“ – Zitieren aus dem Internet, in Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU) 4/01, S.238-245.

5: Bürdek, wie in 3, Vorwort.

6: Mit site ist die zusammengehörende Gruppe von Seiten eines Internetangebotes gemeint im Unterschied zur bspw. homepage, die in der Regel die Startseite bezeichnet