4

Fabio Crivellari, Universität Konstanz

Zwar hat Hayden White auf die literarischen Vorbilder auch wissenschaftlicher Textdramaturgie hingewiesen. Dennoch sollte man sich zu Beginn wissenschaftlichen Arbeitens darüber klar werden, dass sich der zu erstellende Text ein anderes Anliegen hat, als beispielsweise ein Roman. Dazu sollen hier nur einige Anmerkungen gemacht werden; im Kapitel Wissenschaftliches Schreiben stehen praktische Hinweise zur Verfügung.

Wissenschaftliche Texte erheben den Anspruch ‘Wissen’ zu organisieren und zu kommunizieren. Dieses Wissen wiederum soll nicht die subjektive Meinung des Autors über die Welt oder der Geschichte darstellen, sondern ein Wissen bereitstellen, dass als objektiv im Sinne einer nachvollziehbaren Untersuchungsmethode gelten kann.

Ein wissenschaftlicher Text soll also weder ‘Besinnungsaufsatz’ noch ‘Betroffenheitslyrik’ sein. Am ehesten ist er mit der aus Schulzeiten bekannten Erörterung zu vergleichen, in der eine These diskutiert wird. Die wissenschaftliche Arbeit kann eine eigene oder eine fremde These überprüfen. Der Text stellt diesen Prozess für weitere Überprüfungen bereit.

Schreibbild
Sprechbild

Damit bringt sich der Autor oder die Autorin wissenschaftlicher Texte in einen Diskussionskreis ein, der durch eine gewisse Regelhaftigkeit all denjenigen geöffnet ist, die sich an diese Regeln halten, oder aber sie bewusst und aus programmatischem Interesse heraus verändern wollen. Der Text stellt dann ein ‘Argument’ in diesem aus vielen Texten gespeisten Diskurs dar.

Argumente aber müssen verstehbar und nachprüfbar sein, um ihre Wirkung entfalten zu können. Wer beispielsweise behauptet, der Erste Weltkrieg sei der erste moderne Krieg gewesen, muss diese Aussage erklären und untermauern können: Was bedeutet ‘modern’, worin unterscheiden sich der Sezessionskrieg und WK I?

Fehlt dieses Grundgerüst, werden wissenschaftliche Texte zu reinen Behauptungen. Manche Diskussionsbeiträge verzichten jedoch auf den Beleg wichtiger Argumente und zehren vom Renommee der Autoren oder der Publikationen, in denen sie erscheinen. Wir wollen im Hinblick auf die Erstellung einer Hausarbeit an der Universität von solchen Fällen jedoch absehen.

Wie uneinheitlich die Regeln des wissenschaftlichen Diskurses bisweilen sind, ist am Beispiel der
Zitationsformate zu sehen. Dennoch gibt es zwei Grundkriterien, die unbedingt angepeilt werden sollten: Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit .

1. Verständlichkeit
Das oberste Ziel ist, eine Aussage so zu kommunizieren, dass alle, die sie lesen, sie auch verstehen und als wissenschaftlichen Beitrag ernst nehmen können. Dazu gehört eine einigermaßen nüchterne Sprache. Denn eine metaphorisch aufgeladene Sprache wandelt auf der Grenze zwischen Subjektivität und Objektivität. So können Sprachbilder, Metaphern und rhetorische Wendungen für reichlich Lesevergnügen sorgen. Ob sie ein einheitliches Verständnis des Textes bei den Lesern hervorrufen, ist nicht immer gesichert. Selbst wenn man nicht davon ausgehen kann, dass beim Leser/Hörer stets genau das ankommt, was der Autor ‘gemeint’ hat, sollte der Versuch unternommen werden, ‘Lesernähe’ herzustellen. Und das bedeutet, die sprachlichen Gepflogenheiten des jeweiligen Diskurses zu kennen und – weitgehend – zu beachten, so vielfältig sie auch seien mögen. Allerdings ist dies nicht als ein Plädoyer für einen banalen Schreibstil und eine Sprache der Bauernregeln zu verstehen. Abstraktionsniveau und Stil sollten jedoch dem Diskurs angemessen sein.

Das bedeutet auch konkret,

  • dass persönliche Meinungen und Einschätzungen deutlich von den Darstellungen eines Sachverhaltes oder einer Untersuchung getrennt werden. So mag es durchaus sein, dass der Autor die von ihm untersuchten Hexenverbrennungen für grausam und inhuman hält (alles andere wäre erschreckend). Dennoch sollte er sich bei der Schilderung historischer Einzelfälle mit entsprechenden Bemerkungen so weit wie möglich zurückhalten. Das ist, wie die Geschichtsschreibung über das Dritte Reich zeigt, nicht immer einfach und bisweilen wohl kaum vermeidbar. Gelegenheiten für Werturteile und Kommentare dieser Art bieten das Einleitungskapitel und der Schluss, die den Hauptteil gewissermaßen eingrenzen und zu seinem Verständnis wichtige Hinweise liefern.
     
  • dass blumige Redewendungen und Metaphern dort vermieden werden, wo sie Missverständnisse produzieren könnten. So können Analogien zwischen biologischen und sozialen Phänomenen bisweilen die Anschaulichkeit steigern. Werden sie hingegen modellhaft und dann inflationär gebraucht, können sie das Phänomen verstellen. So gibt es weder einen ‘Volkskörper’ noch ist das Bild von den ‘Gliedern einer Gesellschaft’ eine objektive Zuschreibung. Diese Körper-Gesellschaftsmetaphorik ist in vielerlei Hinsicht  irreführend, denn sie verwischt denn Unterschied zwischen Biologie und gesellschaftlichen Strukturen, die letztlich den kulturellen Intentionen menschlichen Willens folgen. Diese Problematik ist zudem selbst wieder ein Fall für wissenschaftliche Untersuchungen, denn eben die Gleichsetzung von Natur entspringt zeitlich zuschreibbaren Denkmustern und bestimmten kulturellen Rahmenbedingungen.
     
  • dass die Sprache des Forschungsgegenstandes weitgehend vermieden oder zumindest typographisch gekennzeichnet verwendet wird. Oft genügt das aber nicht, wie das besonders prekäre Beispiel des umstrittenen britischen Historikers David Irving belegt. In seiner nicht empfehlenswerten Goebbelsbiographie beschreibt er die bekannte Tatsache, dass die Nazis den jüdischen stellv. Polizeipräsidenten von Berlin, Bernhard Weiß als “(Esel) Isidor”  verunglimpften. Irving verwendet diese Bezeichnung auch in seinem Erzähltext und dokumentiert damit - gelinde gesagt - eine gewisse Sympathie gegenüber der Dramaturgie solch unsäglicher Kampfparolen.
    Ziel verantwortungsvollen Arbeitens muss es jedoch sein, die Ebene der eigenen Sprache und die der untersuchten Personen auseinander zu halten.
     
  • dass der Sachverhalt in einer klar gegliederten und systematischen Argumentation vermittelt wird. So sollte sich ein Argument aus dem vorherigen erschließen oder eine historische Reihenfolge als solche erkennbar gemacht werden. Andere Textordnungen können thematischer Art sein, sich an Personen orientieren oder den Themen- und Zeitfluss ganz unterlaufen. Letzteres sollte dann aber mit reichlich Geschick gehandhabt werden und ist bis heute nur wenigen gelungen.

2. Nachvollziehbarkeit
Ohne das oben gesagte zu konterkarieren, kann eine historisch-wissenschaftliche Arbeit mit einem Versuchsaufbau verglichen werden, wie er aus den Naturwissenschaften bekannt ist. So werden üblicherweise historische Quellen mit einem methodischen Gerüst bearbeitet, um aus ihnen Informationen zur Beantwortung der Fragestellung zu gewinnen.

Dieser Weg, den der
Hauptteil des Textes beschreitet, muss jederzeit nachvollziehbar beschrieben und überprüfbar gehalten werden. Das bedeutet, dass Zitate belegt werden, dass Sachinformationen auf eine ebenfalls wissenschaftlich gehaltene Sekundärliteratur verweisen können oder aber, dass direkte Quellennachweise mit dem Ort der Quellen (zumeist Archive ) angegeben werden.

Ein Buch über das römische Imperium aus der Reihe ‘Was ist Was’ kann möglicherweise viele brauchbare Informationen enthalten. Als Beleg für ein Argument zur römischen Historie ist es jedoch nur eingeschränkt verwertbar, da niemand überprüfen kann, wie die Autoren des Buches gearbeitet und geforscht haben. Denn diese Buchreihe ist einer leichten Verständlichkeit verpflichtet und bedient in erster Linie einen nicht-akademischen Markt. Möglicherweise wurde dort selbst nur ‘irgendwo’ abgeschrieben und damit ältere Fehler wiederholt (was der ‘Was ist Was’-Redaktion hier gar nicht unterstellt werden soll). Ähnlich verhält es sich mit Belegen aus anderen historischen Lexika und Nachschlagewerken.

Deko

Der wissenschaftliche Text muss die Anforderungen an die Verständlichkeit mit dem Wunsch nach Überprüfbarkeit kombinieren. Über das methodische Vorgehen, die Absicht und die Konzeption des Textes informiert die Einleitung. Sie präsentiert den Leserinnen und Lesern einen ‘Schlüssel’ zum Text, sofern dies nicht durch eine allgemeine Einleitung in Sammelbänden oder Themenheften bereits geschieht. In der Einleitung wird die Fragestellung entwickelt und begründet. Auch die Abgrenzung von bisherigen Arbeiten zum selben Thema hat hier ihren Ort. Wer behandelte das Thema auf welche Weise? Ein solcher Forschungsüberblick ist bei universitären Hausarbeiten jedoch nicht die Regel sondern eher die Ausnahme. Hintergrund ist jedoch die Notwendigkeit, mit der Einleitung den Text im oben beschriebenen Diskurs zu verorten. Was will der Text und was soll er leisten, muss hier erklärt werden. 

Bei universitären Hausarbeiten kann dabei der Hinweis auf den thematischen Kontext des Veranstaltungsthemas genügen, da es sich nicht immer um eine reine Forschungsarbeit handelt.Der Schlussteil gibt dann Rechenschaft darüber, ob der gestellte Anspruch eingelöst werden könnte, wo weitere Anknüpfungspunkte gelegt und weitere Fragestellungen oder Forschungsdefizite entstanden sind.

Ausführlicheres zu Einleitung, Hauptteil und Schluss finden Sie im Themenbereich ‘Schreiben’ unter
6.2.1.

Wem es noch gelingt, die verschiedenen
Formalia zu beachten und dann noch ‘gut’ zu schreiben, der hat eine Gradwanderung vollzogen, an der viele Profis scheitern.

 

Übersicht ‘Grundlagen’