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Die Umsetzung in das geschichtstheoretische Denken leistete vor allem Durkheims Schüler Maurice Halbwachs. Halbwachs entwickelte seit den 1920er Jahren seine
Konzeption eines ‘kollektiven Gedächtnisses’. Das individuelle Gedächtnis bildet sich hiernach innerhalb von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (cadres sociaux) aus, die es weitgehend bestimmen, es ist ein soziales
Produkt. Ein ‘soziales Gedächtnis’
ist nicht einfach ein Speicher, sondern in ihm drückt sich eine gemeinsame Art der Welt- und Vergangenheitsdeutung eines soziales Gefüges aus. Halbwachs’ Konzeption richtete sich weder an eine individuelle Erinnerung noch an ein universales, historisches Gedächtnis.
Sein ‘kollektives Gedächtnis’ umspannt soziale Gruppen ganz unterschiedlicher Größenordnung in lokalisierbaren Räumen und in ihrer jeweiligen kollektiven, gelebten Zeit. Das ‘kollektive Gedächtnis’ ist ganz im Sinne der
Durkheim’schen Theorie als etwas nicht unmittelbar Beobachtbares, aber Wirkliches konzipiert; der Einzelne ist Teil des kollektiven Gedächtnisses einer Gruppe, ob er will oder nicht; deshalb kann man von empirisch zu erfassenden,
äußeren Manifestationen auf ein kollektives Bewusstsein, bzw. Gedächtnis schließen. Für die französische Geschichtswissenschaft erwies sich diese Konzeption als außerordentlich vorteilhaft und fruchtbar, denn sie ermöglichte es
denn Historikern, aus individuellen und seriellen Quellen Schlussfolgerungen auf ein ‘kollektives Bewusstsein, bzw. Gedächtnis’ zu ziehen.
Im Vergleich zur herrschenden Ausrichtung der deutschen Geschichtswissenschaft war in
Frankreich in der Schule der Annales im 20. Jahrhundert die Totalität und Intentionalität deutschen Denkens durch Kollektivität und soziale Eingebundenheit
ersetzt worden. Der grundsätzliche Zusammenhang der geschichtlich gewordenen Welt durch eine konstitutiv gedachte Kontinuität aber ist auch Wesensmerkmal des Denkens der Annales geblieben. Eine wichtige Verschiebung erfuhr allerdings die Frage nach der Bedeutsamkeit des historisch Einzelnen: Es wird nicht mehr in Bezug zur Totalität, sondern zu einem ‘kollektiven Gedächtnis’ gesetzt.
Aufbauend auf den Überlegungen von Maurice Halbwachs, aber an die Stelle einer über Alltagskommunikation vermittelten Teilhabe an einem Gedächtnis seine aktive Konstruktion setzend, ist das ‘kulturelle Gedächtnis’
ein heute viel rezipierter Ansatz, die Rolle der Vergangenheit im Leben von Völkern und Nationen zu erklären. Das ‘kulturelle Gedächtnis’ steht |