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Die klassische Geschichtsphilosophie, wie sie durch Kant, Fichte und Hegel vertreten wurde, sah sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verstärkter Kritik ausgesetzt. Diese Kritik speiste sich vor allem aus der Erfahrung, dass sich seit den großen Entwürfen der Jahrhundertwende die Geschichte alles andere als harmonisch entwickelt hatte.

Sie kam insbesondere aus zwei Richtungen. Zum einen aus dem Umfeld sozialer und sozialistischer Bewegungen. Karl Marx war es, der mit seinem ‘Historischen Materialismus’ einen umfassenden Gegenentwurf zur Geschichtsphilosophie Hegels präsentierte.
8 Dabei blieben allerdings grundlegende Denkmodelle der klassischen Geschichtsphilosophie - Teleologie, Geschichte als Stufenfolge u.a. - wirksam.

Marx

Karl Marx, 1818-1883.

In diesem Sinn radikaler gestaltete sich die Abkehr von der klassischen Geschichtsphilosophie durch die Geschichtsanschauung, die der sog. ‘Historismus’ vertrat. Der ‘Historismus’ kam aus dem Kreis der Geschichtsschreibung, die sich seit dem beginnenden 19. Jahrhundert zunehmend verwissenschaftlicht und standardisiert hatte.
Sein Hauptvertreter, Leopold von Ranke, erklärte in einem berühmten Postulat programmatisch jede Entwicklungsvorstellung für beendet: “Jede Epoche ist unmittelbar zu Gott, und ihr Wert beruht gar nicht auf dem, was aus ihr hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst, in ihrem Eigenen selbst.”
9 Obwohl es auch weiterhin Geschichtsentwürfe gab, die mit dem Gedanken der teleologischen Entwicklung - in Deutschland seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem nationaler und nationalistischer Prägung - operierten, war die Einheit der Menschheitsgeschichte damit verloren.

8 Vgl. u.a. Karl Marx und Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie, in: MEW 3; Berlin 1958; S. 20ff.
9 Leopold von Ranke: Über die Epochen der neueren Geschichte, historisch-kritische Ausgabe, hg. v. Theodor Schieder und Helmut Berding, München 1971, S. 60.